Wie wird Hüfingen sich entscheiden? Mit einer Einschätzung tun sich aktuell alle schwer, die sich für oder gegen die Wiedereinführung der unechten Teilortswahl einsetzen. Sicher ist nur: Am Sonntagabend gibt es die Antwort. Allerdings muss darauf auch etwas gewartet werden, denn zuerst muss die Bundestagswahl ausgezählt werden, bevor der Bürgerentscheid an die Reihe kommt. Bürgermeister Michael Kollmeier geht davon aus, dass gegen 21 Uhr die Frage beantwortet sein wird, wie es zukünftig kommunalpolitisch in Hüfingen weitergehen wird.

Das Thema ist mit viel Emotionalität verbunden

Geht es um die unechte Teilortswahl, wird es bei einigen emotional. Es wird von zerstochenen Reifen, persönlichen Angriffen und von tiefen Gräben, die zwischen der Kernstadt und den Ortsteilen entstanden sind, gesprochen. Gar vom Maulkorb für die Ortsvorsteher wird unter der Hand gesprochen. Und Letztere sind aktuell ungewohnt leise. Jüngst haben sie zu einer Tour der Ortsvorsteher eingeladen. Zwei Wochen vor der Wahl. Doch von der unechten Teilortswahl nicht die Rede. Es ging um Baugebiete. Auch die Kindergärten waren Thema. Kanäle, Wandfarbe und andere Belange wurden besprochen. Nur eben die unechte Teilortswahl nicht. Dafür reichliche Hinweise. „Mehr sage ich in meiner Funktion als Ortsvorsteher nicht.“

„Insgesamt sind Angehörige der Verwaltung der Neutralität verpflichtet.“
Michael Kollmeier, Bürgermeister

Der Grund für die öffentliche Zurückhaltung ist darin zu suchen, dass Ortvorsteher nicht dem Gemeinderat angehören, sondern ein Teil der Verwaltung sind. „Insgesamt sind Angehörige der Verwaltung der Neutralität verpflichtet“, erklärt Bürgermeister Michael Kollmeier. Deutlich müsse getrennt werden, was jemand als öffentliche und was als private Person sagt.

Pro oder Contra – verschiedene Initiativen werben mit Auto-Aufklebern für ihren Standpunkt beim Entscheid rund um die ...
Pro oder Contra – verschiedene Initiativen werben mit Auto-Aufklebern für ihren Standpunkt beim Entscheid rund um die Wiedereinführung der Unechten Teilortswahl. | Bild: Simon Wöhrle

Ortvorsteher hätten viele Möglichkeiten, ihre Meinung kund zu tun. Nur wenn sie eben in ihrer amtlichen Rolle unterwegs wären. Das gelte aber für alle Angehörigen der Verwaltung und bei allen Wahlen. Auch die drei Bürgermeister-Stellvertreter müssten, wenn sie offiziell unterwegs sind, neutral bleiben. Das gelte auch für ihn persönlich in seiner Funktion als Vorsitzender des Wahlausschusses.

Und wie nimmt der Bürgermeister die aktuelle Stimmung in Hüfingen wahr?

Das Wahlinteresse sei sehr hoch und liege jetzt schon über der Landtagswahl. Wie emotional der eine oder andere unterwegs ist, der sich in Sachen unechter Teilortswahl engagiert, dazu will Kollmeier sich aber nur ungern öffentlich äußern. Aber: „Es warten alle auf die Entscheidung.“ Das Thema sei in Hüfingen präsent, man sehe Plakate und auch in Gesprächen sei der Bürgerentscheid Thema. Am Sonntagabend wisse man dann, was die Mehrheit will. „Ich erwarte, dass alle – wie es sich in einer Demokratie gehört – das Abstimmungsergebnis akzeptieren, persönliche Befindlichkeiten hinten anstellen und wir in der Sache weiterhin miteinander arbeiten können.“ Das sei dann ein guter Weg in die Zukunft.

