IMS Gear entlässt Mitarbeiter, Meku hat Insolvenz angemeldet, Sternenbäck schließt zwei von drei Filialen in Villingen-Schwenningen – die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie werden auch im Schwarzwald-Baar-Kreis immer deutlicher. Wie aber geht es weiter? Drohen weitere Entlassungen und Insolvenzen? Und worauf müssen sich Arbeitnehmer für die kommenden Jahre einstellen? Der SÜDKURIER hat darüber mit Philipp Hilsenbek, Geschäftsbereichsleiter Standortpolitik bei der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg, und Thomas Albiez, IHK-Geschäftsführer, gesprochen.

  • Vergangene Jahre: „Wir waren immer auf einem extrem hohen Niveau unterwegs“, sagt Hilsenbek. Das senkte sich aber bereits Anfang 2017 ab. Das Thema Strukturwandel hat sich in der Wirtschaftsleistung bereits abgezeichnet. Die Jahre vor Corona waren also schon von schwierigem Fahrwasser geprägt. Die Pandemie hat diesen Trend verstärkt. Das liege vor allem an der Automobilzuliefererbranche: „Jeder zweite Euro im Kreis wird in diesem Bereich verdient“, so Hilsenbek. Wenn der Automotive-Bereich ins Stocken gerät, spürt die Region das sehr direkt.
Der Konjunkturklimaindikator zeigt: Schon seit 2017 wird die Wirtschaft im Kreis und im Land schwächer. Corona hat den Trend massiv ...
Der Konjunkturklimaindikator zeigt: Schon seit 2017 wird die Wirtschaft im Kreis und im Land schwächer. Corona hat den Trend massiv verstärkt. Aber: In den vergangenen Monaten gab es einen deutlichen Aufschwung. | Bild: Jundt, Matthias
  • Aktuelle Lage: „Die gute Nachricht ist, dass das Geschäft wieder anzieht. Der Tiefpunkt scheint erreicht zu sein“, sagt Hilsenbek. Das gelte zwar nicht für alle Branchen, mehrheitlich ist das Bild aber wieder positiver. Wie die Lage bei den mehr als 21.000 Betrieben und 215.000 Arbeitnehmern, die Teil der IHK sind, ist, findet die Kammer unter anderem dreimal im Jahr mithilfe von Konjunkturabfragen heraus. „Die aktuelle haben wir erst kürzlich abgeschlossen“, sagt Hilsenbek weiter. Ob der Aufschwung aber anhält, könne nicht gesagt werden, er stehe auf wackligen Beinen. „Mit Perspektiven, tun wir uns daher auch sehr schwer. Zu sagen, das nächste Jahr wird sehr schlecht oder sehr gut, wäre unseriös“, sagt Hilsenbek. „Momentan agieren wir von Quartal zu Quartal.“
  • Hotelier- und Gastgewerbe: Der Strukturwandel in der Zuliefererbranche hat auch Auswirkungen auf den Tourismus. „Wenn eine Geschäftsreise weniger möglich wird, dann haben unsere Hoteliers eine Buchung weniger“, sagt Albiez. Im Kreis habe man bislang immer einen guten Tourismus gehabt. Der Fokus lag aber nie auf dem Tagestourist, der im Schwarzwald Urlaub machen will. Da müsse sich etwas ändern. Die Region müsse touristische Angebote gezielter anbieten und zusammenarbeiten, wie etwa mit der Dreiweltenkarten, bei der sich der Schwarzwald-Baar-Kreis, der Kreis Waldshut und das Kanton Schaffhausen zusammengetan haben. Auch in der Gastronomie gebe es schon seit langem Probleme, etwa beim Thema Nachfolge. Jeder dritte Inhaber ist über 60 Jahre alt.
IHK in Villingen Video: Matthias Jundt
  • Industrie: „Auch hier steht der Aufschwung auf wackligen Füßen“, sagt Albiez. Aber: Die Auftragsbücher sind aufgrund des Exports wieder ganz gut gefüllt – sowohl in der Medizintechnik als auch im Automobilzuliefererbereich. Es ist wieder möglich, viele Güter ins Ausland zu liefern. Dennoch: „Wir haben es, unabhängig von Corona, mit Handelshemmnissen mit den USA und China zu tun, wie wir sie zuvor noch nie gehabt haben“, sagt Albiez.
