Seit 44 Jahren begleitet die Königsfelderin Hildegund Hilt Frauen durch eine der intimsten Erfahrungen ihres Lebens. Unzählige Male hat sie als Hebamme neues Leben begleitet, ist Mutterliebe begegnet, hat erlebt, wie aus einem Paar eine Familie wurde. Sie steht jungen Müttern zur Seite, spendet Rat, hilft und beruhigt. Dass ein Kind nicht nur Glück bedeutet, sondern auch Ratlosigkeit, Überforderung und Hilflosigkeit – auch das weiß Hildegund Hilt. Sie weiß, was eine Geburt mit sich bringt. Aus der Ruhe bringen kann sie wenig.

Jetzt heißt es Abstand halten

Bis das Coronavirus kam und mit ihm die Routine verflog. Eine Ausnahmesituation – und das kurz vor ihrem Ruhestand. Von Nähe und Anteilnahme lebt ihr Beruf – eigentlich. Denn jetzt heißt es Abstand halten. „Wie soll das funktionieren?“, fragt sich die 66-Jährige. Und fügt an: „Die Frauen brauchen uns.“

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Verunsicherung bei Hebammen ist groß

„Es kam so plötzlich“, erzählt die Hebamme. Plötzlich kam es, dass sie die Frauen nur noch mit Gesichtsmasken und Handschuhen besuchen durfte. Am Anfang mit einfachen OP-Masken, jetzt hat Hildegund Hilt vom Gesundheitsamt FFP-2-Atemschutzmasken bekommen. Plötzlich kam es, dass Hilt nur noch mit Mutter und Baby in einem Raum sein durfte, die Geschwisterkinder oder der Vater mussten draußen bleiben. Und genauso plötzlich gehörte Hildegund Hilt mit über 60 zu der Risikogruppe, musste aber gleichzeitig in engem Kontakt mit Mütter und Neugeborenen arbeiten.

„Wie sollten wir uns verhalten und schützen?“

Am Anfang, erzählt Hilt, hätten sich die Hebammen oft untereinander angerufen. „Wir waren alle verunsichert. Wie sollten wir uns verhalten und schützen?“, das seien die Fragen gewesen, die die Hebammen umgetrieben haben. Die Folge: Viele Hebammen würden nun reduziert arbeiten, erzählt Hilt. Weil es ohnehin einen Mangel an Hebammen im Landkreis gebe, sei das ein großes Problem.

Eine Hebamme hört den Bauch einer Schwangeren ab.
Eine Hebamme hört den Bauch einer Schwangeren ab. | Bild: Hebammenhaus

Hausbesuche werden reduziert

Hausbesuche macht Hilt nach wie vor, aber weniger. Dazu kommen die strengen Schutzmaßnahmen. Vor der Krise hat Hilt bis zu acht Frauen täglich betreut, jetzt sind es höchstens vier. Geburtsvorbereitungskurse finden nicht mehr statt, Rückbildungskurse entfallen. Trotzdem arbeiten alle Hebammen weiter – Handy, Internet und Skype seien jetzt gefragt, erzählt Hilt. Denn die Fragen – vor allem die der Schwangeren – müssten schließlich beantwortet werden. Trotzdem: „Es ist etwas ganz anderes als ein Vor-Ort-Gespräch.“

Besuche nach der Geburt unersetzlich

Anders sieht es bei persönlichen Treffen mit Frauen nach der Geburt aus: „Da müssen wir hin. Das geht absolut nicht über das Telefon“, sagt Hildegund Hilt. Und weiter: „Man muss das Kind sehen.“ Schließlich achte eine Hebamme nach der Geburt besonders auf den Zustand des Kindes, um beispielsweise eine mögliche Gelbsucht festzustellen. Hinzu kommt, dass viele Frauen zur Zeit früher aus dem Krankenhaus entlassen werden, als üblich. Wegen des Besuchsverbots in Kliniken würden viele Frauen schneller wieder nach Hause wollen. „Vor allem dann sind sie angewiesen auf Hilfe“, sagt Hilt. Dinge, die sonst in der Klinik kontrolliert würden, müssten von der Hebamme überprüft werden. Dabei einen Sicherheitsabstand einzuhalten sei schlicht unmöglich, so Hilt.

