Ein halbes Jahrhundert im Ehrenamt, das muss man erst einmal schaffen. Einer, der auf eine so lange Zeit im Dienste der Allgemeinheit zurück schauen kann, ist Bernhard Schlageter aus Binzgen, der vor wenigen Wochen seinen 82. Geburtstag feierte. Seit 1970 sitzt er im Vorstand des örtlichen Fußballclubs. Unglaubliche 48 Jahre bewährte er sich für rund 300 Mitglieder als akribischer Wächter über Konten und Bargeld des Vereins.

Hohe Ehrung: Beim 40. Geburtstag des FC Binzgen, im Sommer 2002, wurde Bernhard Schlageter (rechts) vom damaligen Vorsitzende des ...
Hohe Ehrung: Beim 40. Geburtstag des FC Binzgen, im Sommer 2002, wurde Bernhard Schlageter (rechts) vom damaligen Vorsitzende des Bezirks Hochrhein, Wolfgang Metzler (links), mit der goldenen Ehrennadel des Südbadischen Fußballverbandes ausgezeichnet. | Bild: Volker Fröse

1970 – ein Blick in die Vergangenheit. In der deutschen Politik schrieb Bundeskanzler Willy Brandt Geschichte mit seinem „Kniefall“ vor dem Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos. Für Aufregung und Entsetzen sorgte am Hochrhein die Explosion einer Bombe im Swissair-Flug 330 am 21. Februar von Zürich nach Tel Aviv. Die Maschine kehrte um, stürzte zwischen Klingnau und Würenlingen in den Wald. 47 Menschen verloren ihr Leben.

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Der Fußball des Jahres 1970 erlebte die erste Deutsche Meisterschaft für die „Fohlen“ vom Bökelberg. Hennes Weisweiler führte das Team um Günter Netzer, Herbert Wimmer, Jupp Heynckes und Berti Vogts zum Titel. In Mexiko feierte die Nationalelf mit den Stürmern Uwe Seeler und Gerd Müller den dritten Platz bei der Weltmeisterschaft und lieferte sich mit den Italienern das so genannte „Jahrhundertspiel“, das die Azzurri mit 4:3 gewannen.

Im Sommer jenes Jahres standen zwei Herren bei Bernhard Schlageter vor der Tür: Siegfried Pfau und Fritz Huber, die Vorsitzenden des FC Binzgen, waren auf der Suche nach einem neuen Hauptkassierer. „Ludwig Gersbach wollte nach insgesamt sechs Jahren aufhören. Also nahmen sie mich ins Visier. Es sollte jemand sein, der sich im Kaufmännischen etwas auskennt“, erinnert sich Schlageter an den Besuch, der sein Privatleben entscheidend verändern sollte.

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31 Jahre alt war Bernhard Schlageter damals, hatte im Jahr zuvor seine Christel geheiratet. Beim Autohaus Anton Maurer in Laufenburg war er als Buchhalter angestellt. Wenn sich einer mit Zahlen und Geld auskennt, dann Bernhard Schlageter, waren sich Pfau und Huber sicher. Mit Fußball hatte der Umworbene nicht wirklich viel am Hut: „Ich habe ja nie selbst gespielt“, lacht der Rentner. Weil aber das Duo nicht locker ließ, sagte Schlageter schließlich zu. „Sie haben mich regelrecht bekniet“, schmunzelt er im Rückblick: „Für eine gewisse Zeit wollte ich es übernehmen. Durch Clubheimbau und Mitgliederzuwachs war die Arbeit durchaus umfangreicher geworden, als in den ersten Jahren des Vereinsgeschehens.“

Bernhard Schlageter: „Ich wollte das Amt im Sommer 1970 nur für eine kurze Zeit übernehmen.“
Bernhard Schlageter: „Ich wollte das Amt im Sommer 1970 nur für eine kurze Zeit übernehmen.“ | Bild: Scheibengruber, Matthias

Vom ersten Tag an legte Bernhard Schlageter größten Wert auf gewissenhafte Führung der Bücher. Gut in Erinnerung ist ihm, dass es seinerzeit üblich war, den Jahresbeitrag persönlich bei den Mitgliedern einzuholen: „Da bist du von Tür zu Tür gelaufen und hast kassiert. Beim einen ging es zügig, beim anderen musste man dann schon auch mal sitzen bleiben“, lacht Schlageter.

Seine Amtszeit endete tatsächlich nach zehn Jahren. Bei der Hauptversammlung 1980 erklärte sich ein Aktivspieler bereit, die verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen: „Ich war froh, dass es einen Nachfolger gab“, so Schlageter, der sich nicht ganz verabschiedete. Die Mitglieder wählten ihn als Beisitzer der Passiven in den Vorstand.