Das Gebäude der Industrie- und Handelskammer Schwarzwald-Baar-Heuberg am Romäusring in Villingen.
Das Gebäude der Industrie- und Handelskammer Schwarzwald-Baar-Heuberg am Romäusring in Villingen. | Bild: Matthias Jundt
  • Sorgenkind Maschinenbau: „Hier wird die Erholungsphase am längsten dauern“, sagt Albiez. Neue Maschinen werden erst dann gekauft, wenn die Konjunktur wieder eine Zeit läuft. Zusätzliche Investitionen werden in der Branche erst gemacht, wenn ein Plus an Aufträgen da ist. „Beim Maschinenbau ist die Situation sicher am angespanntesten.“
  • Handel: Auch in diesem Bereich ist eine sinkende Kurve kein neues Thema, sagt Hilsenbek. Hinzu komme nun die Frage nach dem Bedarf noch stärker zum Tragen: „Wenn die Industrie Kurzarbeit anmeldet, wenn die Industrie aufgrund von Handelskonflikten weniger absetzen kann, dann merkt das ein Arbeitnehmer und gibt am Ende des Tages weniger aus.“ Die Bereitschaft der Kunden, Geld im Handel auszugeben, war in den vergangenen Monaten auf einem absoluten Tiefpunkt. Hilsenbek: „So eine Entwicklung habe ich noch nie gesehen.“ Es sei kaum zu begreifen, was das für das einzelne Unternehmen in der Innenstadt bedeutet bei viel weniger Umsatz, aber gleich bleibenden Kosten. Dass von heute auf morgen keine Einkäufe mehr getätigt werden, sei „erschreckend“.
Bild 3: „Wir gehen davon aus, dass die Arbeitslosigkeit im nächsten Jahr steigt“: So schätzen Experten die wirtschaftlichen Perspektiven der Region ein
Bild: Jundt, Matthias
  • Automobilbranche: Der Schwarzwald-Baar-Kreis ist stark abhängig von der Automobilbranche. Albiez: „In der Region haben wir 750 Zuliefererbetriebe mit 34.000 Beschäftigen. Das ist eine Wucht.“ Gerade hier sei der Strukturwandel schon seit Jahren ein Thema. Die IHK fordert dabei mehr Sachlichkeit in der Diskussion und vor allem, dass die Festlegung auf den Elektromotor als Antriebstechnik der Zukunft offen gestaltet wird. „Wir brauchen beispielsweise eine CO2-Bilanz über den gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeugs“, so der Geschäftsführer. Darüberhinaus werde der Verbrennungsmotor noch viele Jahre, auch in anderen Teilen der Welt, gebraucht: „Unsere Unternehmen sind hoch innovativ. Und sie werden auch für die kommenden Herausforderungen wieder Lösungen finden.“ Aber dazu müsse man den technisch besten Lösungen die Zukunft überlassen – ohne Vorfestlegungen.
  • Ausbildungsmarkt: Der Kreis liegt bei den eingetragenen Ausbildungsverträgen zehn Prozent unter dem Vorjahr. Die Vermittlung von Jugendlichen ist laut Albiez sehr stark von Vertrauen und dem persönlichen Aufeinandertreffen geprägt. Das war komplett heruntergefahren. Der Bonus für Unternehmen – wenn sie mehr Azubis als im Durchschnitt ausbilden – habe nicht gefruchtet. Der sei zu kompliziert gestaltet. Hier gelte es eventuell nachzubessern.
