** Bei diesem Artikel handelt es sich um eine aktualisierte Version. Zunächst hatten wir berichtet, dass der muttersprachliche Unterricht nach Angaben des Tuttlinger Oberbürgermeisters (OB) Michael Beck vom Islamverband Ditib organisiert werde, was das Misstrauen zahlreiche Schulrektoren in Tuttlingen wecke. Daraufhin hatte der SWR berichtet. Auf der Webseite der Stadt Tuttlingen wurde die entsprechende Pressemitteilung von OB Beck inzwischen geändert, die Ursprungsversion liegt dem SÜDKURIER aber vor. Auf die nachträgliche Änderung der Pressemitteilung wird auf der Tuttlinger Webseite nicht hingewiesen. In der ersten Version hatten wir Beck zudem damit zitiert, dass die Ditib vom Verfassungsschutz beobachtet werde. Dies ist aber so nicht richtig. Daher haben wir den folgenden Text angepasst. Dazu dokumentieren wir die Stellungnahme der Stadt Tuttlingen vom 2. Dezember 2024, 15.36 Uhr, auf eine Nachfrage des SÜDKURIER: „Der Fehler lag eindeutig bei uns: Organisiert wird der Unterricht nicht von der Ditib, sondern über die Konsulate. Zum Zeitpunkt des Interviews war uns dies leider noch nicht bewusst. Dass uns dieser Fehler unterlaufen ist, ärgert uns sehr. Auch in Tuttlingen wird der Unterricht über die Konsulate organisiert. Dies ändert aber letztlich nichts am zentralen Kritikpunkt – nämlich dass hier Unterricht stattfindet, der sich der Kontrolle des deutschen Staates entzieht.“

Mit einer Antwort rechne er nicht, sagt Michael Beck. Der Tuttlinger Oberbürgermeister hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann trotzdem geschrieben und auf eine Tatsache aufmerksam gemacht, die ihm seit Längerem aufstößt: Nämlich, dass der muttersprachliche Unterricht in Baden-Württemberg – wie auch in Bayern – ausschließlich von den Konsulaten organisiert wird und auf deutscher Seite keinerlei staatlicher Kontrolle unterliegt.

In anderen Bundesländern wird dieser Zusatzunterricht entweder vom deutschen Staat oder in Kooperation angeboten.

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Konsulatsunterricht in der Kritik

Schon vor einigen Jahren war der Konsulatsunterricht in die Kritik geraten, explizit der türkische. Vor allem, als Präsident Recep Tayyip Erdogan nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei massenhaft unliebsame Staatsbedienstete suspendierte und entließ.

Der Tuttlinger Oberbürgermeister Michael Beck.
Der Tuttlinger Oberbürgermeister Michael Beck. | Bild: Stadtverwaltung Tuttlingen

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Baden-Württemberg hat in den vergangenen Jahren schon mehrfach gefordert, den Unterricht unter staatliche Aufsicht zu stellen. Passiert ist allerdings nichts.

„Wir lassen es zu, dass ein islamistischer Autokrat direkt in unsere Klassenzimmer hineinwirkt.“
Michael Beck, Oberbürgermeister von Tuttlingen, in seiner Pressemitteilung.

Wo liegt das Problem bei dem von den Auslandsvertretungen organisierten Unterricht? In der früheren Version des Mitteilung stand, dass der Unterricht von Ditib organisiert werde, der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion.

In der aktualisierten Fassung fehlt der Hinweis auf Ditib, aber es heißt wörtlich, der Unterricht werde „ohne Mitwirkung der deutschen Schulbehörden unmittelbar von türkischen Behörden organisiert, die unmittelbar Präsident Erdogan unterstellt sind“.

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„Wir lassen es zu, dass ein islamistischer Autokrat direkt in unsere Klassenzimmer hineinwirkt“, so Beck, seit 2004 Oberbürgermeister und zuvor Richter am Verwaltungsgericht Sigmaringen.

Lehrer sprechen nicht mal Deutsch

Weder die Stadt als Schulträger noch die Schulleitungen, noch das staatliche Schulamt hätten dabei auch nur im Geringsten einen Einblick, was den Kindern und Jugendlichen vermittelt werde.

Einige der Lehrkräfte, die für den Unterricht direkt aus der Türkei entsandt werden, würden zudem weder Deutsch noch Englisch sprechen, so dass die Kommunikation von vorne herein erschwert bis unmöglich sei.

Die Inhalte bereiten Sorge

Was Beck betont: Niemand stelle den muttersprachlichen Zusatzunterricht in Frage. Dass Kinder davon profitieren, mehrsprachig aufzuwachsen, sei unbestritten.

Es sind die Inhalte des Unterrichts, die Beck Sorge bereiten. Inhalte, die vorbei am deutschen Schulsystem in die Klassenzimmer getragen werden.