Vereinsspitze: Bernhard Schlageter (rechts) vor dem 50. Vereinsjubiläum vor acht Jahren mit (von links) dem Vorsitzenden Norbert ...
Vereinsspitze: Bernhard Schlageter (rechts) vor dem 50. Vereinsjubiläum vor acht Jahren mit (von links) dem Vorsitzenden Norbert Schäuble, dessen Stellvertreterin Manuela Gerspach und Schriftführer Peter Winkler. | Bild: Manfred Hüfner

Im Juni 1982, kurz vor der anstehenden Hauptversammlung und wenige Wochen vor den Feiern zum 20. Vereinsgeburtstag, stand wieder ein Vorsitzender des FC Binzgen vor seiner Tür. Dieses Mal war es Eduard Margathe, heute Ehrenvorsitzender des Vereins. „Er hatte einen Karton mit Ordnern dabei, war völlig aufgelöst und bat mich um Hilfe“, erinnert sich Schlageter ungern an diesen Tag, der „ausgerechnet auf unserem 13. Hochzeitstag“ fiel, wie Christel Schlageter lachend anmerkt.

„Die Konten waren leer, der Verein stand ganz ordentlich im Minus“, so Schlageter, dem nach dem ersten Faktencheck nicht mehr zum Feiern zumute war. In akribischer Feinarbeit machte er sich daran, den kompletten Schaden zu beziffern. Die Unterschlagung durch seinen Nachfolger hatte den FC Binzgen um das komplette Geldvermögen gebracht. Statt des erwarteten Polsters klaffte ein tiefes Loch in der Kasse.

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Bei der Hauptversammlung war es an Bernhard Schlageter und Eduard Margathe, den Mitgliedern die bittere Nachricht zu überbringen: „Noch am Abend haben die Mitglieder spontan eine Sammlung gestartet“, beschreibt Bernhard Schlageter eine Versammlung, die unvergessen bleibt: „In den nächsten Tagen gingen viele Spenden aus dem Dorf ein. Wir haben es geschafft, den Schaden in gewissen Grenzen zu halten.“ An jenem Abend im Juni 1982 war es auch keine Frage, dass Bernhard Schlageter die Kassenführung wieder übernehmen würde. Erneut rechnete er mit einer vorübergehenden Aufgabe.

Doch dieses eine Mal hatte sich der gewissenhafte Kassierer böse verrechnet. 38 Jahre später stehen die Kassenbücher noch immer in Schlageters Büro. Noch immer fliegen seine Finger über die Rechenmaschine, wenn Abrechnungen anstehen. Denn trotz seiner eher übersichtlichen Präsenz als Zuschauer auf dem Sportplatz, ist Bernhard Schlageter allgegenwärtig. Bei Vereinsfesten, Veranstaltungen aber auch bei den regelmäßigen Abrechnungen mit der Pächterin des Sportheims, ist er pünktlich zur Stelle. So ist er auch im fünften Jahrzehnt seines Wirkens nicht aus dem Verein wegzudenken.

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Überhaupt, so Bernhard Schlageter mit Blick auf seine Frau, wäre „das alles ohne dich nicht möglich gewesen.“ Christel Schlageter unterstützte ihren Mann nicht nur beim Zählen der Beträge in den Handkassen und beim Einrichten des heimischen Computers: „Ich wollte ihn bei den Veranstaltungen nicht mit dem Bargeld allein lassen. Da hätte ich keine Ruhe gehabt“, gibt sie zu.

Sein Amt hätte er trotz aller Verbundenheit zum Verein, dem er seit 1963 die Treue hält und er ihn 1982 zum Ehrenmitglied machte, dennoch gern längst abgegeben. Nahezu jährlich bat er um einen Nachfolger, doch vergeblich: „So langsam tut sich aber etwas“, deutet der 82-Jährige an, dass wohl 2021 eine Wachablösung erfolgen könnte.

Dass es ihm und seiner Christel, die selbst 16 Jahre lang als Übungsleiterin der im vergangenen Jahr aufgelösten Gymnastikgruppe aktiv war, langweilig werden könnte, glaubt das Paar nicht. Oft und gern sind die Enkel bei Oma und Opa zu Besuch. Zudem hält die liebevoll gepflegte Gartenanlage die Schlageters auf Trab. Und dann gäbe es ja – nach Corona – auch die Möglichkeit, mal spontan in Urlaub zu fahren: „Unsere Planungen waren in den vergangenen 50 Jahren stets von den Veranstaltungen des Vereins abhängig“, schmunzelt Bernhard Schlageter, der höchst selten nach einer Vertretung suchen musste und in fünf Jahrzehnten kaum eine Vorstandsitzung verpasste.