Seit Jahresbeginn klafft in der fachärztlichen Versorgung im Schwarzwald-Baar-Kreis eine weitere Lücke: Es fehlt eine Kinderarztpraxis. Die zweijährige Nachfolgesuche von Christoph Leonhardt blieb erfolglos. Hunderte Familien stehen ohne Arzt für die Kleinsten da. Die bestehenden Praxen nehmen keine neuen Patienten auf, weil sie ohnehin schon überlastet sind.

Sparen, sparen, sparen

Was tut die Politik, um diesem Zustand abzuhelfen? Immerhin war es auch die Politik – wenngleich nicht die auf kommunaler Ebene – die in den frühen 90er Jahren den Grundstein für diesen Zustand gelegt hat. Denn rein rechnerisch gilt der Schwarzwald-Baar-Kreis kinderarzttechnisch als überversorgt.

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Damals ging es – wenig verwunderlich – ums liebe Geld. Die Kontingente für die Niederlassungsmöglichkeiten seien von der Politik eingerichtet worden, um den Kostenanstieg im Gesundheitswesen zu begrenzen und damit den Beitragssatz stabil zu halten, sagt Kai Sonntag, Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg. Die Zahl der Niederlassungsmöglichkeiten richte sich daher nicht nach der Nachfrage, sondern nach den zur Verfügung stehengen Finanzmitteln. Daher: „überversorgt“ – was den betroffenen Familien allenfalls ein müdes Lächeln entlocken dürfte.

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Hinzu kommt: Man könne natürlich keinen Arzt zwingen, einen Praxissitz zu übernehmen, sagt Sonntag. Viele junge Mediziner bleiben lieber in den Universitätsstädten, hat Christoph Leonhardt bei seiner selbst initiierten Suche nach einem Nachfolger zu spüren bekommen. Sein Villinger Praxisgebäude hat er mittlerweile einem Makler zur Vermarktung übergeben und ist mit 67 Jahren im Ruhestand. Wäre er rückblickend lieber Klinikarzt geblieben? „Nein“, sagt Leonhardt. „Nirgends ist man so nah am Patienten und den Familien wie in der eigenen Praxis.“

Wahrnehmung contra Versorgungsgrad

Das Thema beschäftigt auch die Landtagsabgeordnete Martina Braun (Grüne) seit Längerem: Sie habe schon mehrfach Kontakt mit der KVBW und verschiedenen Bürgermeistern gehabt, berichtet sie. Der von der KVBW ausgewiesene Versorgungsgrad von Kinder- und Jugendärzten im Schwarzwald-Baar-Kreis von 113 Prozent stehe der Wahrnehmung und den Erfahrungen von Eltern entgegen. Auch sei das KV-Förderprogramm Ziel und Zukunft so ausgestaltet, dass neue Praxen in vielen Bereichen des Landkreises nicht gefördert würden, kritisiert sie.

„Den Landarzt, der 24/7 da ist, wird es so nicht mehr geben.“
Martina Braun, Landtagsabgeordnete

Dem Strukturwandel in der ärztlichen Versorgung will sie mit neuen Modellen begegnen:
„Ich bin im Kontakt mit dem Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband und zwei Unternehmen, die genossenschaftlich getragene Praxen und Medizinische Versorgungszentren in anderen Landesteilen bereits erfolgreich betreiben“, sagt Martina Braun. „Wir müssen neu denken und neue Modelle etablieren. Den Landarzt, der 24/7 da ist, wird es so nicht mehr geben.“

Landtagsabgeordnete Martina Braun von den Grünen hat sich bereits mit genossenschaftlich getragenen Praxen und Versorgungszentren ...
Landtagsabgeordnete Martina Braun von den Grünen hat sich bereits mit genossenschaftlich getragenen Praxen und Versorgungszentren befasst. Der klassischen Landarzt, der sieben Tage die Woche rund um die Uhr da sei, werde es so nicht mehr geben, sagt sie. | Bild: Grüne SWB

Sie sei deshalb auch mit dem Sprecher der hiesigen Ärzteschaft in Kontakt getreten, um in der Region mit den Ärztinnen und Ärzten gemeinsam diese neuen Modelle und Möglichkeiten zu besprechen. „Ich hoffe sehr darauf, dass wir etwas auf den Weg bringen“, sagt Braun.

