Das Unheil kam für Birgit Reuner in Form eines kleinen, silbernen Metallstücks. Eben dieser winzige Bügel an ihrer altersschwachen Brille knackte an einem Mai-Tag komplett durch. Ein Totalschaden.

Birgit Reuner sah von einem Moment zum anderen nur noch schemenhaft – und steckte in größeren finanziellen Nöten. Halb blind oder pleite, schuld an dieser Misere der Villingerin ist auch der Mangel an Augenärzten im Landkreis.

„Ich sehe dann nur noch Umrisse.“
Birgit Reuner, Brillenträgerin

Aber von Beginn an. Birgit Reuner bekommt Altersgrundsicherung und hat im Monat nur wenige hundert Euro zur Verfügung. Sie ist sparsam, baut viele Lebensmittel selbst an, hat sich im Winter zum Heizen sogar einen Kerzenofen gebastelt.

Jeder Euro wird mehrmals umgedreht. Eine Rechnung über 839 Euro für eine neue Brille sorgt da für einen echten finanziellen Schock. Doch mit -7 und -6,5 Dioptrin Sehschwäche, da geht es einfach nicht ohne Augengläser. „Ich sehe dann nur noch Umrisse“, erzählt die Villingerin.

Eine verzweifelte Suche beginnt

Birgit Reuner wandte sich an ihre Krankenkasse und bekam zunächst positiven Bescheid. Die Kasse sagte angesichts ihrer geringen Rente zu, einen Anteil von 240 Euro für die Brille zu übernehmen. Dafür sollte die Rentnerin einfach nur die Verordnung eines Augenarztes zusammen mit der Rechnung vorlegen. Einfach nur? Mitnichten. Denn nun begann für Birgit Reuner eine verzweifelte Suche.

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Die gebürtige Villingerin hat jahrzehntelang in Bayern gelebt und deswegen keinen Stamm-Augenarzt im Schwarzwald-Baar-Kreis. Sie fing an, reihum alle Fachärzte im ganzen Landkreis abzutelefonieren.

Beim einen gab‘s einen Termin im nächsten Januar, der nächste nimmt überhaupt keine neuen Patienten auf, bei vielen kommt Birgit Reuner nicht einmal durch. Keine Chance. Online das gleiche: „Eine Terminbuchung ist leider nicht möglich“, heißt es. Die Villingerin weiß weder ein noch aus. „Denn der Optiker wartet sicher nicht monatelang auf sein Geld“, klagt sie.

Die offizielle Geschichte und die reale Situation

Die Situation mit der Augenarzt-Versorgung im Landkreis, wie schlimm ist sie tatsächlich? Schlimm, sagen zumindest viele Betroffene. Die 83-jährige Hildegard Diestel etwa: Sie sah im April plötzlich doppelt. Die Suche nach einem Facharzt wurde damals zur nervenzehrenden Odyssee für die alte Dame. Selbst Stammpatienten mancher Mediziner in der Region erzählen immer wieder, dass sie viele Monate auf Kontrolltermine warten müssen.

Die offizielle Geschichte ist jedoch eine komplett andere: „Rein formal ist der Landkreis überversorgt“, betont Kai Sonntag, Presseprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW). Die Stelle ist zuständig für die Vergabe von Praxissitzen.

„Die Patienten haben einen Anspruch auf eine Behandlung, aber das Problem sind die Kapazitäten.“
Kai Sommer, Pressesprecher

Das die Realität anders aussieht, weiß jedoch auch Sonntag. „Viele Wartezimmer sind voll“, gibt er zu. 23 Augenärzte sind derzeit im Landkreis tätig – Ärzte, nicht Praxen, wie Kai Sonntag betont. Einige davon machen jedoch nur Spezialbehandlungen, etwa das Augenlasern. „Die Patienten haben einen Anspruch auf eine Behandlung, aber das Problem sind die Kapazitäten“, so der Pressesprecher.

Was können Birgit Reuner und andere Menschen in ihrer Lage also tun?

Kai Sonntag verweist hier auf die offenen Sprechstunden, die Augenärzte laut Gesetz wöchentlich anbieten müssten. „Da wird man auch behandelt“, so Sonntag. Die Termine seien auf der KVBW-Homepage ersichtlich. Auch über die Servicenummer 116 117 werden Facharzttermine vermittelt.

Wer hier einen schnellen Termin haben möchte, brauche dafür aber meist die Überweisung des Hautarztes mit Dringlichkeitscode. Für die Vermittlung zu einem Augenarzt jedoch ist kein solcher Code erforderlich. Eigentlich.

Auch Birgit Reuner hat daher den Weg über die Hotline versucht. Wieder eine Sackgasse. Nach gefühlt ewiger Wartezeit in der Telefonschlange – tatsächlich war es fast eine ganze Stunde – sei ihr sehr unfreundlich beschieden worden, sie solle sich als Nicht-Notfall gefälligst selbst um einen Termin kümmern. Auch Kai Sonntag gibt zu, dass die Servicenummer oft sehr überlastet sei. „Seit Corona werden wir überrannt mit Anrufen.“ Die KVBW wisse aber um das Problem und arbeite daran.

Hilfeschrei an die KVBW verhallt ungehört

Per E-Mail hat sich Birgit Reuner inzwischen hilfesuchend an die KVBW direkt gewandt. Mit Erfolg? Auch hier ein klares Nein. „Wir empfehlen Ihnen, gerne die ortsansässigen Augenarztpraxen zu kontaktieren“, heißt es lediglich im kurzen Antwortschreiben.

Erneutes Argument: Es handle sich schließlich um keinen Notfall. „Wir bedauern es sehr, Ihnen in diesem Fall nicht weiterhelfen zu können“, schreibt der Mitarbeiter der Terminservicestelle noch.

„Man ist wirklich verloren und im Stich gelassen“, klagt Birgit Reuner nun verzweifelt. Sie hat sich für die hohe Brillenrechnung nun fürs erste Geld von einer Freundin geborgt und stottert dieses monatlich ab.

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