Er kam mit Fußfesseln in den Gerichtssaal und durfte ihn ohne sie wieder verlassen: Das Villinger Schöffengericht hat einen 28-jährigen Mann wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Sie wurde für drei Jahre auf Bewährung ausgesetzt. All das wegen einer Schwarzfahrt, bei der den Angeklagten das Ticket nach St. Georgen knapp vier Euro gekostet hätte.
Was war passiert? Im Juni 2023 war der damals 26-Jährige in der Schwarzwaldbahn auf der Strecke in Richtung Karlsruhe kurz vor St. Georgen von einem Zugbegleiter kontrolliert worden. Wie dieser im Zeugenstand schilderte, sei ihm sofort aufgefallen, dass das vorgezeigte Verbundticket manipuliert und ursprünglich auf einen anderen Namen ausgestellt worden war.
28-Jähriger kann sich nicht ausweisen
Wie sich später herausstellen sollte, gehörte die Fahrkarte der Mutter des Angeklagten. Ihren Namen hatte er – mehr oder weniger erfolgreich – ausradiert und durch seinen ersetzt.
Der Schaffner sagte, er habe das Ticket daraufhin mit dem Personalausweis des Fahrgastes abgleichen wollen – wie es bei einer namentlich ausgestellten Fahrkarte ohnehin Vorschrift sei. Weil der junge Mann seinen Ausweis nicht habe zeigen können, habe er ihm einen Bogen zur Selbstauskunft ausgehändigt.
Situation im Zug eskaliert
Zunächst habe der Fahrgast den Zettel ausgefüllt. Dann sei der Angeklagte plötzlich aufgestanden und habe die Fahrkarte wieder an sich nehmen wollen, schilderte der Zugbegleiter. Offenbar dämmerte dem jungen Mann, dass er anhand dieser Selbstauskunft identifizierbar sein würde und dass das Schwarzfahren Ärger nach sich ziehen würde – zumal er wegen verschiedener Vorstrafen kein unbeschriebenes Blatt war.
Der Zugbegleiter schaltete aufgrund der sich zuspitzenden Situation seine Bodycam ein, worauf er den jungen Mann auch hingewiesen habe.
Diese Tatsache brachte den 26-Jährigen offenbar noch mehr in Rage, sodass der Zugbegleiter in ein abgetrenntes Abteil flüchtete, die Glastüren von innen zu hielt, woraufhin der Angeklagte Pfefferspray durch die Aussparung zwischen den Türflügeln sprühte: „Aus einer Riesenflasche, wie Rasierschaum, bestimmt 250 Milliliter“, so der Geschädigte.
Spray-Attacke wirkt tagelang nach
Er erlitt durch die Spray-Attacke starke Hautreizungen an der linken Gesichtshälfte, am Arm sowie Atembeschwerden, tagelang hätten Haut und Augen gebrannt.
Am St. Georgener Bahnhof konnte er den Fahrdienstleiter informieren, der Polizei und Rettungsdienst verständigte. Glücklicherweise befinde sich direkt am St. Georgener Bahnhof eine Augenklinik, in der er umgehend behandelt worden sei. Dem Schwarzfahrer gelang die Flucht zu Fuß.
„Ich hoffe, dass Sie mir vergeben“, wandte sich der sichtlich angespannte Angeklagte vor Gericht an den Zugbegleiter. Das Geschehene tue ihm sehr leid, ließ er außerdem über seinen Verteidiger Rudolf Hirt ausrichten.
„Mein Mandant ist ei froh, dass das Geschehene nun aufgearbeitet wird. Er hofft, dass er jetzt ein neues Leben frei von Straftaten beginnen kann“, so Hirt. Der 28-Jährige, der bisher im Verkauf und als Küchenhilfe gearbeitet habe, wolle eine Ausbildung zum Friseur beginnen.
Cannabis, Kokain, Alkohol
Dieses neue Leben sollte in erster Linie frei von Alkohol- und Drogenmissbrauch stattfinden, machte der psychiatrische Gutachter in der Verhandlung klar: Er berichtete von langjährigem Alkoholmissbrauch sowie von multiplem Substanzgebrauch bei dem 28-Jährigen, von Cannabis über Kokain bis hin zu Amphetaminen.
Zum Tatzeitpunkt sei der Angeklagte voll schuldfähig und seine Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit nicht durch Alkohol oder Drogen beeinträchtigt gewesen: So habe er den Zugbegleiter zunächst problemlos durch den Waggon verfolgen und am Bahnhof in St. Georgen fliehen können.
Gutachter fürchtet weitere Straftaten
Aus psychiatrischer Sicht sei davon auszugehen, dass der junge Mann künftig ähnliche Straftaten begehen werde, wenn er seinem Leben nicht grundsätzlich eine neue Richtung gebe.
Aktuell sei der 28-Jährige sowohl therapiemotiviert als auch krankheitseinsichtig. Jedoch sei das Rückfallrisiko nicht zu unterschätzen, weshalb eine mehrmonatige stationäre Entwöhnung in Kombination mit zuverlässiger Einnahme von Psychopharmaka unabdingbar sei.
Nicht zum ersten Mal vor Gericht
Staatsanwältin Nathalie Werth hatte ihre Zweifel daran, dass der Angeklagte nachhaltig einsichtig sei, zumal er auch einige Vorstrafen mitbringt: So wurde er im Jahr 2019 schon einmal wegen versuchter räuberischer Erpressung zu 90 Tagessätzen verurteilt.
2023 wurde er zu 180 Tagessätzen wegen Diebstahls mit Waffen verurteilt, bei dem ein Klappmesser im Spiel war. Weil er die Tagessätze nicht bezahlen konnte, saß er sie als Ersatzfreiheitsstrafe im Gefängnis ab.
28-Jähriger muss in Therapie
Richter Christian Bäumler folgte in seinem Urteil der Forderung der Staatsanwaltschaft und verurteilte den 28-Jährigen zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe, die drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wird. Außerdem erging die Auflage, eine stationäre Therapie zu absolvieren.
Zudem muss der 28-Jährige dem Zugbegleiter 750 Euro Schmerzensgeld bezahlen. Da das Gericht eingangs einem Adhäsionsverfahren zugestimmt hatte, bei dem der zivilrechtliche Aspekt mit dem strafrechtlichen Aspekt zusammengeführt wird, müssen die Ansprüche aus der Tat nicht mehr vor einem Zivilgericht behandelt werden.