Wenn Gabi Fichter an den September 2019 denkt, zittert sie noch heute. Als sie morgens in den Pferdestall kam, um die Tiere zu füttern, war alles voller Blut. Die Stute Noblesse lag zusammengekauert in ihrer Box. Sie hatte eine große, klaffende Wunde am Hinterlauf.

Ein Pferdestecher war nachts in den Stall auf dem Hof in Oberkirnach bei St. Georgen geschlichen und hatte die Stute „kaputtgestochen“, wie Gabi Fichter den Anblick beschreibt.

Und noch ein Schicksalsschlag

Während sie noch um das Leben des Tieres bangte, erlebte die Inhaberin eines Hofladens mit Café einen weiteren Schicksalsschlag. Sie musste das Café schließen. Der Corona-Lockdown erlaubte den Weiterbetrieb nicht.

„Da kam eins zum anderen, und irgendwann konnte ich nicht mehr“, erzählt die quirlige, fröhliche Frau. Sie musste sich um Anträge auf Corona-Hilfen und Kurzarbeitergeld kümmern und musste bangen, ob sie die Rückzahlungen des Kredites, mit dem das Café eingerichtet worden war, weiter würde leisten können.

Hinzu kam die Angst, dass noch einmal ein Krimineller auf den Hof schleichen und die Pferde attackieren könnte.

Und irgendwann im Sommer 2020 war es soweit. „Ich konnte nicht mehr“, erzählt die 55-Jährige. „Meine Tochter hat mich dann zu ihrer Hausärztin mitgenommen.“ Die Diagnose lautete Burnout. Es war ein Zusammenbruch. Sie konnte nicht mehr arbeiten.

„Zwei Wochen habe ich nur geschlafen.“
Gabi Fichter

„Zwei Wochen habe ich nur geschlafen“, erzählt Gabi Fichter. Es dauerte acht Wochen, bis sie mit kompetenter ärztlicher Unterstützung einigermaßen wieder auf den Beinen war. Doch immer noch hat sie Angst.

Gabi Fichter sitzt im Wohnzimmer der barrierefreien Wohnung, die gerade eingerichtet worden ist. Alles gemütlich in Naturtönen. Durch die Fenster scheint sie Sonne und auf der Koppel sieht man die Pferde.

Wie ein verwunschener Märchenwald mit Schnee in Grau und Grün wirkt ein großes Foto an der Wand. „Das ist meine Tochter“, erzählt Gabi Fichter. Sie ist zu sehen mit Noblesse, der Haflingerstute, die den Angriff schließlich doch überlebt hat.

Die Familie hält zusammen. Tochter Bianca, die Agrarwissenschaft studiert hat und die mit ihrem Freund in eine Wohnung über den Eltern zieht, übernimmt jetzt den Hofladen und das Café.

Die Familie, Ehemann Friedbert und die drei gemeinsamen Kinder Tobias (28), Sabrina (25) und Bianca (26), hat den Laden geschmissen, als die Mutter krank war.

Mann hilft – und erhebt keine Pacht

„Das war alles wie ein großer Berg“, erzählt Gabi Fichter: „Ich saß auf den Rechnungen und Schreiben der Ämter und grübelte. „Wie soll ich das alles schaffen?“, habe sie gedacht.

Ihr Mann half ihr, indem er keine Pacht für den Laden verlangte und keine Rechnungen für seine Dienstleistungen und Produkte schrieb. Denn der Hof gehört Friedbert Fichter, der dort eine Landwirtschaft betreibt. Der Hofladen, das ist ihr Ding.

Im Verkaufsraum mit Café serviert Gabi Fichter frisch gebackenen Blechkuchen und Torten sowie Brot und Brötchen.
Im Verkaufsraum mit Café serviert Gabi Fichter frisch gebackenen Blechkuchen und Torten sowie Brot und Brötchen. | Bild: Felicitas Schück

Den Laden gibt es seit Februar 2014. Ein Café dieser Art, wo landwirtschaftliche Produkte nicht nur gekauft, sondern auch gleich in der guten Stube verzehrt werden können, ist schon selten. 26 Sitzplätze bietet es, angeboten werden neben Kaffee und Kuchen unter anderem Frühstück und Vespermahlzeiten.

