Die Zahl von tatverdächtigen Kindern und Jugendlichen hat im Schwarzwald-Baar-Kreis 2022 enorm zugelegt. Das zeigt die Kriminalitätsstatistik des Polizeipräsidiums Konstanz.

Konkret heißt das: Bei strafunmündigen Kindern – also unter 14-Jährigen – hat sich die Fallzahl im Vergleich zum Jahr 2021 um 91 auf 213 Fälle gesteigert. Und auch bei den Jugendlichen (ab 14 Jahren) zeigt die Entwicklung deutlich nach oben: 2022 gab es 430 Fälle, das sind fast einhundert mehr als noch im Vorjahr.

Und auch in der Fünf-Jahres-Perspektive stellt 2022 fast durchgehend seit 2018 einen klaren negativen Ausreißer nach oben dar. Wobei die Statistik nicht erfasst, ob die Verdächtigen dann auch tatsächlich wegen der genannten Vorwürfe am Ende auch belangt wurden.

Bild 1: Kinder- und Jugendkriminalität steigt sprunghaft an
Bild: Müller, Cornelia

Kinder-Kriminalität

Im Schwarzwald-Baar-Kreis wurden im vergangenen Jahr 213 Kinder angezeigt. An erster Stelle stehen bei den unter 14-Jährigen Diebstähle, und zwar „Diebstähle ohne erschwerende Umstände“, meist Ladendiebstähle. Insgesamt 108 dieser Delikte wurden im vergangenen Jahr von Kindern begangen – im Jahr 2021 waren es noch 60 gewesen.

An zweiter Stelle unter allen Delikten, die von Kindern im Jahr 2022 im Schwarzwald-Baar-Kreis verübt wurden, stehen bei tatverdächtigen Kindern 39 Fälle von Rohheitsdelikten. Dazu zählt insbesondere körperliche Gewalt.

„Die Rohheitsdelikte bei Kindern umfassen größtenteils Körperverletzungsdelikte und zwei Einzeldelikte der Kategorie Raub/räuberische Erpressung“, erklärt Jörg-Dieter Kluge, Sprecher des Polizeipräsidiums Konstanz.

Jörg Kluge, Sprecher des Polizeipräsidiums Konstanz.
Jörg Kluge, Sprecher des Polizeipräsidiums Konstanz. | Bild: Göbel, Nathalie

Auf dem dritten Platz der Delikte stehen Sachbeschädigungen (34, im Jahr zuvor waren es nur 13 Fälle gewesen).

Pornobilder über Handys verbreitet

Elf Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, ausgeübt von tatverdächtigen Kindern, gab es im vergangenen Jahr im Kreis. „Sexuelle Selbstbestimmungsdelikte bei Kindern und Jugendlichen umfassen ausschließlich die Verbreitung pornografischer Schriften, zum Beispiel über das Handy“, erklärt Kluge.

Es gab außerdem acht Fälle von Diebstahl unter erschwerenden Umständen, die unter 14-Jährige begangen haben sollen (2021: nur ein Fall). Und trotz der sehr jungen Altersklasse finde sich bereits zwei Fälle im Zusammenhang mit Rauschgift.

Was beim Lesen der Statistik auffällt: Es werden auch zwei Tatverdächtige unter der Rubrik „Straftaten gegen das Leben“ aufgeführt. Was ist da passiert? „Zwei strafunmündige Kinder haben den Versuch zur Anstiftung zum Totschlag unternommen. Dieser Versuch hat sich vornherein als untauglich erwiesen“, erläutert Tatjana Deggelmann, Sprecherin des Polizeipräsidiums Konstanz. Das Verfahren sei zwischenzeitlich von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden.

Kinder- und Jugendkriminalität in der Diskussion

Jugend-Kriminalität

In der Altergruppe der Jugendlichen, also der 14- bis unter 18-Jährigen, wurden im vergangenen Jahr 430 Personen im Schwarzwald-Baar-Kreis angezeigt.

„Diebstahl ohne erschwerende Umstände“ (129 Fälle, in 2021 nur 76 Fälle) stehen bei den Straftaten, wegen derer Jugendliche verdächtigt wurden, an erster Stelle. An zweiter Stelle der Jugendlichen zu Last gelegten Straftaten stehen Rohheitsdelikte. „Zu vier Fünfteln Körperverletzungsdelikte und wenige Raubdelikte wie zum Beispiel räuberische Erpressung und Raub“, sagt Kluge. Konkret ging es um 117 Fälle (2021: 67).

Außerdem gab es 47 Sachbeschädigungen, 41 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, 33 Vermögens- und Fälschungsdelikte, 22 schwere Diebstähle und zehn Beleidigungen im Schwarzwald-Baar-Kreis – alles Delikte mit steigender Tendenz.

Einzig bei der Rauschgiftkriminalität (Platz drei) gibt es eine positive Entwicklung: Hier gehen die Fallzahlen seit mindestens 2018 kontinuierlich zurück und erreichten 2022 mit 70 Fällen einen neuen Tiefpunkt.

Einschätzungen von Experten

Polizei-Psychologe Adolf Gallwitz war bis zur Pensionierung an der Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen tätig und ist Experte für Jugendkriminalität und Profiling. Er vermutet hinter der wachsenden Kinder- und Jugendkriminalität Nachwirkungen der Pandemie mit ihren Begleiterscheidungen. Auch der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, äußerte sich zum Beispiel gegenüber dem ZDF in dieser Richtung.

Der generelle Hintergrund: Kinder und Jugendliche waren in der Pandemiezeit in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt, mussten zum Beispiel oft zu Hause bleiben. Damit gab es einerseits auch weniger Gelegenheiten und Anlässe zu strafbaren Handlungen. Aber andererseits führten diese Einschränkungen womöglich auch zu Gewalterfahrungen daheim, auch zu aufgestautem Stress, etwa weil keine Treffen mit Gleichaltrigen sowie weniger kinder- und jugendtypische Erfahrungen möglich waren. Mit den Lockerungen entluden sich diese Frustrationen und die nachgeholten Entwicklungen auch in vermehrten Delikten, so eine der Vermutungen.