Hedi Wittmann mit ihrer Tochter Salome, die am 13. März zur Welt gekommen ist.
Hedi Wittmann mit ihrer Tochter Salome, die am 13. März zur Welt gekommen ist. | Bild: Wittmann

Ein Kind bekommen in Corona-Zeiten

Was bedeutet es, während der Coronakrise ein Kind zu bekommen? Hedi Wittmann weiß es. Sie ist eine der Mütter, die Hildegund Hilt vor und nach der Geburt betreut hat. Wittmann ist 38 Jahre alt, kommt aus Schwenningen und hat drei Kinder. Ihre jüngste Tochter Salome ist am 13. März im Schwarzwald-Baar-Klinikum zur Welt gekommen- an dem Tag, an dem die Landesregierung in Stuttgart beschlossen hat, das öffentliche Leben in Baden-Württemberg weitgehend herunterzufahren. Die Geburt seines Kindes durfte Tilo Wittmann noch miterleben. Nur ein Tag später kam das Besuchsverbot. „Ab dem 14. März ging gar nichts mehr“, erzählt Hedi Wittmann.

Vier Tage allein im Krankenhaus

Gar nichts mehr – das heißt: kein Besuch, nicht einmal von ihrem Mann und ihren Kindern. „Es war ein komisches Gefühl, nur zu telefonieren und so abgeschottet von der Welt zu sein“, sagt sie. Die Zeit nach der Geburt sei ohnehin sehr sensibel. Vier Tage lang verbrachte Hedi Wittmann alleine im Krankenhaus. „Es war eine bedrückende Situation“, erzählt sie. Auch dem Personal habe man die Anspannung angemerkt. Etwas Positives gewinnt Wittmann der Situation rückblickend aber auch ab: Sie habe viel Ruhe und Zeit gehabt, um sich nur auf ihr Kind zu konzentrieren.

Lilith (9 Jahre) und Fiona (12 Jahre) freuen sich darüber, ihre kleine Schwester Salome endlich im Arm halten zu dürfen.
Lilith (9 Jahre) und Fiona (12 Jahre) freuen sich darüber, ihre kleine Schwester Salome endlich im Arm halten zu dürfen. | Bild: Wittmann

Auswirkungen im Alltag

Denn als Wittmann nach Hause kommt, ist die Ruhe dahin: ein Neugeborenes, zwei Kinder, die statt in die Schule zu gehen auf einmal zuhause betreut werden müssen und ein Mann, der nach drei Tagen wieder zur Arbeit gehen muss. Dazu kommt der Haushalt. Ein Hund, der Gassi gehen möchte. Und obendrauf kein Besuch, der ihr unter die Arme greifen kann. Selbst die engsten Angehörigen konnten die kleine Salome noch nicht sehen oder auf den Arm nehmen.

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In die Wohnung kommt nur Hildegund Hilt, ihre Hebamme. Am Anfang zweimal die Woche, dann einmal. „Sie war für uns da“, sagt Wittmann. „Zum Glück war es nicht öfters notwendig. Es lief gut.“ Auch wenn es bei ihr gut lief, glaubt Wittmann, dass für viele frischgebackene Mütter die reduzierten Hausbesuche der Hebammen zu wenig sein könnten.

Trotzdem das Positive sehen

Hedi Wittmann sieht in der Krisenzeit auch das Gute. Trotz dass kein Besuch kommen kann, wird ihr manchmal von den Schwiegereltern ein Essen vor die Tür gestellt. Trotz dass sie den Alltag mit drei Kindern in einer Wohnung bewältigen und gleichzeitig Mutter und Lehrerin sein muss, sagt sie: „Ich genieße die Zeit mit den Kindern daheim.“ Und es kommt von Herzen.

Hebamme nach der Geburt enorm wichtig

Hedi Wittmann war froh um eine Hebamme wie Hildegund Hilt, die ihr in der turbulenten Zeit mit ihrer „ruhigen Art“ zur Seite stand. Sie hat während der Coronakrise ihr drittes Kind bekommen, hat also schon Erfahrung. Wie es Müttern gehen muss, die ihr erstes Kind erwarten oder ein Neugeborenes zuhause ohne Unterstützung versorgen müssen, das stellt sie sich schwierig vor.

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Hildegund Hilt versucht trotz allem, so gut es geht da zu sein, Fragen zu beantworten und Rat zu geben. Auch, wenn es ein anderes Da-Sein ist, als in den vergangenen 44 Jahren. Weiter sprechen kann Hildegund Hilt jetzt nicht mehr. Denn um 20 Uhr startet eine zweistündige Skype-Sprechstunde mit Frauen, die Antworten oder Rat brauchen.