„Wir sind nicht nur enger zusammengerückt, sondern wir sind auch ganz sicher einer Meinung.“
Michael Jerg

„Die Bürger erwarten, dass sich die Ortsvorsteher zur Sache äußern“, sagt Michael Jerg, Ortsvorsteher von Mundelfingen, als Privatperson. In der ganzen Diskussion würden die Ortsvorsteher an einem Strang ziehen. „Wir sind nicht nur enger zusammengerückt, sondern wir sind auch ganz sicher einer Meinung“, sagt Michael Jerg. Es habe sich gezeigt, dass die fünf Ortsteile nach zwei Wahlgängen ohne unechte Teilortswahl nur noch zwei Stadträte im Gremium haben. „Ich bin mir auch sicher, dass es nach der nächsten Wahl nur noch einer oder gar keiner mehr ist.“

Michael Jerg
Michael Jerg

Doch was ist der Unterschied zwischen einem Stadtrat und einem Ortsvorsteher, wenn doch beide in der Gemeinderatssitzung am Ratstisch Platz nehmen. „Wir Ortsvorsteher sind weder zu den Fraktionssprechersitzungen noch zu den Fraktionssitzungen eingeladen“, sagt Jerg. Vor der Sitzung gebe es die Unterlagen, aber erst in der Sitzung könnten die Ortsvorsteher ihre Meinung kund tun – oft ein Zeitpunkt, wo sich in den Fraktionen schon eine Meinung gebildet habe.

„Demokratie hat nichts damit zu tun, wer die meisten Stimmen hat. Wir haben schließlich eine Verhältniswahl.“
Michael Jerg

Den Ratschlag, die Ortschaften könnten sich zusammentun, und gemeinsam für die Ortsteil-Kandidaten stimmen, um die sicher in den Gemeinderat zu bekommen, hält Jerger wenig. „Das hat nichts mit Demokratie zu tun, in einer Demokratie muss jeder wählen können, wen er will.“ Und von einem Einheitsgefühl wäre das auch weit entfernt, wenn die Ortsteile gegen die Kernstadt wählen würden. Für ihn sei die unechte Teilortswahl demokratisch.

Ortsteile wollen wahrgenommen werden

„Demokratie hat nichts damit zu tun, wer die meisten Stimmen hat. Wir haben schließlich eine Verhältniswahl“, sagt er. Und so sitze jetzt beispielsweise der Fürstenberger Bernhard Schmid nicht mehr im Gemeinderat, obwohl er 1350 Stimmen erhalten habe. Jemand anderes hätte den Einzug aber mit 1030 Stimmen geschafft. Und Demokratie bedeute auch, dass Minderheiten vertreten sein. „Wir wollen ernst und wahrgenommen werden.“ Und gegen das Argument, dass das Gremium durch die unechte Teilortswahl aufgebläht werden würde, sagt Jerg: „Dann sollen sie halt Butterbrezeln hinstellen, dann wird die Verpflegung nicht so teuer.“

„Entscheiden muss jeder Bürger selbst.“
Kerstin Skodell

Viel war Kerstin Skodell in den vergangenen Wochen unterwegs. Sie nennt es Aufklärungsarbeit: „Viele Kernstädter haben sich mit der Thematik nicht auseinandergesetzt und denen muss man erklären, um was es geht“, sagt die SPD-Fraktionssprecherin und fügt sofort hinzu: „Die unechte Teilortswahl ist ungerecht und undemokratisch.“

Kerstin Skodell
Kerstin Skodell | Bild: Roland Sigwart

Durchaus habe sie auch mit Bewohnern in den Ortsteilen gesprochen, die gegen die Wiedereinführung der unechten Teilortswahl wären. Es handle sich um eine „elitäre Gruppe“, die für die Wiedereinführung sei, die in den Orten „hausiert“. Gar von Manipulation spricht Skodell. Und selbst mit fünf Stadträten aus den Ortsteilen könnten diese halt eben keine Mehrheit erlangen.

Rückkehr zur Sachpolitik

Nach dem 26. September müsse man in Hüfingen wieder zur Sachpolitik zurückkehren – egal wie der Bürgerentscheid ausgehe. „Die Bürger haben dann entschieden und das muss akzeptiert werden“, sagt Skodell. Gräben gebe es sicher auch danach noch und man könne die sicher auch nicht einfach schnell wieder zuschütten.

„Die Ortsvorsteher sollen überlegen, was für ein Amt sie innehaben.“
Kerstin Skodell, SPD-Fraktionssprecherin

Von einem Maulkorb für die Ortsvorsteher möchte Kerstin Skodell nichts hören: „Die Ortsvorsteher sollen überlegen, was für ein Amt sie innehaben.“ Es wären viele Dinge gelaufen, die nicht rechtens gewesen wären. Beispielsweise dass Ortsvorsteher in Vereinsversammlungen sich für die Wiedereinführung der unechten Teilortswahl ausgesprochen haben. Oder dass sie einen Brief genau mit dem gleichen Inhalt geschrieben hätten.

