Drei Tage lang war Walter Koller zu Gast im neuen Campus des Deutschen Fußballbundes (DFB) in Frankfurt. Der 53-jährige Jugendleiter des VfR Horheim-Schwerzen vertrat mit vier weiteren Delegierten den Südbadischen Fußballverband beim Jugendfußball-Dialog. Wir haben uns mit ihm über seine Eindrücke unterhalten.
Walter Koller, wie wars in der neuen Fußballzentrale des DFB, dem sündhaft teuren Campus?
Ich habe mich sehr wohl und willkommen gefühlt. Unsere Gruppen wurden sehr gut betreut und ich habe sehr viele interessante Eindrücke mit nach Hause gebracht – nicht nur vom beeindruckenden Campus.
Wie muss sich denn so einen Jugendfußball-Dialog vorstellen?
Wir haben im Schwerpunkt über die Zukunft des Jugendfußballs gesprochen. Insgesamt waren wir jeweils fünf Teilnehmer aus sieben der 31 Landesverbände. Außer Südbaden waren Vertreter aus Baden, Bayern, Hamburg, vom Mittelrhein, aus dem Saarland und aus Thüringen eingeladen.

Eine bunte Mischung also mit höchst unterschiedlich gewichteten Problemen?
Das hätte ich ursprünglich auch erwartet, aber letztlich hat sich herausgestellt, dass sich jede Region mit den gleichen Herausforderungen stellen muss. Eine Arbeitsgruppe war gemischt mit Vertretern aller Verbände und in einer zweiten Gruppe waren wir Südbadener um den Verbandsjugendwart Armin Bader und Bodensee-Bezirksjugendwart Hans-Peter Restle unter uns.
Und was verschaffte Ihnen die Ehre, dabei zu sein?
Armin Bader hat mich vorgeschlagen. Er sagte mir, dass ich ihm im Herbst bei einer Jugendleiter-Tagung in Saig mit meinen klar formulierten Meinungen aufgefallen sei.
Oha, was war denn da los?
(lacht) Wir saßen abends vor dem Fernsehgerät und haben uns das mit 2:3 verlorene Länderspiel gegen die Türkei angeschaut und bei der Nachbesprechung habe ich ein paar Punkte dargelegt, was meiner Ansicht nach falsch läuft im deutschen Fußball.
Und was läuft falsch, Herr Koller?
Vornweg die Ausbildung der jungen Fußballer. Wir haben viel zu viel Zeit verplempert, um die neuen Spielformen im Kinderfußball einzuführen. Ich habe das Umdenken schon vor vielen Jahren gefordert – und wurde ausgelacht. Nun wird bei den D-Junioren reformiert und wieder ein Jahr verloren, weil erst ab 2025 mit Siebener-Mannschaften gespielt wird.

Und das macht unseren Fußball besser?
Auf absehbare Zeit schon. Aber ein anderes Beispiel. Wie viele andere Trainer halte auch ich die Nachwuchsleistungszentren, die vor vielen Jahren geschaffen wurden, letztlich für gescheitert.
Die Profivereine haben Millionen investiert und Sie kommen jetzt so?
Das sage nicht nur ich, sondern auch andere Trainer. Nachwuchsleistungszentren der Proficlubs entlassen jährlich rund 300 Spieler zu den Aktiven. Und jetzt schauen Sie einfach mal in die 3. Liga. Hier müssten sich doch unzählige Spieler aus diesen Einrichtungen tummeln. Aber nennenswerte Kader-Anteile können nur der SC Freiburg und die Spvgg. Unterhaching vorweisen.
Woher nehmen Sie diese Ansichten?
Ich bin seit vielen Jahren am Fußball und seiner Entwicklung interessiert. Wir müssen mit Konzepten in die Zukunft schauen, wenn wir die Vereine bewahren wollen. Wenn wir einerseits weitermachen wollen, wie bisher und andererseits nicht bereit sind, Reformen umzusetzen, kommen wir nicht weiter.
