Es gibt Tage, da liest Rike Richstein am Frühstückstisch. Unterwegs im Zug. Spätabends im Bett. „Ich lese fast immer“, sagt die 27-Jährige. Und es gibt Tage, da schreibt sie so viel sie kann. An ihrem zweiten Roman. „Ein Notizbuch habe ich immer dabei.“
Mit ihrem ersten Roman gewann sie 2019 den Kulturpreis für Literatur des Schwarzwald-Baar-Kreises – und führt jetzt im Rahmen der Literaturtage mit Ruth Tuschewski und Erik Wunderlich auf zwei Lesewanderungen durch Villingen und Schwenningen.
Doch: Wer ist die junge Frau, die sich so für Literatur interessiert? Und was fasziniert sie am Lesen und Schreiben?
Die Welten in ihrem Kopf
Rike Richstein sitzt, die Beine übereinandergeschlagen, in einem Café und überlegt, wie sie ihre Leidenschaft in Worte fassen könnte. Gar nicht so einfach bei einer Faszination, die schon immer da war.
„Ich glaube, Geschichten zu erzählen ist ein urmenschliches Bedürfnis. Wir sind ständig umgeben davon, ob in Büchern oder der neuesten Netflix-Serie“, sagt sie dann. „Und es hat erst einmal etwas Egoistisches. Ich schreibe, weil das die Ausdrucksform ist, die mir liegt. Weil es meiner Fantasie – und den Welten in meinem Kopf – ganz gut gerecht wird.“
Rike Richstein liebt das Eintauchen in fremde Welten. Seit sie selbst noch ein Kind war. Sie erinnert sich noch genau daran, wie ihr in jungen Jahren immer vorgelesen wurde. Bücher von Astrid Lindgren und Cornelia Funke zum Beispiel.
Kindheitserinnerungen und Wohlfühlmomente
Bücher, zu denen sie heute noch greift, wenn sie krank ist. „Gerade wenn ich krank bin, hat das etwas sehr Beruhigendes“, sagt sie, weil „es Geschichten sind, in denen ich mich wohlfühle. Und weil ich die Figuren unheimlich gut kenne.“
Lesen allein wäre aber viel zu langweilig. „Ich habe meinem Bruder als Kind schon oft Gute-Nacht-Geschichten erzählt“, erinnert sich Richstein. „Und mir die natürlich ausgedacht.“
Welche Rolle das Gymnasium am Hoptbühl spielte
Vielleicht wäre sie auch keine Hobby-Autorin geworden, hätte es da nicht ihre Schule, das Gymnasium am Hoptbühl, gegeben. Denn: „Eigentlich ist es der Verdienst meiner Schule, dass ich nicht irgendwann aufgehört habe, Geschichten zu spinnen“, sagt Richstein.
Die Schule, das war der Ort, wo sie bis zum Abitur für die Schülerzeitung schrieb. Wo sie für ihre Reportage über den Israel-Palästina-Konflikt im Schülerzeitungswettbewerb des „Spiegel“-Magazins einen Preis gewann.
Wo sie in der Literaturwerkstatt mit ihren Mitschülern an Geschichten feilte und zusammen mit ihnen ein Theaterstück und einen Roman über die Villinger Hexenverfolgung schrieb. Und wo sie letztendlich den Mut fand, sich ganz allein an einem Roman zu versuchen: „Herr Paul. Oder die Unwahrscheinlichkeit des Glücks“.
Inhaltlich gehe es um einen Mann, der seit Jahrzehnten mit dem Zug zur Arbeit fährt. Jede Ansage, jeden Tunnel, jede Haltestelle schon auswendig kennt – aber an all den Orten immer nur vorbeifährt. „Und sich nach 20 Jahren entscheidet, die Orte wirklich kennenzulernen.“
Wie autobiografisch das ist? Rike Richstein muss schmunzeln. „Das Ganze ist schon inspiriert davon, dass ich oft mit der Schwarzwald-Bahn gefahren bin. Und man irgendwann jede Station kennt und sich fragt, wohin die anderen Leute unterwegs sind.“
Momentan schreibt sie wieder an einem Roman. Und lesen, das geht bei ihr sowieso immer. Ihre Lieblingsbücher: „Die hellen Tage“ von Zsuzsa Bánk und alles von Elizabeth Strout oder Kent Haruf. Weil diese Autoren „gute Menschenbeobachtungen“ schreiben, wie sie sagt.
„Vielleicht“ sagt sie, „Kam gerade daher die Lust auf die Lesewanderungen“, die im Rahmen der Literaturtage vom Freundeskreis Kultur organisiert werden – und die Richstein mit ihren beiden Autorenkollegen Ruth Tuschewski und Erik Wunderlich gestaltet.
„Das ist nicht wie bei einer normalen Lesung, wo jeder brav zuhört und dann nach Hause geht. Da ist mehr Dynamik drin. Sich wirklich zu begegnen.“ Und die Stadt noch einmal ganz anders kennenzulernen.
Eine Stadt, die Rike Richstein so sehr geprägt hat, dass sie heute – wo sie in Konstanz lebt und promoviert – noch immer sagt: „Ich bin in Villingen gern zur Schule gegangen.“ Und die Schule? „Die hat mir das Schreiben nahegebracht.“