Misstrauen an Schulen wächst

Das stört offenbar nicht nur ihn: Auch seitens der Schulen werde das Misstrauen immer größer, schildert der Oberbürgermeister. Muttersprachlicher Unterricht werde derzeit an elf Tuttlinger Schulen angeboten, Tendenz steigend. Mehrere Rektoren hätten die Stadt bereits darum gebeten, keine Räume mehr für den muttersprachlichen Unterricht bereitzustellen.

Schulen müssen Räume anbieten

Während die Schulen verpflichtet seien, die Räume zur Verfügung zu stellen, hätten sie zugleich mit Raumnot zu kämpfen – und Lehrer stünden vor Klassen, die praktisch nicht beschulbar seien, weil zu viele Kinder nicht über genügend Sprachkenntnisse verfügten.

Zweifelhafte Frauenbilder und Homophobie

Wenn die Hälfte der Schüler einer Klasse die Sprache nicht beherrsche, habe das mit Integration nichts zu tun, kritisiert der Oberbürgermeister. Wenn dann unter dem Siegel des Sprachunterrichts Landeskunde unterrichtet werde, „platzt mir langsam echt der Kragen“, sagt Michael Beck.

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Er halte nichts von einem unkritischen Umgang mit heiklen Themen der Integration: „Um niemandem weh zu tun, ignorieren wir auch Nationalismus, Islamismus, Homophobie oder zweifelhafte Frauenbilder.“

Sprachlich fitte Kinder profitieren

Dass Kinder, die ihre Muttersprache gut beherrschen, sich leichter tun, Deutsch oder eine beliebige andere Fremdsprache zu erlernen, sei mehrfach wissenschaftlich belegt, sagt Matthias Schneider.

Matthias Schneider, Geschäftsführer und Pressesprecher der GEW.
Matthias Schneider, Geschäftsführer und Pressesprecher der GEW. | Bild: Christoph Bächtle

Er ist Geschäftsführer und Pressesprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Baden-Württemberg (GEW). Die GEW setzt sich seit Jahren dafür ein, den Konsulatsunterricht durch Unterricht zu ersetzen, der sich an den deutschen Bildungsplänen orientiert.

Konsulatsunterricht ist günstiger

„Der Konsulatsunterricht ist damals aus der Not heraus entstanden, weil man nach einer Möglichkeit suchte, den Kindern und Jugendlichen ihre Muttersprache nahe zu bringen“, sagt Schneider.

Auch finanzielle Gründe spielten und spielen eine Rolle, sind doch die Konsulats-Lehrkräfte keine Landesbediensteten.

Aber: „Um in ihrer Muttersprache gut und fit zu sein, brauchen Kinder professionelle Lehrkräfte, die der Arbeitgeber Landesregierung zur Verfügung stellt und nicht Lehrkräfte, die über die Konsulate zu uns kommen und die keinerlei Qualitätskontrolle unterliegen“, macht Schneider deutlich.

Lehrergewerkschaft kritisiert Kultusministerium

Eine Lehrkraft an einer staatlichen Schule, die keinen guten Unterricht halte, bekomme Probleme mit ihrer Schulleitung, womöglich sogar mit der Schulaufsicht.

Deshalb müsse jede Lehrerin und jeder Lehrer in Baden-Württemberg zu Beginn der Laufbahn den Amtseid schwören und sich fortan an die Regeln halten, die das Land für den Unterricht vorgibt. Sowohl, was den Inhalt als auch, was die Werteorientierung betreffe.

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Die GEW fordert deshalb, dass das Land Lehrkräfte entsprechend ausbildet. Vom Kultusministerium höre man in dieser Richtung aber nichts.

Wie eine Mutter es sieht

Dass die Spielregeln der Bildungspläne eingehalten werden, ist auch Zeynep Yildiz aus VS-Villingen für ihren Sohn wichtig. Der Neunjährige hat an seiner Grundschule einmal pro Woche eine Stunde Türkisch anstelle katholischer oder evangelischer Religion.

Zeynep Yildiz‘ Sohn hat einmal pro Woche Türkisch-Unterricht. Ihr ist es wichtig, dass ihr Sohn seine Muttersprache richtig lernt.
Zeynep Yildiz‘ Sohn hat einmal pro Woche Türkisch-Unterricht. Ihr ist es wichtig, dass ihr Sohn seine Muttersprache richtig lernt. | Bild: Zeynep Yildiz

Auf dem Lehrplan stehen Sprache und Grammatik, das türkische Alphabet, aber auch das Leben und Wirken von Mustafa Kemal Atatürk, der als Vater der modernen Türkei gilt. Genau das stellt sich die Mutter des Neunjährigen unter muttersprachlichem Unterricht auch vor.

Muttersprache ist ihr wichtig

Ihr ist es wichtig, dass ihr Sohn seine Muttersprache lernt, das türkische Alphabet, die korrekte Aussprache – und das Wissen darüber, wie das Osmanische Reich unter Atatürk zur modernen Republik Türkei wurde.

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