Am 9. Dezember kommt es im Gemeinderat zum Schwur. Dann muss das Gremium entscheiden, ob die Stadt aus dem umstrittenen Straßenbauprojekt der Ostanbindung Schwenningens an die Bundesstraße 523 nach rund 20 Jahren politischer Diskussionen und Planungen in letzter Minute aussteigt.
Die Fraktionen von Freien Wählern, Grünen und SPD haben dies so beantragt und sind offenbar gewillt, dem Straßenprojekt den Todesstoß zu versetzen. Oberbürgermeister Jürgen Roth (CDU) versucht indes, der Industrielobby entgegenzukommen und das drohende Aus mit einer möglichen Kompromissvariante in letzter Minute zu verhindern. Es wird also spannend, wer sich durchsetzt. Zum ersten politischen Schlagabtausch dürfte es am Dienstag, 1. Dezember, in der Sitzung des Technischen Ausschusses in der Tonhalle kommen.
Kostenschock
Rückblende: Noch im Januar 2020 hatte der Gemeinderat dem Straßenvorhaben mehrheitlich zugestimmt. Allerdings gab es schon damals erhebliche Widerstände. Vor allem wegen der Kosten. Die lange Planungsphase des Projekts hat der Stadt herbe Mehrkosten beschert. So mussten 2019 die Sicherheitsstandards des Straßenausbaus neu angepasst werden, da die ursprüngliche Planung noch von 2005 stammt. Zugleich wurde 2019 die Kosten neu berechnet. Das Ergebnis war ein Kostenschock: Mit 10,4 Millionen Euro wurde Ostanbindung mehr als doppelt so teuer als ursprünglich berechnet. Und das für ein Straßenstück mit gerade Mal 531 Meter Länge.

Im vergangenen Januar war eine Mehrheit im Gemeinderat noch bereit, diese Kostenkröte zu schlucken. Denn eine weitere Verzögerung hätte bedeutet, dass das acht Jahre gültige Planfeststellungsverfahren ausläuft und der Straßenbau um Jahre zurückgeworfen wird.
Zum anderen gab es im Rat durchaus Bereitschaft, dem jahrlangen Drängen von Schwenninger Unternehmen im Industriegebiet-Ost nachzukommen. Diese fordern eine bessere Anbindung des Industriegebiets an das überörtliche Straßennetz, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Außerdem argumentierten sie, auch die Allgemeinheit würde von der Straße profitieren: Die Schwenninger Ortsdurchfahrt würde bis 2025 um täglich 7600 Fahrzeuge, darunter 500 Laster, entlastet. Das hatte ein Fachbüro ausgerechnet.
Druck von Waldmann
Einer, der hier vor allem Druck machte, war der Unternehmen Gerhard Waldmann, dessen Betrieb im Industriegebiet-Ost steht. Als Präsident des Gewerbeverbandes Oberzentrum (GVO) betrieb er intensive Lobbyarbeit für die Straße. Mit dem Gemeinderatsbeschluss vom Januar wähnten sich Waldmann und seine Unternehmerkollegen am Ziel.
Doch im März kam Corona. Die Folgen der Pandemie wälzten die Finanzplanung der Stadt vollständig um. Die kritische Finanzlage der Kommune geriet weiter in Schieflage. Es war schließlich die Fraktion der Freien Wähler, die im Sommer auf die Grünen – die schon immer das Straßenprojekt ablehnten – sowie auf die SPD zuging und sich auf die Ablehnung des Straßenprojekts verständigten. In einem gemeinsamen Antrag forderten sie Ende September den Verzicht auf den Straßenbau. Die Kosten seien in dieser Zeit „nicht zu verantworten“, heißt es in der Begründung der drei Fraktionen, die im Gemeinderat eine knappe Mehrheit haben.

Die Ablehnungsfront
Erst müsse die vorhandene Infrastruktur in VS saniert werden, bevor Neues gebaut werde. Andreas Flöß, der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler, weist heute darauf hin, dass mit der Konversion des Kasernengeländes Mangin in Villingen eine finanzielle Großaufgabe auf die Stadt warte. Dazu komme die millionenschwere Sanierung des Schulverbundes am Deutenberg oder des Theaters am Ring.
„Mit der Ostanbindung wird nur eine kleine Klientel von wenigen Unternehmen bedient“, urteilt Flöß. „Wenn wir aber nur wenig Geld haben, dann müssen wird dies für die breite Allgemeinheit einsetzen“, findet er. Auch eine abgespeckte Planung lehnt er ab, da diese immer zu teuer sei.
Edgar Schurr, der SPD-Fraktionssprecher, sieht dies angesichts zahlreicher Sanierungsvorhaben der Stadt ebenso. „Alles wird nicht gehen.“ Daher sei das Straßenprojekt am ehesten verzichtbar. Die SPD werde zwar noch mit dem sehr enttäuschten Gewerbeverband reden. Dabei werde es aber wohl vor allem darum gehen, für gegensätzliche Positionen Verständnis zu wecken. „Ich gehe davon aus, unsere Fraktion bei ihrer Meinung bleibt und die Mehrheit gegen die Straße steht“, äußerte Schurr.