Wie ist Gabi Fichter auf die Idee gekommen? „30 Jahre lang hatten wir Direktvermarktung“, erinnert sie sich. Immer am Freitag konnten Wurst, Käse, Schinken, Brot und vieles mehr direkt vom Hof im Maierstal gekauft werden. Es gab großen Andrang. „Die Leute standen bis zum Parkplatz oben an der Straße.“

Gabi Fichter belieferte mit ihrem Brot außerdem verschiedene Läden, unter anderem in Peterzell und Unterkirnach. Ihre Kuchen und Torten sind gefragt, seit sie 2014 den Verkaufsraum mit Café eröffnete. Dafür wurde eine alte Scheune, die kaputt war, renoviert. Es lief gut.

Gabi Fichter arbeitete Tag und Nacht. Doch die gelernte Hauswirtschafterin und Fleischereiverkäuferin, die viel Optimismus verbreitete und gerne herzhaft lacht, hat viel Freude an ihrem Geschäft.

Bis heute plagt die Ungewissheit

Bis zu diesem Tag am 16. September 2019, als sie in den Pferdestall kam und seither einen Schock verarbeiten muss. „Das war der Anfang vom Burnout“, erzählt sie: „Die neue Erkenntnis, dass nachts jemand einfach in deinen Stall einbricht und dein Pferd kaputtsticht.“

Bis heute rätselt sie, wer so etwas Böses tut und ob es vielleicht doch einen Zusammenhang mit ihrem Geschäft gibt. Sie hatte das Tier am Morgen gefunden und die Familie alarmiert.

Gemeinsam wurde der Stall nach Spuren abgesucht. Dann kam die Kriminalpolizei, die aber ebenfalls keine Hinweise auf den Täter fand. Die Kripo hatte mehrere Vermutungen. Es könnte ein Kunde gewesen sein, der den Hof vorher in Augenschein genommen hatte.

„Man weiß es nicht. Es könnte auch jemand oben vom Wald mit einem Fernglas alles beobachtet haben, bevor er zuschlug. Oder war es einer auf der Durchreise? Das ist ja nicht normal“, sagt sie.

In Richtung Bodensee habe es zwei Tage vorher einen ähnlichen Vorfall gegeben, weiß Gabi Fichter. Mit dem Unterschied, dass dieses Tier nicht überlebte.

Laut Jörg-Dieter Kluge, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Konstanz, sind Verbrechen dieser Art im Zuständigkeitsbereich des Präsidiums „sehr selten“. „In den vergangenen drei Jahren“, so der Polizeisprecher, „gab es eine Handvoll Fälle, die sich gemäß dem Tierschutzgesetz gegen Pferde richteten.

Im Fall des Angriffs auf Noblesse im Jahr 2019 werde immer noch ermittelt. Als „eher unwahrscheinlich“, wertet Polizeisprecher Kluge, dass die Täter durch das Bundesgebiet reisen.

Am Morgen nach der Tat kam der Tierarzt sofort. Eine Notoperation wurde eingeleitet, die Wunde vorher gesäubert. Insgesamt drei Mal musste „Noblesse“ dann operiert werden. Doch es dauerte sehr lange, bis das Tier einigermaßen wieder Vertrauen schöpfte.

„Noblesse war total verstört, schlug gegen die Stallwände. Ganz schlimm war es abends und nachts, erinnert sich Gabi Fichter. Noch heute habe Noblesse Angst, wenn der Tierarzt komme. Auch Hufe neu beschlagen ist seither ein Abenteuer mit der verstörten Stute.

Reiten kann Tochter Bianca das Tier aber genauso wie vorher, darüber ist die Familie froh. Inzwischen wurden im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten Überwachungskameras installiert.

Strikte Trennung zum Privaten

Gabi Fichter lobt die ärztliche Behandlung nach ihrem Zusammenbruch. „Ich habe viele wertvolle Tipps bekommen von einem Super-Therapeuten“, erzählt sie. Zum Beispiel, dass der Sonntag der Familie reserviert bleiben soll. Seitdem ist das Café sonntags geschlossen. „Und wir sollen mit einem Zaun das Private vom Laden trennen“, erzählt sie. „Das wollen wir noch machen.“

Die Stammgäste, die während des Lockdowns weiter eingekauft haben, kommen jetzt wieder ins Café. Obwohl das Geld nicht mehr so locker sitzt und die Feriengäste, die früher kamen, in diesem Jahr vermisst wurden. Aber Gabi Fichter wird weitermachen, „solange mich der Herrgott lässt und solange ich kann“.