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  • Digitalisierung: Die habe während Corona einen Sprung gemacht. Viele, worüber man in den vergangenen Jahren theoretisch diskutier hatte – wie etwas Videokonferenzen – ist laut Albiez heute Realität. Das werde auch künftig nicht mehr verschwinden. Diese Thechnik habe aber Grenzen: „Wir brauchen weiterhin das soziale Miteinander.“
  • Pleiten: „Viele Betriebe stehen mit dem Rücken zur Wand“, sagt Albiez. Besonders Unternehmen in der Dienstleistungbranche haben teilweise einen Kompletteinbruch beim Umsatz. Alles, was künftig passiert, hänge von der Pandemie ab. „Wenn so etwas, wie im Frühjahr erneut passiert, wird es zu einer Insolvenzwelle kommen“, so der Geschäftsführer. Die Soforthilfen haben die Situation ein Stück weit abfedern können. Daher ist es auch sinnvoll, dass solche Programme fortgeführt werden. Das betreffe alle Betriebe, die nur wegen der Pandemie im Schieflage geraten, sonst aber gesund sind. Aber auch mit den Hilfen rechnet Albiez mit weiteren Insolvenzen, gerade im Hotelwesen.
47 Prozent der Unternehmen haben auf die Kurzarbeit zurückgegriffen.
47 Prozent der Unternehmen haben auf die Kurzarbeit zurückgegriffen. | Bild: Jundt, Matthias
  • Pandemie-Maßnahmen: Diese müssten weiterhin mit Augenmaß vollzogen und mit Berücksichtigung der wirtschaftlichen Folgen abgewogen werden. „Wenn der wirtschaftliche Schaden so groß wird, dass die Menschen ihre Existenz verlieren, dann sind die Auswirkungen aus dem ökonomischen Kollaps am Ende deutlich schwerwiegender, als das, was das Virus anrichtet“, sagt Albiez. Deswegen sollte ein kompletter Lockdown unbedingt vermieden werden. Eine Lösung für künftige Pandemien könne nur technologisch erfolgen. Dabei dürfe der Datenschutz aber nicht über Bord gehen.

Einordnung der aktuellen Krise

  • Arbeitsmarkt: „Wir gehen davon aus, dass man die Krise auf dem Arbeitsmarkt spüren wird“, sagt Albiez. Derzeit ist die Lage noch robuster, als ursprünglich erwartet. Bislang haben neun von zehn Betrieben das Instrument der Kurzarbeit genutzt. Ein großer Teil der Betriebe hat freie Stellen schlicht nicht neu besetzt. Hilsenbek: „Und jeder fünfte Betrieb hat Kündigungen vorgenommen.“ Der größte Teil aber versuche, die Belegschaft zu halten. Geschäftsführer Albiez ergänzt: „Sobald ein Betrieb davon ausgeht, dass die alte Situation sich nicht wiederherstellen lässt, wird es unvermeidlich zu Arbeitsplatzverlusten kommen.“ Die IHK geht daher davon aus, dass die Arbeitslosigkeit im nächsten Jahr wieder steigt – aber in einem „beherrschbaren Maß“. Das „Thema schlechthin“ der nächsten zwei bis drei Jahre, wie Albiez sagt, werden Umschulungen und Weiterqualifizierungen sein. Neben der wohl steigenden Arbeitslosigkeit, gebe es schon seit Jahren einen Fachkräftemangel. Darauf stellt sich Arbeitsagentur bereits ein.
  • Ausblick: Albiez: „Wir wissen nicht, wie sich die Menschen in der kalten Jahreszeit verhalten. Kaufen Sie weiter? Gehen sie weiter in Restaurants?“ Man sehe jetzt schon wieder, dass die Belebtheit der Innenstädte nachlässt. Auch wie es mit der Industrie weitergeht, hänge von den Entwicklungen im Winter ab. Die USA-Wahl könne beispielsweise einen direkten Einfluss auf die Wirtschaft im Schwarzwald-Baar-Kreis haben. Wann die Lage wieder so wie vor Corona sein wird, sei unklar. Albiez: „Ein Drittel von Wirtschaftsforschungsinstituten geht davon aus, dass wir Ende 2021 wieder Vorkrisenniveau erreichen. Das zweite Drittel spricht von 2022 und das Dritte von 2023. Immer aber unter der Voraussetzung, dass kein Lockdown kommt.“ Die IHK rechnet unter diesen Umständen mit einem normalen Betrieb Ende 2021. „Wenn man die Pandemie im Griff hat, spricht vieles dafür, dass die Weltkonjunktur die Nachfrage, die sie jetzt nicht hatte, wieder nachholt“, sagt der Geschäftsführer.