Die Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus in Villingen und Schwenningen erreicht immer neue Dimensionen. In einem Vortrag beleuchteten Historiker Erkenntnisse unter anderem über das Strafgefangenenlager im ehemaligen Waldhotel, Versteigerungen des Hausrats jüdischer Bürger aus beiden Stadtteilen und erinnerten an rund 100 Villinger und Schwenninger Bürger, die Opfer grausamer Euthanasie-Morde in Grafeneck wurden.

Weit über 100 Zuhörer verfolgen die Vorträge mit neuesten Erkenntnissen über die Nazizeit in Villingen-Schwenningen.
Weit über 100 Zuhörer verfolgen die Vorträge mit neuesten Erkenntnissen über die Nazizeit in Villingen-Schwenningen. | Bild: Sprich, Roland

Die Organisatoren des Stadtarchivs wurden vom Interesse der Bürger überrascht. Der große Saal im Martin-Luther-Haus platzte aus allen Nähten. Nach einem Grußwort von Oberbürgermeister Jürgen Roth, der sagte, dass die Forschungen zur NS-Zeit in Villingen-Schwenningen noch längst nicht abgeschlossen seien und sich immer neue Fragestellungen ergeben, mit denen sich die Forscher befassen, sagte Robert Neisen, der sich bereits intensiv mit der Aufarbeitung der NS-Zeit in Villingen-Schwenningen befasst, dass man noch längst nicht am Ende der Forschungen angekommen sei. 

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Er entschuldigte sich zudem bei den Anwesenden, dass die Geschichte des ehemaligen Münsterkantors Ewald Huth in seiner Stadtchronik keine Erwähnung gefunden hatte: „Ich sehe ein, dass dies ein Fehler war.“ Neisen ging grob auf die Geschichte des Kasernengeländes ein, in dem während des Zweiten Weltkriegs Strafgefangene untergebracht wurden.

Der ehemalige Stadtarchivar Heinrich Maulhardt berichtete über das Strafgeangenenlager STALAG V b, das im ehemaligen Waldhotel in ...
Der ehemalige Stadtarchivar Heinrich Maulhardt berichtete über das Strafgeangenenlager STALAG V b, das im ehemaligen Waldhotel in Villingen eingerichtet war. Seine Ausführungen beruhten dabei auf Tagebucheinträge eines französischen Strafgefangenen. | Bild: Sprich, Roland

Der ehemalige Stadtarchivar Heinrich Maulhardt berichtete über den französischen Strafgefangenen André Lachenal, der im Mai 1940, gleich nach dem Angriff Deutschlands auf Frankreich, gefangengenommen und in einem offenen Eisenbahnwagen nach Deutschland gebracht wurde. Aufgrund einer schweren Halsentzündung, die er sich bei dem Eisenbahntransport zugezogen hatte, wurde André Lachenal in das Lazarett des Gefangenenlagers Stalag V b eingeliefert, das im ehemaligen Waldhotel, das heutige Diakonissenhaus Tannenhöhe in der Oberen Waldstraße, eingerichtet wurde.

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Aufgrund seiner Tagebuchaufzeichnungen, die die Enkelin des 2012 verstorbenen Lachenal dem Stadtarchiv überlassen hatte, konnte rekonstruiert werden, wie die Strafgefangenen versorgt wurden. Wie Maulhardt sagte, wolle das Stadtarchiv Erinnerungen an das Strafgefangenenlager aufrecht erhalten, sobald die Stadt das Gelände erworben hat, das derzeit noch in Besitz der Bundesrepublik Deutschland ist.

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Über die systematische Enteignung und fiskalische Ausplünderung jüdischer Bürger, verbunden mit öffentlichen Versteigerungen deren Hausrats, berichtete Wolfgang Heitner. Insbesondere beleuchtete er die Situation der Familien Schwarz aus der Villinger Gerberstraße und der Familie Haberer sowie der Familien Bloch und Gideon. „Der nationalsozialistische Staat hat an der Verfolgung und Ausplünderung aktiv mitgewirkt. Aber auch die Bürger aus Villingen und Schwenningen haben sich beteiligt, die betroffenen jüdischen Familien auszunehmen. Aus Gier oder mangelndem Rechtsverständnis“, gab Heitner auch den Bürgern eine Mitschuld, die sich durch die Ersteigerungen an dem Inventar bereichert haben.

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Beklemmende Stille herrschte im Saal, als Friedrich Engelke seine Erkenntnisse über Villinger und Schwenninger mitteilte, die Opfer der Euthanasie-Morde in der Tötungsanstalt Schloss Grafeneck im Landkreis Reutlingen wurden. Hierher wurden psychisch kranke Frauen und Männer, aber auch Kinder, aus Kliniken gebracht und ermordet. In aufwändigen Recherearbeiten sei es gelungen, die Namen dieser Personen aufzulisten. „Viele der Namen erscheinen heute das erste Mal in der Öffentlichkeit“, so Engelke. Darunter auch der Name Manfred Baumann, der an einer Hirnhautentzündung litt und im Alter von nicht einmal zwei Jahren 1944 ermordet wurde – mit Luminal, einem Mittel gegen epileptischer Anfälle, das ihm in zehnfacher Dosis verabreicht wurde.