Nur noch wenig ältere Einwohner wissen es aus eigenem Erleben: Auf dem ehemaligen Kasernengelände in Villingen wurde während des Zweiten Weltkriegs in den Jahren 1940 bis 1945 ein großes Kriegsgefangenenlager der Wehrmacht, genannt Stammlager (Stalag) Vb, betrieben.

Das Landesdenkmalamt hat jetzt auf diesem Grundstück archäologische Rettungsgrabungen begonnen, um die wenigen Überreste dieses Gefangenlagers fotografisch für die Nachwelt zu dokumentieren.

Blick von oben auf das ehemalige Kasernengelände. Er zeigt die früheren Fahrzeughallen der französischen Armee. Hier wurden jetzt mit ...
Blick von oben auf das ehemalige Kasernengelände. Er zeigt die früheren Fahrzeughallen der französischen Armee. Hier wurden jetzt mit archäologischen Ausgrabungen begonnen, um das Kriegsgefangenenlager des 2. Weltkriegs zu dokumentieren. | Bild: Hans-Jürgen Götz

Denn die Zeit drängt. Das Gelände der ehemaligen Wehrmachtskaserne, auf dem sich das Gefangenenlager befand, und das nach dem Krieg von den französischen Streitkräften mit der Kaserne Mangin weitergenutzt wurde, soll nun in den Jahren 2023 bis 2025 neu erschlossen und bebaut werden. Dort soll das neue Quartier Oberer Brühl für 1500 Einwohner entstehen. Mehrere hundert neue Wohnungen und weitere öffentliche Einrichtungen sind vorgesehen.

Zur Zeit des Stalag Vb waren auf deutlich kleinerer Fläche im Schnitt nach Angaben der Stadt einschließlich mehrerer Außenlager etwa 2000 bis 4000 Kriegsgefangene in Baracken untergebracht. Die meisten stammten aus der damaligen Sowjetunion.

Da die anstehenden Abbruch-, Rückbau- und Erschließungsarbeiten zur Zerstörung der geschützten Denkmalsubstanz führen werden, hat die Stadt mit dem Landesdenkmalamt eine zeitlich und räumlich begrenzte Rettungsgrabung vereinbart. Die Fläche des Lagers ist 4350 Quadratmeter groß.

Diese historische Aufnahme zeigt einen Blick auf den Westteil das Kriegsgefangenenlagers in Villingen.
Diese historische Aufnahme zeigt einen Blick auf den Westteil das Kriegsgefangenenlagers in Villingen. | Bild: Geschichts- und Heimatverein Villingen

Die Archäologen sind bereits dabei, die Grundmauern der ehemaligen Lagergebäude freizulegen. Die Baracken selbst sind längst verschwunden. Das Gebiet wurde vom Denkmalamt mittlerweile als Kulturdenkmal ausgewiesen und in die Denkmalschutzliste eingetragen.

Viele Spuren verschwunden

Erste Untersuchungen im Auftrag der Stadt haben ergeben, dass große Teile der archäologischen Spuren des ehemaligen Gefangenenlagers durch die spätere Nutzung nicht mehr ablesbar sind.

Im ersten Grabungsabschnitt, der von den Archäologen bereits abgeschlossen wurde, gab es bislang nur wenig relevante Einzelfunde, berichtet die Stadtverwaltung jetzt in einer Informationsvorlage an die Gremien des Gemeinderates.

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Zu den relevanten Einzelfunden zählen bisher Dinge wie Absätze von Militärstiefeln, Essgeschirr und Besteck, verschiedene Knöpfe von unterschiedlichen Uniformen, Patronenhülsen und Zahnbürsten. Alle Funden werden fotografiert und dokumentiert, um für die Nachwelt Zeugnis von diesem Lager abzulegen.

Inzwischen haben die Archäologen bereits mit dem zweiten Grabungsabschnitt begonnen. Die Ausgrabungen sollen im Herbst abgeschlossen werden, damit die Stadt die eigentlichen Rückbauarbeiten auf dem Gelände starten kann.

Das Rathaus plant im Anschluss der Rettungsgrabungen eine umfassende Information des Gemeinderats und der Öffentlichkeit. Dies beinhaltet auch Führungen vor Ort für interessierte Bürger im Bereich des ehemaligen Gefangenenlagers. Darüber hinaus ist für nächste Woche ein Pressetermin auf dem Gelände angesetzt.

Geschichtslehrpfad geplant

Wie die Stadt weiter bereitet, ist nach Fertigstellung des neuen Wohngebietes Oberer Brühl auf dem Gelände ein Geschichtslehrpfad geplant, der mithilfe visueller Unterstützung den Bürgern auch konkrete Einblicke in das ehemalige Gefangenlanger ermöglichen soll.

