„Ich bin ja froh, dass hier jetzt kein Glaubenskrieg ausbricht“, meinte der pensionierte Polizist und SPD-Stadtrat Edgar Schurr, als die Kommunalpolitik am Dienstagabend an der Büchse der Pandorra rüttelte.
Die Fraktionen der Grünen und der SPD hatten zuvor beantragt, dass sich VS als Modellgemeinde beim Bund bewerben solle – was unter anderem zur Folge habt hätte, dass auch auf allen Hauptverkehrsstraßen Tempo 30 hätte gelten müssen und das ein ganzheitliches Verkehrskonzept in der Innenstadt hätte eingeführt werden müssen.
Das Rathaus hatte den Antrag artig auf den Tisch der Volksvertreter gelegt und listig – oder fürsorglich? – ein wenig nachgewürzt: zum Beispiel mit dem ausführlichen Hinweis auf alle möglichen Folgekosten. Der Busverkehr müsse umgeplant werden, die Schilder ab- und anmontiert und es fehlte eigentlich nur noch der Hinweis, dass städtische Bedienstete bei Tempo 30 mehr Strom in Dienstautos verbrauchen, weil der Weg von Villingen nach Schwenningen länger dauern könnte.
Ulrike Salat von den Grünen kleidete diese Anmutung der Bedenken der Verwaltung in die Worte, man könne „den Eindruck haben, hier soll etwas wegdiskutiert werden“.
Tatsächlich: Die Debatte drehte sich fast ausschließlich um Tempo 30 und Tempo 50. Weshalb Tempo 30 eine Option sein könnte, wurde nur gestreift: Mehr Sicherheit für Radfahrer und Fußgänger könnten eine der guten Folgen eines solchen Konzepts sein, unterstrich Bernd Lohmiller.
Er verwies auf die teils sehr gefährlichen Ortsdurchgangsstraßen, wo kaum zwei größere Fahrzeuge aneinander vorbei kommen. Käme dann noch eine radelnde Familie entgegen, werde es richtig gefährlich, so der Kriminalbeamte aus Marbach.
Kippen da Motorradfahrer um?
Es gab im Technikausschuss des Gemeinderates keine Mehrheitsaussichten für die Tempo 30-Modellstadt. Dafür eine Diskussion, deren Abgrund mit einem Beitrag von AfD-Mitglied Olaf Barth erreicht wurde, der äußerte, bei Tempo 30 könnten ja Motorradfahrer umfallen, das sei zu langsam. Edgar Schurr, selbst erfahrener Motorradfahrer, maßregelte den Rechten und empfahl ironisch einen Sicherheitskurs auf zwei Rädern.
Dietmar Wildi verwies für die CDU eingangs gleich auf die Wohngebiete, in denen ja schon Tempo 30 gelte. Wildi geht davon aus, dass „bei mehr Radfahrern die Kohlendioxid-Belastung automatisch sinken“ würde. Auch die Freien Wähler stellten sich klar hinter die Haltung der Verwaltung, den Modellstadt-Status nicht anzustreben. Für die FDP zeigte sich Frank Bonath kritisch. Er sagte, Tempo 50 sei „ja keine Raser-Geschwindigkeit“ und wandte sich dagegen, ein Brems-Konzept über die Stadtfläche auszubreiten.
Und nun? Die Verwaltung hat schon seit einiger Zeit angekündigt, den Stadtverkehr anpacken zu wollen. Nur nicht als Modellstadt sondern mit Hochtechnologie. Der Verkehrsfluss soll sensorgesteuert und deutlich flüssiger werden, so die Zielsetzung. Inwieweit dadurch Hauptverkehrsrouten wie etwa die Saallandstraße mit den vielen Mündungen aus der Südstadt eingebremst werden, bleibt abzuwarten. Vielleicht unterbietet das Rathaus mit seiner Vorgehensweise ja schlussendlich noch alle Tempo 30-Ziele, weil sich die zunehmenden Verkehrsströme noch mehr stauen?
Klagen über Zustände an Bus-Stopps
Wer derzeit durch die Stadt radelt oder einen Angehörigen mit Rollstuhl an die frische Luft schiebt, der fühlt sich von allen Verkehrsplanungen ignoriert. Radwege werden nach Schneefällen überwiegend zugeschippt, sowohl von der Straße aus als auch mit Schneelast von Gehwegen. Dauerparker blockieren Fußwege, die teils gefährlich vereist sind. Vor Regressforderungen auf solchen Rutschbahnen schützt sich die Stadt mit dem Schild: Keine Winterwartung.
Auch das monatelang ausgetüftelte Buskonzept hat winterliche Schattenseiten. Nutzer beschweren sich, dass Bushaltestellen nicht geräumt sind und dass der Zugang in den Bus teils nur über Schneehufen hinweg möglich sei, wie etwa in der Südstadt und den Erbsenlachen.
Ob bei solchen Situationen der verheißungsvoll angekündigte sensorgesteurte VS-City-Verkehr hilft? Die Debatte wird nun noch einmal im Gemeinderat fortgesetzt. Edgar Schurr verwies schon am Dienstagabend darauf, dass ja gar nicht klar sei, was das Modellstadt-Konzept überhaupt bedeutet – auch hinsichtlich der Kosten.
Auch Ulrike Satal (Grüne) sagte kopfschüttelnd, es sei ja überhaupt nicht klar, wie umfangreich Modellstadt-Umbau-Maßnahmen vom Bund bezuschusst werden. Es ist also noch nicht aller Tage Abend mit der Modellstadt Villingen-Schwenningen, die für Ulrike Salat als einer der Antrags-Initiatorinnen auch „mehr Lebensqualität“ und „Attraktivität für junge Familien mit sich bringen“ könne.
Man soll bei Politik nicht über Glaubenskriege reden, vor allem nicht in Zeiten wie diesen. Aber kräftig verfahren haben sich die Mandats- und Verantwortungsträger mit dieser Diskussion durchaus. Jetzt ist die Frage, ob das Thema dort im Debatten-Schlamm steckengeblieben ist, wo der Abschleppwagen nicht mehr hinkommt.