Die Wut, die Enttäuschung, hat sie fest im Griff. Noch bevor der Prozess zu Ende ist, stürmen Verwandte des Klägers aufgebracht aus dem Saal. „Sowas lassen wir uns nicht bieten“, „wir melden das der Ärztekammer“ rufen sie.

Ein Behandlungsfehler?

Dabei hat der Prozess mit klaren Worten begonnen: „Sie sind in einer schwierigen Position“, deutet Richter Peter Jochem an. „Sie müssen der Gegenseite einen Fehler nachweisen.“

Sie: Das sind die Eltern eines Jungen, der vor zwei Jahren im Schwarzwald-Baar-Klinikum am Hoden operiert wurde. Und während der OP sei es zu den starken Verbrennungen gekommen. „Die Narben sieht man noch heute“, sagt der Vater des Jungen. Überall vom Gesäß bis zur Hüfte sei sein Sohn mit Narben übersäht. „Ein einziges Narbenfeld.“

Verbrennungen oder Hautreizungen?

Nur: Das Klinikum sieht das anders. Während der OP sei es zu Hautreizungen gekommen, sagt der operierende Arzt. Klingt ähnlich. Doch juristisch ist das ein gewaltiger Unterschied. Denn: Die Eltern haben auf Schadensersatz geklagt – und waren vor der OP auf Nebenwirkungen wie Hautreizungen hingewiesen worden, gestehen sie vor Gericht.

Wie ist der Strom bei der OP geflossen?

Und so versuchen sie, Behandlungsfehler nachzuweisen und ziehen dazu mehrfach den OP-Bericht heran. Daraus wollen sie lesen, dass während der OP monoplar gearbeitet wurde, auch wenn das Protokoll keine Anhaltspunkte dafür liefert.

Um zu verstehen, warum das Wort monopolar so wichtig ist, muss man wissen, dass in der Chirurgie Geräte zum operativen Alltag gehören, durch die Strom fließt. Und wo Ströme fließen, können auch Risiken entstehen. Ganz besonders beim Monopolarverfahren, wo Strom vom Gerät, zum Instrument, durch den Patienten fließt – und über eine Neutralelektrode wieder aufgenommen wird.

Bei falscher Anwendung kann es hier tatsächlich zu Verbrennungen kommen.

„Wir arbeiten immer bipolar“

Ganz anders: Die bipolare Variante, bei welcher der Strom nur im Gewebebereich zwischen zwei Polen fließt – und nicht durch den Körper des Patienten.

„Wir arbeiten immer bipolar“, sagt der Arzt, der die OP geleitet hat. Folgt man seinen Aussagen, habe er noch nie monopolar gearbeitet. „Das mache ich nicht. Zu gefährlich“, sagt er. Auch die Schnittführung und das Schadensbild – also die Anordnung der Hautreizungspunkte – passe nicht zur monopolaren Variante, sagt ein Sachverständiger vor Gericht.

War das Desinfektionsmittel abgelaufen?

Aber was ist mit dem Desinfektionsmittel? War da nicht im OP-Bericht ein Mittel aufgeführt, dass schon seit fünf Jahren abgelaufen war? Könnte das eine solche Verbrennung oder Hautreizung hervorgerufen haben, will der Vater wissen.

„Nein, weil wir nicht das abgelaufene Mittel verwendet haben“, sagt der Arzt.

Ein EDV-Fehler?

Es mag etwas wild klingen, dass im OP-Bericht alles, was verwendet wurde – und alles, was nicht verwendet wurde, sich aber im OP-Saal befand – fein säuberlich aufgelistet ist. Das Desinfektionsmittels sogar mit Markenname.

„Und dann soll ein anderes Mittel mit anderem Markennamen verwendet worden sein?“, fragt die Anwältin der Eltern irritiert.

„Ja. Wir haben damals aus der Apotheke erfahren, dass das Desinfektionsmittel gar nicht mehr im Haus, also auch nicht abgelaufen da war, sondern nur im EDV-System falsch hinterlegt war. Und so auf den OP-Bericht gelangt ist“, sagt der Arzt vor Gericht.

Keine Anhaltspunkte für einen Fehler

Mehr potentielle Beweise für einen Behandlungsfehler haben die Eltern nicht – und so ist es Richter Jochem, der betont: „Bei mir schlagen zwei Herzen in der Brust. Ich bin auch Vater und weiß, was es heißt, wenn man verstehen will, was passiert ist.“

Und: „Was ich Ihnen gleich sage, heißt nicht, dass ihrem Sohn nichts passiert ist. Im Schadensrecht ist es aber so: Sie müssen es nachweisen. Und da sehen wir juristisch keine Anhaltspunkte für einen Fehler.“

Das Gericht hat den Eltern die Möglichkeit gegeben, die Klage zurückzuziehen. Sie entschieden sich dagegen und klagen weiterhin. Ein Termin zur Urteilsverkündung steht noch aus.