Wenn Nikolai Lischke nach einem acht Stunden Arbeitstag im Hotelzimmer ins Bett fällt, wird er zuvor rund 200 Mal mit seinem Helikopter in die Luft gestiegen sein und rund 200 Tonnen Dolomit-Kalkstein über dem Stadtwald VS abgeworfen haben.

Eine Tonne pro Ladung, rund drei Tonnen für einen Hektar. Ausbalancieren, die Baumwipfel und die Windrichtung im Blick behalten, die Abwurfstelle treffen, jede Sekunde erfordert höchste Konzentration. Umweltschutz aus der Luft: ein Knochenjob.
Lischke ist 28 Jahre alt und selbstständiger Pilot. Mit der Helix Fluggesellschaft aus Heilbronn ist er nun für einige Wochen für die Bodenkalkung von rund 1170 Hektar Stadtwald zuständig.
Wenn das Wetter mitspielt und sie noch einen zweiten Helikopter einsetzen können, dann sind sie in drei Wochen fertig.
„Optimistisch geschätzt“, sagt Uwe Schmid. Im längsten Fall könne es auch zwei Monate dauern. Schmid ist 57 Jahre alt, Hubschrauberpilot seit 21 Jahren, durch so gut wie nichts aus der Ruhe zu bringen und im Moment am Boden mit dem Walkie-Talkie in Kontakt mit Lischke.
Morgens um acht fangen sie an. Sind die Wolken zu dicht, ist es zu neblig, hören sie auf. Regen hingegen stört beim Fliegen nicht. Allein wenn es zu sehr windet, müssen sie aufhören, da der Kalk sonst in alle Himmelsrichtungen zerstreut wird. Wird es zu heiß, kann der Behälter unter dem Hubschrauber nicht mehr voll beladen werden. Denn umso heißer es wird, umso geringer wird die Dichte der Luft, umso geringer der Auftrieb für den Helikopter.
Nicht nur das Fliegen ist bei der Kalkaktion eine Herausforderung. „Die Planung für das Projekt hat rund zwei Jahre gedauert“, sagt Christoph Vögele, Revierleiter und verantwortlicher Projektleiter. Aus einem dicken Aktenordner zieht er eine Din-A4-Seite heraus. Darauf sind Flächen in unterschiedlichen Farben eingezeichnet.

Über 100 Bodenproben haben sie im Vorfeld gezogen. Ein Institut in Freiburg hat analysiert, welcher Boden welche Nährstoffe braucht. Gelb heißt nun Dolomit-Kalk – aus gemahlenem Stein, enthält viel Magnesium und Calcium – und rot Holzasche-Kalk – gewonnen aus schadstofffreien Hackschnitzeln, enthält vor allem viel Phosphor. Insgesamt brauchen sie rund 4000 Tonnen.
Der Stadtwald erstreckt sich über 6000 Hektar. Ein Teil davon ist bereits gekalkt worden – das ist die dritte große Kalkung – rund ein Drittel darf nicht gekalkt werden. Das betrifft Flächen, wo Auerwild heimisch ist, sowie Biotope und Trinkwassergebiete. „Das Ganze“, sagt Vögele, „ist auf den Meter genau abgesteckt“.
Ein Boden wie 1850
Die letzte große Kalkung fand vor zehn Jahren statt. „Noch zwei Jahre“, sagt Forstamtsleiter Tobias Kühn, „dann sind wir durch“. Dann hat der Waldboden wieder die Qualität – gemessen am PH-Wert – den er vor der Industriellen Revolution, also um 1850, hatte. „Das ist das Ziel“, sagt Kühn. „Wir haben schon saure Böden und die werden mit der Zeit noch saurer.“ Schuld ist nicht die Hitze, oder der Klimawandel, Schuld sind vielmehr die Treibhausgase. Je weiter der PH-Wert sinkt, desto mehr lösen sich Giftstoffe wie Aluminium und Schwermetalle aus dem Boden. „Das ist fatal für die Bäume und das Trinkwasser“, sagt Kühn. Die ganze Aktion kostet knapp eine halbe Million Euro. 140 000 Euro muss die Stadt selber tragen, der Rest wird vom Land gefördert.
Schwierig, sagt Kühn, wird es vor allem, wenn in der Nähe von Straßen oder Wohngebieten gekalkt wird. Abhängig von der Windrichtung muss der Pilot seine Route dann ändern. Als sie das letzte Mal gekalkt haben, haben sich mitunter Anwohner beschwert, auf den Gartenmöbeln oder der Fotovoltaik-Anlage sei Kalkstaub gelandet. Das lasse sich nicht komplett vermeiden, sagt Kühn und fügt hinzu: „Gesundheitsschädlich ist der Kalk nicht.“
Das dürfte eine gute Nachricht sein, für alle Waldspaziergänger, die sich trotz ausreichender Beschilderungen wieder einmal nicht an das Durchgangsverbot halten werden. „Das ist eigentlich das größte Problem“, sagt Kühn. „Wir warten noch auf den ersten Waldbesucher, der mal bisschen Kalk abbekommt.“
Das sind die Probleme auf dem Boden. In der Luft haben die Piloten mit anderen Dingen zu kämpfen. Alle ein bis zwei Minuten muss der Behälter, der unter dem Helikopter befestigt ist, mit frischem Kalk beladen werden. Zum Abstellen des Behälters auf dem Weg ist absolute Präzision gefragt, sagt Schmid. Beim Aufstieg muss die zusätzliche Tonne Gewicht ausbalanciert werden.
Die Abwurfstellen sind im Bordcomputer verzeichnet. „Es ist wie Ausmalen“, sagt Schmid.
Kalkbahn um Kalkbahn. Die Start- und Landeplätze werden regelmäßig gewechselt, bestenfalls im Umkreis von 500 Metern um das Abwurfgebiet. Wenn sie nicht gerade Waldböden kalken, dann bringen sie mit ihren Helikoptern Klimaanlagen an Gebäuden an, liefern Masten für Hangbegrenzungen, machen Hochspannungskontrollflüge und am Wochenende auch Passagierflüge.
Schmid wohnt seit vielen Jahren in Hessen. „Über den Schwarzwald zu fliegen ist immer schön“, sagt er. Da stimmt ihm auch Nikolai Lischke zu. Er ist inzwischen gelandet. Tankstopp. Alle eineinhalb Stunden etwa muss nachgetankt werden.

Den ganzen Tag die Konzentration aufrecht zu halten, das, sagt er, sei das schwerste. „Man muss auf verschiedene Dinge achten: Die Bäume, die unterschiedlich hoch sind und das Gelände, das sich ständig ändert.“ Anstrengend also, keine Frage. Wäre da nicht diese eine Piloten-Regel: Mindestens einmal am Tag sollte man das Fliegen auch einfach nur genießen. Nikolai Lischke gelingt das vor allem in den Morgenstunden.