KVBW stellt sich in Tuningen quer

Es sei tatsächlich nicht die Aufgabe von Bürgermeistern, auf Arztsuche zu gehen, allerdings hänge die Attraktivität einer Stadt von entsprechender Infrastruktur ab. „Deshalb bemühen sich die Bürgermeister darum.“ In Tuningen beispielsweise habe Bürgermeister Ralf Pahlow sogar eine Arztpraxis in einem Neubau mitten in Tuningen angemietet und eine interessierte Ärztin gefunden. Hier habe die KVBW aber zunächst einmal den Arztsitz nicht genehmigt, weil der Start der Praxis aufgrund von Baumaßnahmen nicht innerhalb von sechs Monaten nach Zulassung gesichert werden konnte.

WTVS hilft bei Antragstellung

Ist die Stadt VS aktiv, um die Versorgungslücke zu schließen? Von Seiten der Verwaltungsspitze werde das Thema an allen relevanten Stellen platziert, so Oxana Zapf, Sprecherin der Stadtverwaltung. Könnte die Stadt aber nicht auch selbst versuchen, junge Ärzte anzulocken, beispielsweise durch vergünstigte Bauplätze oder Zuschüsse bei der Übernahme einer Praxis? „Das alles sind politische Entscheidungen“, so Zapf. Aktuell gebe es kein Vorgehen in dieser Richtung, zumal sich das Oberzentrum in einer schwierigen finanziellen Lage befinde.

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Wo man unterstützen könne, tue man dies auch, so beispielsweise durch die Wirtschafts- und Tourismus GmbH (WTVS). Diese habe beispielsweise bei der Nachbesetzung der Praxis von Andreas Erdel in Obereschach durch Sabine Kleimaier und Julia Heidlauf geholfen, Fördergelder zu beantragen. So hätten die beiden Medizinerinnen für die Praxisübernahme einen Zuschuss in Höhe von 10.000 Euro erhalten.

Der St. Georgener Bürgermeister Michael Rieger kennt das Problem fehlender Fachärzte gut. In der Bergstadt konnten mehrere Praxen nicht ...
Der St. Georgener Bürgermeister Michael Rieger kennt das Problem fehlender Fachärzte gut. In der Bergstadt konnten mehrere Praxen nicht direkt wieder besetzt werden, einen Kinderarzt gibt es überhaupt nicht mehr. | Bild: Ganter, Patrick

In der Nachbarstadt St. Georgen hat Bürgermeister Michael Rieger das Thema Fachärztemangel schon vor Jahren zur Chefsache erklärt, nachdem in der Bergstadt nach und nach Kinderarzt, Gynäkologe und Augenarzt weggefallen waren. Unter anderem wurde mit Plakataktionen an den Stadteinfahrten nach Ärzten gesucht – mit Erfolg: Für die Praxis eines Hausarztes konnte auf diese Weise ein Nachfolger gefunden werden. Auch nach einer Gynäkologin wurde mit Hilfe von Plakaten gesucht – auch diese Lücke wurde mittlerweile geschlossen.

„Die Versorgung mit Ärzten, insbesondere mit Fachärzten, gehört schon lange auf den Prüfstand.“
Michael Rieger, Bürgermeister St. Georgen

Rieger, selbst Vater von drei Kindern, ärgert sich über die aktuelle Situation. Einen Kinderarzt konnte die Bergstadt bis heute nicht finden. Der Arztsitz der 2017 geschlossenen Praxis ist zwar nicht verfallen, sondern ging nach Donaueschingen. Den Familien in St. Georgen und Umgebung, von denen viele auch Patienten der Praxis Leonhardt waren, hilft das aber auch nicht weiter.

„Die Versorgung mit Ärzten, insbesondere mit Fachärzten, gehört schon lange auf den Prüfstand, denn die derzeitige Situation ist generell alles andere als befriedigend und sie ist auch nicht nachvollziehbar“, sagt Rieger.