Alexander Allgaier betreibt mehrere Spielhallen in zweiter Generation in Villingen-Schwenningen, Donaueschingen und anderen Orten bis nach Offenburg. „Wer mehrere Standorte hat, hat damit durchaus ein lukratives Geschäft“, sagt er gegenüber dem SÜDKURIER. Damit wird ab Juli aber Schluss sein. Dann nämlich greift der neue Glücksspielstaatsvertrag. Für Allgaier und seine Kollegen ist dieses mit krassen Einschnitten verbunden. Sie kritisieren die „willkürliche“ 500-Meter-Regelung und monieren, dass mit der Öffnung von Online-Casinos das Argument der Spielsuchtbekämpfung ad absurdum geführt werde.

Was ändert sich? Bislang durften Betreiber von Online-Casinos das – der ein oder andere Fernsehzuschauer kennt die Werbung – nur in Schleswig-Holstein machen. Ab dem 1. Juli aber können Casinos im Internet auch aus anderen Bundesländern wie Baden-Württemberg betrieben werden. Gleichzeitig gelten dann für Betreiber von Spielhallen vor Ort strengere Regelungen. So müssen neue Spielhallen künftig einen Mindestabstand zu Schulen und Jugendeinrichtungen von 500 Metern aufweisen, außerdem darf sich um Umkreis von einem halben Kilometer nur noch eine Spielhalle befinden.

Für Allgaier, der die Spielhallen „Flair“ betreibt, kommt es dadurch zu großen Einschnitten: „Bei mir sind alle drei Standorte in Villingen betroffen.“ Die Spielothek in der Bickenstraße befindet sich weniger als 500 Meter entfernt von zwei weiteren Spielhallen in der Innenstadt – in der Färberstraße und in der Nähe des Münsters. Welche Spielhallen bleiben dürfen, muss die Stadtverwaltung entscheiden. Die setzt damit ein Landesgesetz um, erhält aber keinen Kritierienkatalog, anhand dessen sie die Entscheidung treffen kann. Allgaier: „Ich nehme die Stadt da in Schutz. Die kann nichts dafür und will das auch gar nicht. Jetzt muss sie sogar selbst einen Kriterienkatalog ausarbeiten.“ Im Jahr, sagt der Spielhallenbetreiber, nehme die Stadt derzeit etwa drei Millionen Euro durch die Vergnügungssteuer ein.

Das bestätigt Oxana Brunner von der städtischen Pressestelle. Tatsächlich waren es vor zwei Jahren zwischen 3,4 und vier Millionen Euro. Brunner: „Dazu sei aber gesagt, dass die Spielhallen einen Teil der Vergnügungssteuer ausmachen.“ Richtig sei, dass die Stadt tatsächlich selbst Kritierien ausarbeiten muss, anhand derer Spielhallen schließen werden müssen. Obwohl die Entscheidung noch aussteht und laut Brunner wohl erst gegen Ende des Monats getroffen wird, ist sich Allgaier schon jetzt sicher: „Ich gehe davon aus, dass der Standort Bickenstraße dicht gemacht wird.“
Ebenfalls Einschnitte wird Allgaier am Standort „In den Ziegelwiesen“ machen müssen: „Dort haben wir in einem Gebäude drei Konzessionen. Wir können damit den Standort vergrößern und verkleinern. Das wird künftig nicht mehr möglich sein. Erlaubt ist dann nur noch eine Konzession pro Standort.“ Die Folge für den Betreiber: Er muss künftig zwei Drittel der Fläche stilllegen, wird aber dieselbe Pacht zahlen. Außerdem muss er eigenen Angaben zufolge zwischen acht bis zehn von seinen rund 20 Mitarbeitern entlassen.

