Nahezu ein halbes Jahrhundert gibt es ihr Geschäft in Königsfeld. Und Ulla Boos denkt nicht ans Aufhören. „Es ist mein Leben, es war nicht immer leicht, aber es macht mir nach wie vor Freude“, sagt die 78-Jährige.
Schon immer dreht sich alles um Textil
Seit 47 Jahren steht sie selbst in ihrer Modeboutique am Zinzendorfplatz. „Nachhaltigkeit, Qualität, Wohlfühlfaktor und Individualität“, das ist das Rezept der gebürtigen Reutlingerin, die im textilen Umfeld aufgewachsen ist.

Der Vater war Baumwolleinkäufer einer großen Spinnweberei in der Textilstadt Augsburg, die Mutter und die Großmutter waren Schneiderinnen. Mit „Ullas Ecke“ verdient sie seit ihrer Scheidung vor vielen Jahren ihren Lebensunterhalt selbst.
Tochter macht Hausaufgaben und Mama verkauft Kleidung
Alles begann mit einem Zufall. Sie lernte beim Schlittenfahren mit ihrer Tochter in Oberkirnach eine Frau kennen, die eine Kindermodenboutique in Königsfeld eröffnen wollte und bereits einen Mietvertrag in der Tasche hatte. Als die dann keine Lust mehr hatte, entschied sich Ulla Boos spontan, diese Chance zu ergreifen.
Vier mal am Tag fuhr die damals 35-Jährige zwischen ihrem Wohnort Unterkirnach und Königsfeld hin und her, nahm mittags die Tochter mit nach Königsfeld. In einem abgetrennten Bereich machte die Tochter Hausaufgaben, die alleinerziehende Mutter verkaufte Kinderkleidung.
„So lange ich Lust habe, und ich habe Lust, mache ich das.“Ulla Boos
Sie führte hochwertige Marken. In Königsfeld war damals das Schwarzwaldhotel ein beliebtes Ferienziel. „Viele Damen, die schon Großmütter waren, haben bei mir begeistert für ihre Enkel noch etwas eingekauft, bevor sie wieder nach Hause fuhren“, erzählt die Wahl-Königsfelderin, die in Augsburg aufgewachsen ist und drei Jahre in Berlin lebte, bevor sie mit ihrer Familie in den Schwarzwald zog.
Der Grund waren die Atemwegsprobleme der Tochter. In Königsfeld gab es damals noch ein Kindersanatorium und in 800 Metern Höhe besserte sich die Gesundheit der kleinen Nicole.
Sortiment umgestellt
Als das Schwarzwaldhotel geschlossen wurde und die Gäste ausblieben, entschied sich Ulla Boos, das Sortiment nach und nach auf Damenmode umzustellen. Sie konzentriert sich auf Mode individueller deutscher und europäischer Labels.

„Bei mir ist jede Frau willkommen, egal welchen Alters und welcher Figur“, sagt sie. Sie baute sich einen festen Stamm von Kundinnen auf, die immer wieder kamen. „Die Frauen tragen die Teile mit Freude und viele Jahre“, nennt sie einen Grund. Sie habe ein sehr gutes Farbgefühl und ihre Kundinnen schätzen die gute Beratung.
Online ist keine Konkurrenz
Den Online-Handel empfindet sie nicht als Konkurrenz. „Meine Kundinnen wollen die Kleidung anfassen und in Ruhe probieren“. Die Mode bei „Ullas Ecke“ ist nicht auf Modelfiguren ausgerichtet und die Wahrscheinlichkeit, dass man jemanden trifft, der das gleiche Kleidungsstück anhat, ist sehr gering. Die Kundinnen von Ulla Boos nehmen lange Anfahrtsstrecken in Kauf. Außer aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis kommen viele aus dem Bodenseekreis, dem Kreis Rottweil und der weiteren Umgebung.
35 Kilometer Anfahrtsweg und viele Umwege hat Helga Gerken aus Wolfach an diesem Tag zurückgelegt. Die Künstlerin trägt Kleidergröße 36 und wird auf Anhieb fündig. Einige Stammkundinnen waren vorher mal zur Kur in Königsfeld und kommen immer wieder, um einzukaufen.
Lockdown verhindert große Feier
Am 15. März 2020 wollte Ulla Boos eigentlich das 45-jährige Bestehen von „Ullas Ecke“ feiern. „Es sollte eine tolle Modenschau mit fröhlicher Feier werden, doch dann war Lockdown“, erinnert sie sich an die Zeit, als sie die Boutique wegen Corona geschlossen halten musste. Wie hat sie diese Zeit überstanden, die andere Geschäfte nicht überlebt haben? „Ich habe ja eine Kundenkartei“, erzählt Ulla Boos.
Pfiffige Idee während der Schließung
„Ich habe die Kundinnen angerufen und gefragt, ob ich ihnen was schicken darf. Dann habe ich Pakete gepackt.“ Mit ihrem Farbgefühl und Erinnerungsvermögen traf sie dann meistens den Geschmack. Mit dieser Aktion und der Corona-Überbrückungshilfe gelang es ihr, das Geschäft zu halten und den Lebensunterhalt zu bestreiten.
Es warten neue Herausforderungen
„Jetzt werden die Corona-Hilfen allerdings zurückgefordert und zugleich werden Öl und Strom teurer“, schildert sie die neuen Herausforderungen. „Viele geben einfach auf. Für mich war Aufgeben in meinem Leben nie eine Option. Nachdem der Lockdown endete, erlebte sie selbst beim Großhandel in Sindelfingen, wo sie einkauft, auch, dass manche Großhändler diese Zeit nicht überlebt hatten.
„Zum Beispiel die schönen Tücher, die ich immer passend eingekauft habe“. Nach Corona sei die Frequenz der Besucher im Laden eine andere geworden. „Ich lebe von meinen Stammkundinnen“, erzählt sie. Die Kundinnen dürfen auch einfach so in den Laden kommen und ihre Geschichten erzählen. „Ich habe in Königsfeld vieles überlebt. Jetzt peile ich das halbe Jahrhundert an“ sagt Ulla Boos. Dann, im Jahr 2025, soll endlich richtig gefeiert werden. Ans Aufhören denkt sie nicht. „So lange ich Lust habe, und ich habe Lust, mache ich das“, sagt sie.