Womit wir wieder beim Kinderfußball sind?
Richtig. Am Campus haben uns U20-Bundestrainer Hannes Wolf, der zugleich Sportdirektor für Nachwuchs und Entwicklung ist, zusammen mit Ex-Profi Hanno Balitsch nochmal die Vorteile des „Vier gegen Vier“ bei den E-Junioren vermittelt. Lassen wir die D-Junioren im Sieben gegen Sieben spielen, hat jedes Kind viermal mehr Ballkontakte. Das erfordert von ihm auch mehr Aufmerksamkeit, also quasi positiven Stress und am Ende auch viel mehr Spaß am Fußball.
Kritiker vermissen den Wettkampf?
Ja, das ist wohl so. Aber wir sollten an die Kinder denken und nicht an Trainer und Eltern, die ohne Tabelle nicht können. Gerade als D-Junioren – zwischen zehn und zwölf Jahren – sind die Kinder im goldenen Lernalter. Deshalb ist es sinnvoll, auch auf dem kleinen Feld beispielsweise mit Abseits und Rückpassregel zu spielen.
Und wer das nicht möchte, wechselt den Verein?
Gerade eben nicht. Das ist eines der Ziele dieser Initiative, dass die Vereine ihre Spieler behalten. Je kleiner die Mannschaften, desto geringer ist das Risiko, dass Spieler wechseln. Die Trainer haben die Möglichkeit, die Spielstärke ihrer Mannschaft vorab zu melden, so dass es in den drei Kategorien auch ebenbürtige Gegner gibt.
Trotzdem wird ab einem gewissen Alter abgeworben?
Darüber wurde ebenfalls diskutiert. Geht der Spieler in die höhere Liga, ist er dort einer unter vielen. Eine eher „verrückte“ Idee aus der Gruppe war, ein spezielles Zweitspielrecht einzuführen. Also, dass ein Spieler beispielsweise beim Nachbarverein in der Landesliga und bei seinem Heimatverein in der Kreisliga spielen darf. Es geht ja nicht nur darum, dass die Kinder bessere Fußballer werden…
… sondern um was noch?
Ich finde, die soziale Kompetenz ist auch wichtig. Ein Beispiel: Ich bin im Trainerteam der B-Junioren des JFV Singen tätig. Hier spielen übrigens alle Kinder sämtlicher Vereine aus der Stadt. Wir haben bei uns – anders als die meisten Vereine – die B-Junioren nicht getrennt.
Alle in einer Gruppe auf dem Platz?
Bei uns bilden B-1 und B-2 einen gemeinsamen Kader. Die besseren Spieler lernen spielerisch, die weniger Guten zu führen und mitzureißen. Die potenziellen Spieler der „Zweiten“ können sich mit stärkeren Spielern messen und sehen, dass sie beim entsprechenden Engagement auch ihren Einsatz in der „Ersten“ bekommen. So wird – ganz nebenbei – auch der Charakter geschult.
Und das funktioniert?
Wir haben vor der Saison gesagt, dass die B-2 in die Bezirksliga aufsteigen muss und die B-1 soll – wenn es geht – in die Verbandsliga. Aktuell stehen beide Teams an der Tabellenspitze. Es läuft also…
Zurück zum Jugendfußball-Dialog in Frankfurt. Wie lautet Ihr Fazit?
Ich habe viele Eindrücke gesammelt und sehe mich in meiner Ansicht über den Jugendfußball und dessen Zukunft absolut bestätigt. Auch wenn mich manche Amtskollegen aus anderen Vereinen belächeln, bin ich davon überzeugt, dass wir gerade mit den Reformen auf dem richtigen Weg sind. Hannes Wolf sagt ganz richtig, dass die Qualität eines Spielers nicht von der Liga abhängt, sondern vor allem davon, wie er trainiert wird.
Fragen: Matthias Scheibengruber