Drei, die um ihre Arbeitsplätze bangen, sind Monika Najdek, Grazyna Huber und Federica Talia. Najdek ist 42 Jahre alt: „Ich hab Angst um meine Existenz. Mein Sohn ist fünf Jahre alt, ich bin alleinerziehende Mutter. Mir bereitet die Frage, ob ich in drei Wochen noch einen Job habe, viel Stress.“ Für sie sei der Job in der Spielhalle ideal wegen der flexiblen Arbeitszeiten. Najdek hatte vor 13 Jahren schon mal in der Spielhalle gearbeitet, machte dann eine Pause wegen ihrer Schwangerschaft und anderer Dinge und kam vor zwei Jahren zurück.
Schon seit zwölf Jahren arbeitet die 60-jährige Grazyna in der Spielhalle von Alexander Allgaier. „Ich war nie arbeitslos und will das auch nicht sein. Wenn ich jetzt meinen Job verliere, stellt mich doch keiner in meinem Alter wieder ein“, sagt sie. Die Tätigkeit als Aufsicht, bei der sie unter anderem darauf achtet, wie lange Spieler an den Geräten sind und in welcher Verfassung sich diese befinden sei für sie mit ihren gesundheitlichen Problemen ideal. Auch für die 26-jährige Talia ist die Tätigkeit in der Spielhalle wichtig. „Ich habe früher im Restaurant gearbeitet. Hier gefällt es mir besser. Ich bin zwar erst seit sieben Monaten hier, aber ich würde den Job gerne behalten.“

Die drei Mitarbeiterinnen können nicht nachvollziehen, wieso die Regeln für Spieleinrichtungen vor Ort strenger gestaltet, während sie für Online-Casinos gelockert werden. Vor Ort, sagen sie, gäbe es Kontrollinstanzen. Das sei im Internet nicht so.
Was sagt die Fachstelle Sucht?
Aber stimmt das auch? „Ja, die Lockerung für Online-Casinos bei gleichzeitig strengeren Regelungen für Spielhallen vor Ort ist eine riesige Katastrophe“, sagt Holger Urbainczyk. Er ist Experte für Spielsucht bei der Fachstelle Sucht in VS. Der Online-Markt sei nicht beherrschbar. „Wir haben über Jahre Schulungen der Mitarbeiter von Spielhallen vorgenommen und eine gewisse Qualität aufgebaut. Jetzt wird der Online-Markt geöffnet und die ganze Arbeit scheint umsonst gewesen zu sein“, sagt Urbainczyk weiter. In Spielhallen habe es einen besseren Zugriff auf die Spieler gegeben.
Der Mann von der Fachstelle Sucht rechnet aber nicht damit, dass alle, die nicht mehr in Spielhallen zocken können, gleich ins Internet abwandern: „Während des Lockdowns ist der Zahl der Spielsüchtigen im Netz nur leicht gestiegen. Nicht jeder, der vor Ort nicht mehr spielen kann, macht das auch gleich im Online-Casino.“
Sportwetten bislang illegal
Der Glücksspielexperte rechnet damit, dass einige Spielhallenbetreiber auf Sportwetten umsatteln werden. Diese werden mit der Legalisierung von Online-Casinos auch außerdem Schleswig-Holsteins ebenfalls erlaubt. Bislang, so Urbainczyk, waren Wetten auf Sportergebnisse – mit Ausnahme des staatlichen Anbieters Oddset – nur geduldet. Anders als bislang, dürfen aktive Sportler oder Funktionäre ab dem 1. Juli keine Werbung mehr für Sportwetten machen. Oliver Kahn wird man künftig also nicht sehen, wie er mit geballter Faust Reklame für einen Sportwettenanbieter macht.
Das Ziel des Staates – ob bei den Online-Casinos oder den Sportwetten – ist es laut Urbainczyk, den Schwarzmarkt zu beseitigen und Steuereinnahmen zu kassieren. Der Spielerschutz sei „sehr gering gehalten“. Immerhin: „Beim legalen Spiel im Internet können künftig maximal 1000 Euro auf einmal verspielt werden. Außerdem können Menschen für das Spielen bundesweit gesperrt werden. Trifft diese Maßnahme jemanden, kann diese Person weder in Spielhallen, noch bei Toto Lotto und auch nicht an Automaten in Gaststätten zocken.“
Für Spielhallenbetreiber Allgaier bleibt die Neuregelung wenig sinnvoll – weswegen er auch dagegen vorgehen wird: „Meine Kollegen aus der Branche in ganz Deutschland werden gegen die Neuregelung klagen. Das weiß auch die Stadt Villingen-Schwenningen.“ Und die Verfahren vor Gericht könnten sich über Jahre ziehen.