Königsfeld – Der Jesidin Nadia Murad wurde in Oslo der Friedensnobelpreis verliehen. Die emotionale Zeremonie wirkte von Norwegen bis nach Königsfeld und sorgte im Helene-Schweitzer-Saal des Herrnhuter Hauses für Freudentränen und gefühlsgeladene Momente. Da viele der 30 in der Kurgemeinde untergebrachten Jesiden aus dem gleichen Dorf Kocho im Nordirak kommen wie die Geehrte und seit genau drei Jahren hier eine neue Heimat gefunden haben, war die Nobelpreisverleihung ein Anlass zum Feiern. Knut Schröter, einer von vielen Ehrenamtlichen des Arbeitskreises, war es mit technischem Talent gelungen, die Verleihung auf einer Leinwand zu zeigen.
Hans-Beat Motel, Leiter des örtlichen ehrenamtlichen Arbeitskreises für Integration, sprach von einem besonderen Tag. Der Preis bedeute eine Botschaft und mache darauf aufmerksam, dass er aufgrund brutaler Gewalt und Erniedrigung gegenüber andersgläubigen Frauen, Kindern und Männern vergeben worden sei. Nicht nur Nadia Murad, sondern allen Jesidinnen und allen, denen die Freiheit geraubt worden sei, gehöre dieser Preis, bekräftigte Motel unter Applaus. Es gebe Frauen, die noch länger als Murad in den Klauen des Islamistischen Staates (IS) gewesen seien, bis sie sich befreiten. Dass sich die Jesidinnen in Königsfeld wohl fühlten, bedeute auch für ihn und das ganze Team etwas Schönes, hob Motel hervor.
Mehrere Jesidinnen aus der Kurgemeinde schilderten bedrückt und mit Bildern belegt, was aus ihrem Heimatdorf inzwischen geworden ist. Einst lebten dort 1700 Menschen. Heute ist Kocho verwaist, zerstört und geplündert. Weil die Männer nicht zum Islam übertreten wollten, wurden sie erschossen. Kinder wurden verschleppt, viele von ihnen lebten nicht mehr. Noch heute halte der IS Jesidinnen gefangen, oder sie wohnten in Flüchtlingscamps im Nordirak, berichteten sie.
Fast auf den Tag genau, am 15. Dezember, seien die Jesidinnen in Königsfeld angekommen. Dies sei ein Feier-Freudentag zugleich. Wie Knut Schröter erinnerte, sei damals die Atmosphäre noch sehr angespannt gewesen. Gleich am nächsten Tag sei es in den Supermarkt gegangen, Ausflüge an den Bodensee, ins Villinger Münster und in die Wilhelma Stuttgart folgten. Vom ersten Tag bis heute seien die Frauen unglaublich fröhlich geworden, bestätigte Schröter.
Auch Bürgermeister Fritz Link sprach von einem besonderen Tag. Das Volk der Jesiden sei in der Vergangenheit schon mehrfach einem Genozid ausgesetzt gewesen. Mit der Verleihung setze die Weltgemeinschaft ein Signal. Als Baden-Württemberg auf Initiative von Ministerpräsident Winfried Kretschmann als einziges Bundesland ein Sonderkontingent von 1000 Frauen und Kindern aus dem Nordirak aufgenommen habe, habe Königsfeld spontan zugesagt. Es hätten sich in vorbildlicher Weise Helferkreise zur Betreuung dieser Flüchtlinge gebildet Von 22 Kommunen, in denen Jesiden untergebracht seien, rangiere Königsfeld an fünfter Stelle, hob Link hervor.
Die Jesiden
Jesiden sind eine ethnische Minderheit im Nordirak. Weitere Siedlungsgebiete liegen in Nordsyrien und im Südosten der Türkei. Sie betrachten sich als ethnische Kurden und eigenständige religiöse Gruppe. Das Jesidentum vertritt eine nicht auf einer heiligen Schrift beruhende Religion mit einem allumfassenden Gott. Im Zentrum des jesidischen Glaubens stehen der Gottesengel Melek Taus, die sieben Mysterien sowie Scheich Adi ibn Musafir. Seit Sommer 2014 fliehen die Jesiden vor den Schergen des Islamischen Staates und werden als Ungläubige verfolgt, versklavt und ermordet.