Die aktuelle Sparpolitik der Bundesregierung wird die Hausärzte empfindlich treffen. Sie sollen – Energiekrise und Inflation hin oder her – im kommenden Jahr nur zwei Prozent mehr an Honorar bekommen. In den beiden Folgejahren soll es Nullrunden geben, so die Vorschläge aus dem Bundesgesundheitsministerium.
Ärzte warnen vor noch längeren Wartezeiten
Parallel dazu soll die Neupatientenregelung fallen. Diese wurde vor drei Jahren für Fachärzte als Anreiz geschaffen, neue Patienten aufzunehmen. Deren Behandlung wird nicht aus einem gedeckelten Budget, sondern aus einem extra Topf bezahlt. Wird diese Regelung gekippt, warnen Mediziner vor (noch) längeren Wartezeiten auf Termine oder schlimmstenfalls Aufnahmestopps.
Hausärzteverband schlägt Alarm
Und: Auch die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) soll auf den Prüfstand. Diese sieht vor, dass der Hausarzt erste Anlaufstelle der Patienten ist, gegebenenfalls an Fachärzte weiter überweist, die gesamte Krankengeschichte im Blick hat.
Der Hausärzteverband Baden-Württemberg hat deshalb zwei Protesttage am 5. und 19. Oktober initiiert. Da Ärzte nicht streiken dürfen, werden Online-Fortbildungen angeboten, für die die Praxen geschlossen werden können. Mit welcher Motivation beteiligen sich Mediziner an dem Protest? Ein Stimmungsbild.
Die Landärzte aus Triberg
„Sie müssen entschuldigen, dass ich mich so aufrege. Aber es ist einfach frustrierend“, sagt Markus Ruch am Telefon. Wenn Ruch über seinen Alltag als Landarzt spricht und über die Kämpfe, die er jetzt schon täglich ausficht, wird schnell klar: An der Basis rumort es.
Ruch ist Internist, 41 Jahre alt, seit sechs Jahren in einer eigenen Praxis tätig. Mitten in Triberg, eine typische Landarztstelle, wie sie auch sein Kollege Thomas Schwarz inne hat. Die beiden benachbarten Praxen werden am Mittwoch zeitversetzt protestieren, um ihre Patienten dennoch versorgen zu können. Dass sie sich beteiligen, war für beide keine Frage.

„Die primäre Motivation sind für mich die Honorareinbußen der nächsten zwei, drei Jahre“, sagt Ruch. „Zwei Prozent mehr Honorar bei zehn Prozent Inflation, bei zunehmendem Leistungsdruck, steigenden Energie- und Personalkosten und dazu eine sieben-Tage-Woche: Das deckt sich nicht mehr“, fasst er zusammen. Immerhin trage er auch Verantwortung für elf Angestellte, deren Gehalt finanziert werden will.
„Man spricht uns die ärztliche Entscheidungskompetenz ab. Das hängt einem zum Hals heraus.“Markus Ruch über Zusammenarbeit mit Krankenkassen
Engstirnige Gängelei seitens der Krankenkassen, die jährlich ihre Rekord-Überschüsse feierten, sich aber zugleich weigerten, vom Arzt verordnete Krankengymnastik oder ein teures, aber lebenswichtiges Medikament für einen 80-Jährigen zu bezahlen: Das regt Ruch auf. „Man spricht uns die ärztliche Entscheidungskompetenz ab. Das hängt einem zum Hals heraus.“
Dilettantische Digitalisierung
Dass die Politik außerdem die Hausarztzentrierte Versorgung immer wieder in Frage stelle, die gerade für Landärzte so wichtig sei, kann Ruch nicht nachvollziehen. „Man muss sich nicht über die wachsende Unattraktivität des Berufs Landarzt wundern“, sagt er.
Man werde mit bürokratischem Kleinstkram drangsaliert, ebenso wie von der Digitalisierung, die seitens der Bundesregierung zugleich nur dilettantisch vorangetrieben werde. Ein Beispiel: „Die Kartenlesegeräte, die jetzt ausgetauscht werden müssen. Für kleine Praxen ist das viel Geld, wenn man überlegt, dass man für einen Ultraschall 17 Euro abrechnen kann.“
Würde der 41-Jährige mit dem Wissen von heute noch einmal dieselbe Laufbahn einschlagen? „Landarzt war eine bewusste Entscheidung, und ich habe Spaß am Beruf. Heute würde ich aber schauen, dass ich als Angestellter in der Schweiz in einem Praxiszentrum arbeite.“

Sein Kollege Thomas Schwarz ist 1997 in den Schwarzwald gekommen. Auch bei ihm war das eine bewusste Entscheidung. Er habe sie nie bereut. Die aktuellen Entwicklungen betrachtet er dennoch mit Sorge. „Ich bin 60 Jahre alt. Ich will einfach meine Patienten versorgen und in Ruhe gelassen werden“, sagt er.
„Unsägliche Jagd nach Einzelleistungen“
Dass das HZV-Modell immer wieder angegriffen werde, was zu einer „unsäglichen Jagd nach Einzelleistungen“ und extrem viel Bürokratie führe, kann er nicht nachvollziehen. „Ich bezweifle, dass das der richtige Weg ist, um Patienten optimal zu versorgen.“ Beim HZV-Modell binden sich die Patienten für eine gewisse Zeit an ihren Hausarzt. Dieser erhält pro Patient und Quartal eine Pauschale. Zugleich laufen bei ihm alle gesundheitlichen Fäden zusammen: Er überweist an Fachärzte und erhält auch deren Befunde.
Schwarz fürchtet insgesamt um die Zukunft des Berufsstandes: „36 Prozent der Hausärzte in Baden-Württemberg sind über 60 Jahre alt und schon jetzt finden viele keinen Nachfolger.“
Die Gemeinschaftspraxis in Schwenningen
Die hausärztliche Praxis und Corona-Schwerpunktpraxis von Johannes Guhl und seiner Kollegin Kathrin Weber wird am Mittwoch normal öffnen. Jedoch nicht, weil die Pläne der Bundesregierung hier Zustimmung finden würden.

„Wir haben Mittwoch mehr als 70 Impfungen im Kalender stehen, die können wir nicht absagen“, sagt Johannes Guhl. Zumal die Ankündigung zum Protest relativ kurzfristig – Ende September – kam. Die Gründe für den Unmut kann er voll und ganz nachvollziehen:
„Krankenhäuser hatten schon immer eine deutlich bessere Lobby.“Internist Johannes Guhl über die Gesundheitspolitik
„Alles, was von Gesundheitsminister Lauterbach kommt, ist sehr auf Kliniken und Pflegeheime ausgerichtet.“ Die medizinischen Fachangestellten der Praxis hätten als einzige Berufsgruppe im Gesundheitsbereich keinen Coronabonus erhalten, die Sekretärin im Krankenhaus hingegen schon. Woran liegt‘s? „Krankenhäuser hatten schon immer eine deutlich bessere Lobby“, sagt Guhl.
Auf dem Rücken der Patienten
„Und klar ist: Würde die Krankenhausstruktur zusammenbrechen, wäre das natürlich eine Katastrophe.“ Guhl weiß von ganzen Landstrichen, etwa in Brandenburg, in denen praktisch keinerlei klinische Versorgung mehr existiere: „Alles aus dem Berliner Speckgürtel fährt inzwischen nach Berlin.“ Er findet den Protest wichtig, um auch die Patienten für das Thema zu sensibilisieren: „Die Leute müssen erst verstehen, dass das auf ihrem Rücken ausgetragen wird.“