Die Startnummer muss sitzen. Bei Ben, dem Stabhochspringer. Bei Tom, dem Speerwerfer. Gerade muss sie am Trikot angebracht sein, sollte keinen Knick haben, darf auf keinen Fall ablenken. Wer an der eigenen Leistungsgrenze agiert, der weiß um die Bedeutung von Kleinigkeiten für das große Ganze.

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Ein Gewitterregen ergießt sich auf die Sportanlage in Radolfzell. Eigentlich wollten Tom und Ben Bichsel an diesem Nachmittag trainieren, die größten Pfützen lassen sie aber erst mal versickern. Mutter Martina war einst selbst als Leichtathletin aktiv und nahm die Kinder daher schon in jungen Jahren zu ihren Wettkämpfen mit. „Die haben zugeschaut – oder in der Weitsprunggrube gesandelt“, erinnert sich die Mama. Mit sechs Jahren begann dann die eigene Vereinskarriere der Kinder, deren Talent schnell auffiel. „Da hieß es dann immer, dass man aufpassen und als Weitennehmer weiter nach hinten gehen müsse, wenn der Tom beim Ballwurf dran war“, erinnert sich die Mama.

Ben Bichsel beim Stabhochsprung. Er will bald in den USA hoch hinaus.
Ben Bichsel beim Stabhochsprung. Er will bald in den USA hoch hinaus. | Bild: IMAGO

Die beiden Söhne kennen die Geschichten aus der Zeit, als sie noch bei Block- oder Zehnkampf-Meisterschaften antraten. Längst haben sie sich spezialisiert und zählen zu den besten Athleten Deutschlands. Ben Bichsel wurde Zweiter bei den Deutschen Meisterschaften der Stabhochspringer der unter 20-Jährigen, im vergangenen Jahr durfte er bereits einen Vergleichskampf im Nationaltrikot bestreiten. Tom wurde bei der U23-DM in diesem Jahr nur von drei anderen Werfern übertroffen.

Tom Bichsel in Aktion. Vor einem Wettkampf hört er gerne Disko-Musik.
Tom Bichsel in Aktion. Vor einem Wettkampf hört er gerne Disko-Musik. | Bild: IMAGO

Leichtathletik als Familiensache? Nicht ganz, denn Papa Frank war ein Handballer, die Kinder versuchten sich in diversen Sportarten, am Ende war die Leidenschaft für das von der Mutter vorgelebte Hobby aber am größten.

Zwei Brüder und ihre Sportgeräte: Tom (links) mit dem Speer, Ben mit dem Hochsprungstab.
Zwei Brüder und ihre Sportgeräte: Tom (links) mit dem Speer, Ben mit dem Hochsprungstab. | Bild: Salzmann, Dirk

„Man rennt an, wird hochgeschleudert, fliegt durch die Luft“, sucht Ben nach den richtigen Worten, um die Leidenschaft für seinen Sport zu beschreiben. Klippenspringen macht er noch, das sei vergleichbar. Je spektakulärer, um so besser. Einfach nur 100 Meter stur geradeaus laufen, das war noch nie etwas für ihn. Es kommt auf die Kraft an, vor allem aber auf die Technik. Ebenso bei Tom. Beim Speerwerfen muss jedes Detail passen: „Ob ein Wurf gut oder schlecht ist, weiß ich bereits Millisekunden nach dem Abwurf.“ Der ewige Versuch, Perfektion zu finden.

Brüder, Rivalen, Freunde

„Der Große tut sich da einfacher damit als der Kleine“, erklärt Mutter Martina später, dass der psychische Aspekt eben eine große Rolle spiele. Sehr ähnlich seien sich ansonsten beide, aber in einigen Punkten dann halt doch verschieden. Ben studiert Maschinenbau an der HTWG Konstanz, Tom macht ein duales Studium, auch Maschinenbau, pendelt dafür vom Elternhaus in Steißlingen zur Uni nach Friedrichshafen oder zur Firma Constellium, seinem Lehrbetrieb in Gottmadingen. Am Wochenende stehen Wettkämpfe an, dazwischen gibt es Trainingseinheiten – in Radolfzell, Stuttgart, Frauenfeld oder im Speicher zu Hause, wo sie sich einen Kraftraum eingerichtet haben, denn für gute Trainingsmöglichkeiten muss man im tiefen Süden selber sorgen, da haben es Athleten in Stuttgart, Leverkusen oder Potsdam einfacher.

Tom Bichsel in Aktion Video: SK
Ben Bichsel überspringt 4,90 Meter Video: privat

Tom und Ben waren und sind oftmals auf sich allein gestellt, der Bruder als der größte Konkurrent. „Früher war man schon darauf aus, den anderen zu übertreffen“, geben beide gerne zu. Aber die Bichsel-Brüder können längst besser mit- als gegeneinander. Im Training, im Wettkampf und auch privat.

Vergangenes Jahr fuhren beide mit dem Motorrad gemeinsam nach Kroatien, lediglich Schlafsack und Hängematte hatten sie dabei, um in einem Waldstück unterwegs einige Stunden zu schlafen. Etwas verrückt darf es schon sein, die Disziplin bestimmt schon genug Lebenszeit.

Die Kinder sind auf dem Sprung

Wie aber soll es weitergehen? Tom hofft, in die Fußstapfen der großen deutschen Speerwerfer um Johannes Vetter, Thomas Röhler oder Julian Weber zu treten. „Ich bin 22, da liegen noch einige gute Jahre vor mir“, sagt er. Sein Trainer Georg Bauer sieht ihn auf einem guten Weg, wenngleich zu Weltspitze noch einiges fehle. „Momentan steht seine Bestleistung bei 68 Metern. Zur nationalen Spitze fehlen da noch 13, 14 Meter.“ Der aus Radolfzell stammende Bauer war 16 Jahre Speerwurf-Bundestrainer, sieht in seinem Schützling noch viel Potenzial.

Speerwurf-Trainer Georg Bauer wohnt auf der Höri. Er ist seit 2017 Trainer bei der LG Radolfzell.
Speerwurf-Trainer Georg Bauer wohnt auf der Höri. Er ist seit 2017 Trainer bei der LG Radolfzell. | Bild: Salzmann, Dirk

Gleiches gilt für Ben, der von Freddy Graf in Frauenfeld trainiert wird und bereits die Fünf-Meter-Marke geknackt hat. In den nächsten Monaten will er sich weiter steigern. „Mein Ziel sind zunächst die 5,20 Meter“, sagt er, „denn die brauche ich, um ein College-Stipendium in den USA zu bekommen.“ Nächstes Jahr will er nach Nordamerika umziehen, Bruder Tom wird dann nach dem Bachelor ins Berufsleben einsteigen.

Veränderungen stehen also an. Es dürfte bald ruhiger werden im Hause Bichsel. Aber bis dahin stehen noch viele Trainingseinheiten und Wettkämpfe an – mit sauber angebrachter Wettkampfnummer versteht sich.