Bei den Grünen ist die Sachlage ohnehin klar. Sie haben von Anfang an das Vorhaben als unnötig beurteilt. „Wir brauchen diese Straße nicht“, betont Fraktionssprecher Joachim von Mirbach. Seine Ratskollegin Helga Baur hat schon vor Wochen intensive Verkehrsbeobachtungen im Schwenninger Osten gemacht und kam zum Ergebnis, dass das Argument einer Verkehrsentlastung für die Ortsdurchfahrt Schwenningen durch die geplante neue Straße nicht stichhaltig sei.
Helga Baurs Beobachtungen
Die meisten Laster aus den Industriegebieten Rammelswiesen und Schwenningen-Ost, die nach Westen wollen, fahren demnach nicht quer durch Schwenningen, sondern einmal im Viereck herum: Sie verlassen nach ihren Beobachtungen die Stadt über die Rottweiler Straße nach Osten. Bei Mühlhausen fahren sie auf die B 27 nach Norden und dann über die B 523 zurück nach Westen.
Helga Bauer hat die Fahrzeit dieser Strecke vom Kreisverkehr in der Rottweiler Straße beim Aldi-Markt bis zum geplanten Anschlusspunkt der neuen Straße an der B 523 mit der Uhr gestoppt. „Die Fahrzeit beläuft sich sechs Minuten“, berichtet sie. Wegen sechs Minuten längerer Fahrzeit benötige man keine neue Straße.
Und noch ein Argument bringt sie vor: Seit der Kreisverkehr beim Aldi vor einigen Jahren gebaut wurde, habe sich die Verkehrssituation im Schwenninger Osten deutlich entspannt. „Ich halte die Straße für überflüssig, mich ärgert auch die Schneise, die dafür bereits in den Wald geschlagen wurde“, so die Stadträtin.
Als bislang einzige Fraktion im Gemeinderat hat sich zuletzt nur die FDP öffentlich für das Straßenbauprojekt ausgesprochen. Dieses Projekt sei eine wichtige Infrastrukturmaßnahme und eine Investition in den Standort Villingen-Schwenningen, sagte Fraktionschef Frank Bonath.
Die CDU als größte Fraktion schweigt dagegen bislang. Beobachter glauben, die Fraktion sei in der Frage gespalten. Man habe sich noch nicht entschieden, sagt dagegen Fraktionssprecher Klaus Martin. Er verweist auf laufende Gespräche mit dem Gewerbeverband und will abwarten, welche Vorschläge die Stadtverwaltung noch präsentieren wird.
Diese will in der Tat noch präsentieren. Offensichtlich versucht OB Jürgen Roth in Rücksicht auf die Schwenninger Unternehmer jetzt noch zu retten, was zu retten ist. Das lässt sich aus der aktuellen Sitzungsvorlage herauslesen, mit der sich der Technische Ausschuss nächste Woche befassen wird. Darin steht, dass für das Projekt bereits fast 600 000 Euro für Planungsaufträge, Rodungen, Ausgleichs- und Artenschutzmaßnahmen ausgegeben worden seien, die verloren seien, wenn man das Vorhaben aufgebe.
Stadt jetzt für Ampellösung
Die Stadtverwaltung sehe aber noch die Chance, in Verhandlungen mit dem Regierungspräsidium eine kostengünstigere Lösung zu verhandeln. Die Strategen der Stadt liebäugeln dabei mit der Anbindung der geplanten Straße an die B 523 mit einer Ampelanlage. Damit könnte beim Bau auf die kostspieligen Auf- und Abfahrten an die B 523 mit Brückenbauwerk, Rampen und Stützmauern verzichtet werden. Kosteneinsparung: Rund 3,8 Millionen Euro, so die Planer der Stadt.
Bleibt die Frage, ob dies mehr als reines Wunschdenken ist. Denn Bund und Land müssten dem Ampelanschluss zustimmen. Bislang aber hat das Regierungspräsidium Freiburg als deren ausführendes Organ derartige Vorschläge abgelehnt. Gleichwohl will die Stadtverwaltung über den Vorschlag einer „abgespeckten Variante“ im Gemeinderat abstimmen und sich ein Mandat für neue Verhandlungen geben lassen. Wenn das Regierungspräsidium den Ampelanschluss dann erneut ablehnt, hätte sich das Vorhaben ohnehin erledigt. Es scheint aber auch durchaus möglich, dass eine Ratsmehrheit auch eine „abgespeckte Variante“ schon am 9. Dezember vom Tisch wischt und das Projekt gleich beerdigt.