Wenn Barbara Würtz beispielsweise im nächsten Winter einen schlimmen Infekt bekommt, dann steigt sie ins Auto. Fährt mit Dauerhusten und Fieber 200 Kilometer nach Rheinland-Pfalz, geht zum Arzt, fährt schnupfend die drei Stunden wieder zurück. Der Grund: In ganz Villingen-Schwenningen und Umgebung findet die 58-jährige, chronisch kranke Neubürgerin keinen Hausarzt.
„Ich bin wirklich verzweifelt.“ Der Satz bringt auf den Punkt, wie es Barbara Würtz derzeit geht. Die Frührentnerin kommt aus der Nähe von Zweibrücken und lebt seit dem 10. Mai in Schwenningen. Hübsche Neubauwohnung, Erstbezug, gemütliche Terrasse und ein kleines, sattgrünes Rasenstück davor – es könnte alles so schön sein.
Ein frustrierender Telefon-Marathon
Könnte. Wäre da nämlich nicht die Sache mit dem Hausarzt. Barbara Würtz leidet unter der chronischen Schmerzerkrankung Fibromyalgie, braucht häufig Rezepte für ihre Medikamente, muss immer wieder zu Kontroll- und Blutuntersuchungen. Weil sie dies weiß, beginnt sie schon Monate vor ihrem Umzug, sich in der neuen Heimat nach einem neuen Mediziner ihres Vertrauens umzuschauen.
„Ich habe mir eine Liste mit allen Ärzten in der Stadt ausgedruckt und angefangen zu telefonieren“, erzählt die Neu-Schwenningerin, die seit einem schweren Unfall auch Pflegegrad 2 hat. Stundenlang, tagelang tätigt sie einen Anruf nach dem anderen.

Wie diese Gespräche sind? Vor allem eins: allesamt kurz, sehr kurz. „Wir sind voll, nehmen keine neuen Patienten auf“, sei bei jedem einzelnen Gespräch die sofortige Ansage gewesen. Fertig. Dass sie chronisch krank ist und unbedingt einen Arzt braucht, bis zu dieser Erklärung kommt Barbara Würtz erst gar nicht.
Aufnahmestopp im Radius von 30 Kilometern
Die 58-Jährige gibt nicht auf, versucht es auch weiter entfernt. Bei Praxen in Donaueschingen, in Deisslingen, in Rottweil fragt sie an. Selbst 30 Kilometer entfernt von Schwenningen meldet sie sich. Der Erfolg wiederum: gleich null. Barbara Würtz scheitert erneut an diesem Wort: „Aufnahmestopp“. „Wenn jemand stirbt, rücken sie nach“, heißt es bei einer der Praxen. Würtz wendet sich nun an die Ärztekammer, die Krankenkasse – keiner kann ihr weiterhelfen. „Ich sehe so langsam kein Licht mehr am Horizont“, sagt die 58-Jährige verzweifelt.
Entwicklung macht große Sorgen
Dass die Lage prekär ist, weiß auch die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW). Über 900 unbesetzte Hausarztsitze gibt es derzeit im Ländle, so Pressesprecherin Gabriele Kiunke. Im Schwarzwald-Baar-Kreis, der in zwei Bereiche aufgeteilt ist, gebe es im Raum Donaueschingen derzeit acht hausärztliche Niederlassungsmöglichkeiten, in VS sind es 17 freie Arztsitze. „Wir wissen, dass die hausärztliche Versorgung in vielen Gebieten in Baden-Württemberg problematisch ist und sehen diese Entwicklung mit großer Sorge“, so Kiunke.
Doch was können Menschen wie Barbara Würtz nun tun? Gabriele Kiunke nennt hier die Onlinesprechstunde Docdirect sowie die Terminservicestelle 116 117. Diese könne bei der Suche nach einem Hausarzt unterstützen, zudem sei es möglich, online selbst einen Termin zu buchen.
Barbara Würtz schüttelt nur den Kopf. Auch diesen Weg hat die Schwenningerin bereits versucht. Bei der 116 117 hing sie stundenlang in der Warteschleife – nur um dann zu erfahren, dass es hier offenbar nur Hilfe in akuten Fällen gibt. Wieder eine Sackgasse.
„Bei einem Umzug sollte auch in Erwägung gezogen werden, den bisherigen Hausarzt beizubehalten“, so KVBW-Sprecherin Kiunke weiter. Dank E-Rezept sei zumindest für die Ausstellung eines Folgerezepts nicht unbedingt ein Praxisbesuch erforderlich. Viele Praxen böten inzwischen auch telemedizinische Sprechstundentermine an.
Nicht die von Barbara Würtz in ihrer früheren Heimat Zweibrücken. Derzeit bleibe ihr nur die Möglichkeit, die 200 Kilometer dorthin zu fahren oder aber mit einer Grippe die Notaufnahme aufzusuchen. „Dass das so kommt, hätte ich nie geglaubt“, sagt Würtz und schüttelt den Kopf. „Ich dachte wirklich, dass es in einer Stadt wie Villingen-Schwenningen genügend Ärzte gibt.“ Den Medizinern, die oftmals an der Belastungsgrenze arbeiten, will sie explizit keinen Vorwurf machen.
Übrigens: Auch Beagle Ayla ist mit ihrem Frauchen nach Schwenningen gezogen. Für die 14-jährige Hundedame hat Barbara Würtz sofort einen Tierarzt vor Ort in Schwenningen gefunden.