Ziel sei es, so die Verwaltung, den Bürgern eine Möglichkeit zu bieten, sich umfassend über die Geschichte des Areals zu informieren und sich damit auseinandersetzen zu können.

Es gibt noch viel zu forschen

Dieser Ansatz, die Geschichte des Gefangenenlagers nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, wird auch vom ehemaligen Stadtarchivar Heinrich Maulhardt mit großem Nachdruck befürwortet.

Der ehemalige Stadtarchivar Heinrich Maulhardt erforscht seit fünf Jahren die Geschichte des Kriegsgefangenenlagers in Villingen.
Der ehemalige Stadtarchivar Heinrich Maulhardt erforscht seit fünf Jahren die Geschichte des Kriegsgefangenenlagers in Villingen. | Bild: Sprich, Roland

Maulhardt erforscht seit 2018 die Geschichte des Gefangenenlagers und des später von den französischen Besatzern betriebenen Nachfolgelagers. Nach dem Krieg haben die Franzosen darin Nazis eingesperrt, aber auch Zivilpersonen untergebracht, die sich kriegsbedingt außerhalb ihres Heimatstaates aufhielten und ohne Hilfe nicht zurückkehren konnten. „Da gibt es noch sehr viel zu tun und zu erforschen“, betonte Maulhardt.

Umso unverständlicher ist ihm, dass die Stadtverwaltung die historische Aufarbeitung nicht stärker unterstützt. Er selbst habe die Bodenuntersuchung des ehemaligen Gefangenenlagers angeregt, berichtet Maulhardt.

Die Ergebnisse lägen der Stadt bereits seit Dezember vor. Dabei geht es auch um die Untersuchung des Untergrundes beim ehemaligen Mannschaftsgebäude der Kaserne, das die Stadt nun zum Stadtarchiv umbauen wird. „Es ist das letzte noch bestehende Gebäude des einstigen Gefangenenlagers“, berichtet Maulhardt.

Behinderung der historischen Forschung

Haben die Bodenuntersuchungen neue Erkenntnisse gebracht? Maulhardt weiß es nicht. Ihm als Initiator seien bisher keine Informationen seitens der Stadt gegeben worden. „Ich empfinde das als Behinderung der historischen Forschung“, klagt der Historiker und ehemalige Stadtarchivar.

In dem Gefangenenlager saßen während des Krieges Franzosen, Italiener, Jugoslawen, Engländer, Amerikaner sowie viele russische Kriegsgefangene. Letztere standen nach der Rassenlehre der Nazis in der Lager-Hierarchie ganz unten.

Diese Aufnahme zeigt russische Kriegsgefangen im „Stammlager“ (STALAG) 5b in Villingen. Das Lager gehörte zum ...
Diese Aufnahme zeigt russische Kriegsgefangen im „Stammlager“ (STALAG) 5b in Villingen. Das Lager gehörte zum Wehrbereichskommando 5 der Wehrmacht in Ludwigsburg. Dort gab es die Gefangenlager Ludwigsburg (a), Villingen (b) und Offenburger (c). Es wurde von 1940 bis 1945 betrieben und beherbergte 1000 bis 2000 Kriegsgefangene. | Bild: Geschichts- und Heimatverein Villingen

Obwohl sie im Hitler-Deutschland von der Wehrmacht im Gegensatz zu den Kriegsgefangenen aus den meisten anderen Nationen nicht nach der Genfer Konvention behandelt wurden, sind sie nach bisheriger Forschung von Maulhardt vom Lagerleiter in Villingen, einem Oberbaldinger, überwiegend anständig behandelt worden.

Das Gefangenenlager, findet Maulhardt, sollte nicht in der Vergessenheit verschwinden. „Ich plädiere für ein Gedenken und Erinnern, das ist absolut notwendig“, betont er. Und dies nicht nur für die Einheimischen.

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In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten, so berichtet Maulhardt, hätten sich immer wieder ehemalige Gefangene oder deren Angehörige aus dem Ausland an die Stadt gewandt und wollten das ehemaligen Lager oder zumindest eine entsprechende Erinnerungsstätte besichtigen.

Entsteht ein neuer Gedenkort?

Die Forderung nach einer Gedenkstätte hält Maulhardt deshalb für höchst berechtigt. Wie das Ganze aussehen soll, ist noch in der Diskussion. Es würden derzeit verschiedene Möglichkeiten des Erinnerns diskutiert, unter anderem auch die Errichtung eines Lern- und Gedenkortes, heißt es in der Informationsvorlage der Stadt. Dies soll in Abstimmung mit dem Landesdenkmalamt erfolgen.