St. Georgen/Königsfeld Die Projektgruppe „Das Dritte Reich und Wir“, die sich seit rund drei Jahren intensiv mit der Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus in St. Georgen befasst, rückt für einen Tag ein Stück näher an das Grauen des Nazi-Regimes. Gemeinsam mit der Arbeitsgruppe „NS-Opfer Königsfeld“ organisiert die Projektgruppe am Samstag, 27. September, eine ganztägige Bildungsfahrt „Wider das Vergessen“ zu den Euthanasie-Gedenkorten Zwiefalten und Grafeneck.
Die Heilanstalt Zwiefalten, deren Anlage Teil des heutigen Zentrums für Psychiatrie Südwürttemberg ist, ist eine Nachfolgeinstitution der ersten „Königlich-Württembergischen Staatsirrenanstalt“ und wurde im Jahr 1812 in und um den architektonischen Komplex eines ehemaligen Benediktinerklosters errichtet.
Sie diente vor allem im Jahr 1940 als Sammelanstalt geistig behinderter Menschen zum Weitertransport in die Gaskammer nach Grafeneck. Heute ist in der ehemaligen „Irrenanstalt“ in einer ehemaligen Friedhofskapelle ein Psychiatriemuseum, in der die Entwicklung der Psychiatrie als medizinische Wissenschaft dargestellt wird.
Nach einem Mittagessen im Brauhaus in Zwiefalten geht es weiter zur Gedenkstätte Grafeneck, unweit von Reutlingen. Das Schloss Grafeneck war eines von sechs Vernichtungszentren im Deutschen Reich. 1939 wurde das Schloss, das bis dahin in Besitz des Samariterstifts war, von den Nationalsozialisten „für Zwecke des Reichs“ beschlagnahmt. Im Jahr 1940 wurden in einer auf dem Gelände vor Schloss Grafeneck aufgebauten Vernichtungsstation über 10.600 Menschen ermordet, die von den Nationalsozialisten wegen einer geistigen Behinderung oder psychischer Erkrankung als unwertes Leben stigmatisiert wurden. Unter den Ermordeten waren auch mehrere Opfer aus St. Georgen. Das wurde bei den umfangreichen Recherchen deutlich, die engagierte Mitglieder der Projektgruppe bei der Aufarbeitung dieser Zeit gemacht haben. „In Grafeneck wurden sieben der bisher 14 bekannten Euthanasieopfer aus St. Georgen ermordet“, sagt Gerhard Mengesdorf, eines der engagierten Mitglieder der Projektgruppe.
Auf das Thema Euthanasie aufmerksam geworden ist die Projektgruppe durch die Sterbeurkunde der 17-jährigen Elsa Müller aus Langenschiltach, die im Rahmen des Projektes zur Verfügung gestellt wurde. „Daraufhin haben unsere Projektmitarbeiter der Uni Gießen in Archiven nachgeforscht und bis zum Zeitpunkt der Ausstellung im April 2023 weitere fünf St. Georgener Opfer entdeckt“, so Mengesdorf. Nach der Ausstellung wurden die Recherchen fortgeführt, inzwischen konnten 14 Opfer aus St. Georgen inklusive der Ortsteile festgestellt werden. Dabei gestaltete sich die Auswertung als sehr aufwändig, da die Akten in Sütterlinschrift und handschriftlich verzerrt verfasst wurden.
Im Jahr 1990 wurde am Fuße des Schlosses Grafeneck eine kleine, offene Kapelle als Gedenkstätte errichtet. 2005 wurde zudem etwa auf der Hälfte zwischen Gedenkstätte und Schloss ein Dokumentationszentrum eingerichtet. Die Vernichtungsgebäude, die auf dem Areal vor dem Schloss errichtet wurden, existieren nicht mehr.
Nach der Rückkehr der Bildungsfahrt gegen 18.30 Uhr findet ein gemeinsamer Abschluss im Theater im Deutschen Haus statt.