Alle Drei waren schon mal im Knast. Ingo Lenßen, Robert Scheel und Andreas Ambrosius erzählen von ihren Erfahrungen bei VS-Forum des SÜDKURIER Medienhauses. Die drei Protagonisten auf der Bühne in der Neuen Tonhalle in Villingen-Schwenningen haben noch etwas gemeinsam: Sie waren nicht als Insassen sondern als Besucher im Gefängnis.
Ingo Lenßen ist Fachanwalt für Strafrecht und Schauspieler. Partner in seiner Kanzlei in Bodman-Ludwigshafen ist der Rechtsanwalt Robert Scheel. Die beiden erzählten im Gespräch mit Andreas Ambrosius, Mitglied der Chefredaktion des SÜDKURIER, vom Alltag in deutschen Gefängnissen. Angesichts der Thematik gab es an diesem Abend überraschend viel zu lachen.
In den Knast ist es nicht weit
Die Neue Tonhalle, in der das VS-Forum stattfand, liegt gegenüber des Villinger Gefängnisses, von den Einwohnern liebevoll Café Viereck genannt. „Die Aufenthaltsqualität geht dort gegen Null“, sagte Andreas Ambrosius zur Einleitung. Erst kürzlich hatte er die Haftanstalt mit Leserinnen und Lesern besucht.

„Der Gefängnisalltag ist durchorganisiert und zwar relativ straff“, bestätigte Robert Scheel. nach dem Wecken um 6 Uhr gibt es Frühstück und schon um 6.45 Uhr geht es zum Arbeiten. Die Formulierung „Abrücken in die Mittagspause“ zeigt schon, dass es hinter Gittern eher streng als gemütlich zugeht.
Der Alptraum: unschuldig im Gefängnis
Aber die Menschen im Knast arrangieren sich mit ihrer Situation. Ingo Lenßen erzählte von seinem bislang spektakulärsten Fall. Nach 23 Hauptverhandlungstagen hatte das Gericht festgestellt, dass sein Mandant unschuldig war.
Der Verteidiger war sich dessen von Anfang an sicher. Er habe den Mann deshalb gefragt, ob es für ihn überhaupt erträglich sei, mit straffälligen Menschen in einer Zelle zu leben. Überraschende Antwort des Mandanten: „Ne, das ist ganz gut so. Sonst werde ich hier wahnsinnig.“

„Die Häftlinge wollen nicht allein sein“, erzählte Andreas Ambrosius vom Besuch im Villinger Gefängnis, wo sich die Insassen ebenfalls Zellen teilen, obwohl derzeit zahlreiche leer stehen. Laut Ingo Lenßen werde der Wunsch nach einer Einzelzelle meistens von der Anstaltsleitung erfüllt – sofern möglich.
Den Gefängnissen fehlt es an Personal
„Das Verhältnis vom Personal zu den Häftlingen ist oft ein sehr freundliches, respektvoll und ohne Vorbehalt“, sagt Ingo Lenßen. „Die Gefängnisse hier im Umkreis sehen allerdings anders aus als die in anderen Regionen.“
Robert Scheel schätze die Arbeit in den Haftanstalten als extrem anspruchsvoll ein. „Die Anstalten sind mit Personal stark unterversorgt“, sagte er. Es fehle an Sozialarbeitern und die Gefangenen müssten oft sehr lange auf eine Suchtberatung warten. „Das ist ein Riesenproblem“, bestätigte Lenßen. „Wir erleben dennoch immer, dass die Mitarbeiter sehr kooperativ sind“, sagte Scheel.
Ein Buch! So kommen sie auf die Idee
Die beiden Anwälte haben über ihre beruflichen Erfahrungen ein Buch geschrieben. „Der Knast-Guide – für Verurteilte, Angehörige und Interessierte“ heißt es. Und schon wie sie auf die Idee gekommen sind, ist eine spannende Geschichte für sich.

Nach Gesprächen mit Mandanten in Villingen und Konstanz hätten sie sich in der Kanzlei getroffen. Im Gepäck hatte jeder eine frische Anekdote. „Ich habe herausgefunden, wie du Drogen in den Knast schmuggeln kannst“, habe Lenßen erzählt. „Einfach den Liebesbrief der Ehefrau in LSD tränken.“
Und Scheel hatte sein Mandant erzählt, ein Typ aus dem Rockermilieu, dass die Wärter ihm die Schnürsenkel abgenommen hatten. „Aus Sorge, er könne damit seine Mitgefangenen drangsalieren.“

Da war für Lenßen klar: „Das weiß doch keiner. Wir müssen darüber ein Buch schreiben.“ Und auch in der Neuen Tonhalle nehmen die zwei Strafverteidiger das Publikum mit hinter Gittern, wo das Leben kein Zuckerschlecken ist.
Häftlinge kommen auf einfallsreiche Tricks
Bei ihrer täglichen Arbeit verdienen die Strafgefangenen 1,70 Euro pro Stunde. Ein gerechter Lohn? Oft sei das nach Ansicht der beteiligten Unternehmen eine qualitativ geringwertige Arbeit von ungelernter Hand. Hinzu kämen die Kosten durch die Sicherheitsanforderungen, ordnet Scheel den Betrag ein.
Was sich Häftlinge übrigens nicht mit ihrem Geld kaufen können, ist Alkohol. „Aber die Kameraden sind da sehr einfallsreich und schaffen es immer wieder, sich Alkohol zu brennen“, sagte Lenßen. Nicht nur beim Thema Schnaps: Robert Scheel erzählte, dass es einem Gefangenen gelungen sei, ein kleines Handy in einer Tomatenmarkdose in die Zelle zu schmuggeln.
„Ich hatte mal eine Frage, die ein Angehöriger nicht beantworten konnte“, erzählte Lenßen. „Da hieß es: Der ruft Sie gleich zurück.“ Tatsächlich hätten sie bei diesem Mandanten keine Probleme mit der Kontaktaufnahme gehabt, witzelte Scheel. Im Rottweiler Gefängnis seien bei einer Durchsuchung der Zellen von 18 Insassen sogar 20 Mobiltelefone gefunden worden.
Das zahlt der Staat unschuldig Gefangenen
Wer unschuldig hinter Gittern saß, bekommt nur eine eine äußerst übersichtliche Summe als Entschädigung. „Bis vor kurzem gab es nur 25 Euro für jeden Tag Untersuchungshaft. Das sind etwa 9000 Euro für ein Jahr zu Unrecht entzogenes Leben“, sagte Ingo Lenßen. Für Kost und Logis würden dabei sogar noch mehr als sechs Euro pro Tag abgezogen. Seit 2020 werden immerhin 75 Euro als Entschädigung gezahlt.
Warum machen Frauen eigentlich nur fünf Prozent der Strafgefangenen aus? „Frauen handeln bedächtiger, denken sorgfältiger über ihr Handeln nach“, findet Robert Scheel. Und Ingo Lenßen ist der Ansicht: „Ein Mann in einem bestimmten Alter ist leicht reizbar. Frauen wissen sich hingegen anders auszutauschen.“
Können Gefängnisse überhaupt der Resozialisierung dienen? „Ich kenne jedoch niemanden, der im Knast wirklich besser wird“, sagt Ingo Lenßen und räumt ein: „Ich weiß aber auch keine bessere Lösung.“