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„Wir haben das beim Ordnungsamtsleiter gemeldet“, erklärt sie. Mit „Wir“ ist in diesem Fall das interfraktionelle Fraktionsbündnis aus CDU, SPD und FW/FDP gemeint, das sich gemeinsam gegen eine Wiedereinführung der unechten Teilortswahl aussprechen. Auf der anderen Seite habe die Ja-Initative sich ja auch beschwert, als sich Stadträte, die im Wahlausschuss sitzen, öffentlich zur Thematik geäußert hätten.

„Wenn ich Bürgermeisterin von Hüfingen wäre, würde ich klar Stellung beziehen.“
Kerstin Skodell, SPD-Fraktionssprecherin

Für sie selbst sei es kein Problem, sich neutral zu verhalten, wenn sie als Bürgermeister-Stellvertreterin unterwegs ist. Das bringe die Funktion mit sich. Wer allerdings ihrer Meinung nach nicht neutral sein sollte, ist der Bürgermeister selbst. Die Hüfinger müssten doch wissen, was das Stadtoberhaupt will. „Wenn ich Bürgermeisterin von Hüfingen wäre, würde ich klar Stellung beziehen.“

Steinemann sieht auch in der Kernstadt Chancen

Michael Steinmann, Sprecher der BFSO/Grünen-Fraktion, ist aktuell im Häuserwahlkampf unterwegs. Nicht in den Ortseilen, sondern in der Kernstadt. „Ich habe bereits mit 60, 70 Personen gesprochen und überall ist das Unverständnis groß, warum sich manche gegen die Wiedereinführung der unechten Teilortswahl sperren“, sagt Steinemann. Interessant sei, dass ein Thema, das 2019 vom politischen Gegner als total „uninteressant“ eingestuft wurde, nun für so viele Emotionen sorge. Er spricht in diesem Zusammenhang sogar von zerstochenen Reifen.

Michael Steinemann
Michael Steinemann | Bild: Roland Sigwart

Allerdings: „Emotionen sind vielleicht bei 20 Prozent vorhanden – bei der Gegenseite etwas mehr. 80 Prozent gehen die Sache mit dem Kopf an“, sagt Steinemann. Hochoffiziell habe er vom Maulkorb für die Ortsvorsteher erfahren. Die Ja-Initiative musste digital die Hinweise der Ortsvorsteher entfernen – aufgrund des Neutralitätsgebots. „Ich habe an der Verwaltungshochschule in Kehl und beim Verein für mehr Demokratie nachgefragt, beide halten den Maulkorb für ungerechtfertigt.“ Immer werde argumentiert, die Ortsteile bräuchten keine Stadträte, da es ja die Ortsvorsteher gebe. „Und jetzt wo es darauf ankommt, dürfen sie nichts sagen.“

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„Gepannt und erleichtert“ ist Markus Leichenauer, Sprecher des interfraktionellen Bündnisses, wenn er auf den Sonntag blickt. „Wir hatten jetzt genug Vorlauf.“ Bedauerlicherweise wären in der ganzen Diskussion Gräben aufgerissen worden. „Wir haben versucht, unser Handeln so zu gestalten, dass die Gräben nachher schnell wieder zugeschüttet werden können.“ Doch es habe sich gezeigt, dass das nicht so einfach gewesen sei. Persönliche Beleidigungen habe es gegeben und irgendwann sei der Punkt erreicht gewesen, wo das Bündnis sich entschieden habe, nicht mehr zu reagieren, sondern zu agieren.

Markus Leichenauer
Markus Leichenauer | Bild: Wursthorn, Jens

An einem Punkt sei das allerdings nicht ganz gelungen. Der FDP-Landtagsabgeordnete Niko Reith hatte sich digital für eine Wiedereinführung der unechten Teilortswahl ausgesprochen – und prompt zu hören bekommen, was sich nun ein Donaueschinger in Hüfinger Themen einmische. „Das war nicht so gelungen.“ Ein Vorfall, den Leichenauer im Nachhinein bedaure.

