Am Mikrofon leuchtet ein kleines blaues LED. Es kann los gehen. „Ja, Hallo, Servus, Grüß Gott! Du hörst ‚Mehr Wissen – der Podcast für die Oberstufe‘.“ Der da spricht ist Christian Wallner. Der 36-Jährige ist Lehrer am Gymnasium am Romäusring in VS-Villingen und er bereitet seine Schüler per Podcast auf das Abitur vor.
In dieser Folge ist das Thema 'Deutsch – Wie interpretiere ich richtig und nutze dabei Stilmittel?'. Wallner sitzt daheim in VS-Pfaffenweiler allein im Wohnzimmer. Vor ihm das Mikrofon und ein Notebook, auf dem eine Präsentation zum Thema läuft. Die hat er für seinen Unterricht erstellt und nutzt sie als Vorlage für die Aufnahme.

Der Gymnasiallehrer sprich ruhig und flüssig – fast schon wie ein Radio-Profi. Er hat Routine. Als im Frühjahr 2020 der Präsenzunterricht wegen der Corona-Pandemie eingestellt wird, sucht Wallner nach einer Lösung. Er entscheidet sich für Podcasts und nimmt in kurzer Zeit 60 Folgen zur Abiturvorbereitung für seine Schüler auf. Die sind noch nicht öffentlich zugängig. Aber das bleibt nicht so.
„Ich nehme für meine Fächer auf, da bin ich inhaltlich sicher“, sagt Wallner. Aber die Schüler zeigen großes Interesse und auch von anderen Schulen kommt positives Feedback. „Ich soll weitermachen. Da habe ich angefangen mit Kollegen Interviews zu machen. Bei Fächern, bei denen ich blank bin.“
Anfangs nimmt er sich noch per Handyvideo auf und verbreitet die Folgen über den Schulmessenger. „Ein Jahr drauf hatten wir immer noch Corona. da habe ich mir gesagt: Jetzt mache ich es richtig.“ Er schafft ein USB-Mikrofon an und besorgt sich die notwendige Software. Vor allem aber investiert er Zeit: „Eine Zehn-Minuten-Folge nimmt schon ein paar Stunden in Anspruch“, sagt Wallner. „Manchmal dauert es aber auch nur zehn Minuten.“
Aber lohnt sich der Aufwand? Wenn er Buch-Passagen zum Lesen aufgebe, würden das bedeutend weniger Schüler auch wirklich machen. Das zeige auch die Erfahrung aus dem Fernunterricht in der Pandemie. E-Mails mit Wochenaufgaben hätten nicht richtig funktioniert. „Da habe ich mich in die Schüler hineinversetzt“, erzählt Wallner, „und habe mich gefragt, was ich als Schüler gerne gehabt hätte.“ Podcasts seien leichter in den Alltag zu integrieren. „Jetzt lautet mein Arbeitsauftrag nur noch: Hört euch die Folge an.“ Und das geht per Handy wann immer und wo immer die Jugendlichen Zeit haben – sogar unterwegs auf dem Weg in die Schule.
„Deshalb bin ich ja auch Lehrer – ich will Hilfestellungen bieten“, sagt Wallner, der in Horb am Neckar geboren ist. In Konstanz hat er Politikwissenschaften und Germanistik studiert. Durch Zufall sei er im Praktikum am Romäusgymnasium gelandet. „Da hat es mir sehr gut gefallen.“ Seiner Frau gefällt es auch in Villingen und so bewirbt er sich dort gleich noch für das Referendariat. Seit 2015 ist er Lehrer und seit drei Jahren Oberstufenberater am Gymnasium am Romäusring.

Aus der eigenen Schulzeit weiß er, worauf es ankommt: „Ich war kein einfacher Schüler, gewiss kein Lehrerliebling.“ Der Audio-Unterricht dürfte ihn heute aber für viele Schüler zum Lieblingslehrer machen. „Danke, der Podcast hat mir den Arsch gerettet beim Gemeinschaftskunde-Abi“, zitiert Wallner die Reaktion eines Zuhörers. „Das freut einen natürlich“, sagt er.
Wir haben bei der Hochschule Furtwangen nachgefragt, welche Erkenntnisse es zum Nutzen von Podcasts im Unterricht gibt. Milena Spießer, stellvertretende Leiterin des Learning Services des Hochschulcampus Tuttlingen, hat bei den Studierenden eine spannende Beobachtung gemacht. Hier www.sk.de/10971651 nachzulesen.

2021 wollte der Gemeinschaftskunde-Lehrer die Erstwähler dann zusätzlich auf die Bundestagswahl vorbereiten. „Was würdet ihr wissen wollen?“, fragte er die Oberstufen-Schüler. „Megainteressante Fragen sind dabei zusammengekommen“, sagt er. Die stellte er den Kandidaten der großen Parteien im Wahlkreis. Aktuell geht Christian Wallner in eine zweite Runde und interviewt Vertreter der Jungendorganisationen der Parteien. Seit dem Neustart als echter Audio-Podcast im Frühjahr hat er es bereits auf etwa 70 Folgen gebracht.

Im Frühjahr gibt es auch Neues in Wallners Privatleben: Sein Sohn kommt auf die Welt und wirbelt den Produktionsplan durcheinander. Die Podcast-Folgen produziert er deshalb morgens vor dem Unterricht. Das alles macht der 36-Jährige freiwillig. Audio taucht im Bildungsplan nur am Rande auf, erzählt er. Vielleicht als Hörspiel im Deutschunterricht. Das sei dann aber immerhin ein mögliches Thema in der Abiturprüfung.
„Es wäre ja furchtbar, wenn alle Lehrer wären wie ich. Jeder erreicht einen anderen Typ Mensch.“Christian Wallner
Mittlerweile bekomme er positive Rückmeldungen von Referendaren und Studenten. „Der Podcast wurde uns an der Uni im Seminar empfohlen“, berichteten ihm die angehenden Lehrer. Eine Biologie-Kollegin hingegen habe ihm schon gesagt, sie würde sich nicht trauen, den Schutzraum des Klassenzimmers zu verlassen.
Wallner versteht das: „Mit einem Podcast erreiche ich nicht nur meine Klasse, den hören auch Kollegen und fremde Schüler.“ Ihn störe das nicht. „Mein Mund ist schneller als mein Kopf.“ Vielleicht schafft er es deshalb, die Staatsstruktur Deutschlands in zehn Minuten zu erklären – von Gewaltenteilung bis Gesetzgebungsverfahren.
Auch die neue Folge hat er unter Dach und Fach. Fehlt noch eine Abmoderation: „Es geht nicht darum alles zu wissen, es reicht, einfach mehr zu wissen. Egal wie man‘s dreht, es bleibt Qualität.“ Christian Wallner stoppt die Aufnahme. Wenige Stunden später können seine Schüler die Folge hören. Wo immer sie wollen und wann immer sie Zeit haben.
Folgen und reinhören
Hier gibt es die Übersicht über alle Folgen von Cristian Wallners Podcast: 'Mehr Wissen'
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