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Leichenauer, der einst im Gemeinderat saß, bei der vergangenen Wahl aber nicht mehr angetreten war, engagiert sich in diesem Fall wegen der Sache und denkt nicht grundsätzlich darüber nach, sich wieder für den Stadtrat zu bewerben. Aber ein Positives habe die ganze Debatte. CDU, SPD und FW/FDP wären wieder näher zusammengerückt. „Wir haben wieder eine Kultur des Umgangs, die es so in der letzten Zeit nicht gegeben hat.“

„Seit Abschaffung der unechten Teilortswahl sind inzwischen drei Ortsteile vom demokratischen Prozess ausgeschlossen.“
Kurt Wallschläger, Ortschaftsrat Fürstenberg

„Auch drei Tage vor der Wahl gibt es etliche Hüfinger Bürger und Bürgerinnen ohne konkrete Vorstellung vom Begriff der unechten Teilortswahl“, sagt Kurt Wallschläger, Ortschaftsrat aus Fürstenberg. Gerne werde der Begriff von der Nein-Initiative als etwas falsches eben Unechtes dargestellt. Tatsächlich bedeute der Name für dieses Wahlsystem nur, dass die Ortsteile garantierte Gemeinderatssitze im Verhältnis des Bevölkerungsanteils der Ortsteile zur Kernstadt erhalten.

Kurt Wallschläger
Kurt Wallschläger | Bild: privat

„Der Bevölkerungsanteil der Ortsteile beträgt etwa 32 Prozent, die sechs garantierten Sitze entsprechen einem Anteil am Gemeinderat von etwa 33 Prozent“, rechnet Wallschläger vor. Insofern sei diese Aufteilung gerecht. Neue grundlegende Mehrheiten entstünden durch die unechte Teilortswahl nicht. „Seit Abschaffung der unechten Teilortswahl sind inzwischen drei Ortsteile vom demokratischen Prozess ausgeschlossen. Als Ortschaftsrat von Fürstenberg stimme ich deshalb für die Wiedereinführung der unechten Teilortswahl“, sagt Kurt Wallschläger. Durch die direkte Vertretung der Ortsteile im Gemeinderat werde der Informationsfluss wieder beschleunigt.

„Wir werden nicht einfach wieder zum Alltag übergehen können“
Harald Weh, CDU-Stadtrat

„Die Stimmung ist sehr angespannt“, sagt CDU-Stadtrat Harald Weh und fügt hinzu: „Ich selbst bin froh, wenn wir eine Entscheidung haben.“ Egal wie der Bürgerentscheid ausgeht, die andere Seite müsste das akzeptieren. Und dann müsste man sich dran machen, die Gräben wieder zuzuschütten. Diese Aufgabe sei aber eine Herausforderung. „Wir werden nicht einfach wieder zum Alltag übergehen können“, sagt Weh.

Harald Weh
Harald Weh | Bild: V.Schmider

Zu Beginn der Diskussion über die Wiedereinführung der unechten Teilortswahl habe er sich nicht vorstellen können, dass das Ganze so ein emotionales Thema werde. Die Stimmung sei teilweise aggressiv, die Auseinandersetzungen sehr groß. Weh bezieht klar Stellung gegen die Wiedereinführung – aber nicht, wenn er als Bürgermeister-Stellvertreter unterwegs ist. Da müsse er neutral sein. Nur einmal sei ein Video veröffentlicht worden, wo er nicht nur als Diplom-Verwaltungsfachwirt a.D., sondern auch als Bürgermeister-Stellvertreter bezeichnet worden ist. „Das war ohne mein Zutun. Und als sich die andere Seite beschwert hat, haben wir das Video sofort gelöscht.

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Von einem Maulkorb für die Ortsvorsteher habe er noch nichts gehört. „Aber die Ortsvorsteher sind ganz klar ein Teil der Verwaltung“, sagt Weh. Die Ortsvorsteher könnten ihre Argumente darlegen und sich äußern – nur eben nicht im Rahmen ihrer Ortsvorsteher-Tätigkeit. Beispielsweise sei geplant gewesen, als Ortsvorsteher auf Tour zu gehen und für die Einführung der unechten Teilortswahl zu werben. So etwas ginge eben nicht.

Was ist mit dem Kirchengemeinderat?

In der Diskussion war Harald Weh, der auch Pfarrgemeinderat ist, vorgeworfen worden, dass er in der Kirche die unechte Teilortswahl eingeführt habe und auf politischer Ebene dagegen sei. Dem widerspricht Weh deutlich: „Ich habe in beiden Fällen die gleiche Meinung.“ Bei der Kirche habe bisher die echte Ortsteilwahl gegolten. Jeder Ortsteil habe ein Vertreter gewählt und diesen ins Gremium entsandt. Nun habe man ein System eingeführt, bei der jeder jeden wählen könnte – die unechte Teilortswahl. Das sei aber eine Entscheidung des Ordinariats gewesen. Er halte davon kirchlich genau so wenig wie kommunalpolitisch.