Wer in der Stadt St. Gallen die aktuellen Baugesuche studiert, reibt sich die Augen: Ein außergewöhnliches Projekt liegt derzeit auf. Im Garten eines Zweifamilienhauses an der Schneebergstraße 50 soll diesen Winter ein Skilift in Betrieb gehen.

Gesuchsteller ist der Verein „Geiler Block“ um Künstlerin und Netzwerkerin Anita Zimmermann, der sich mit künstlerischen Zwischennutzungen in leerstehenden Bauten einen Namen gemacht hat. Der Verein plant an der Schneebergstraße – der Name ist Programm – die kürzeste schwarze Piste und das kleinste Skigebiet der Welt.

Das Haus an der Schneebergstraße 50 ist dem Abbruch geweiht.
Das Haus an der Schneebergstraße 50 ist dem Abbruch geweiht. | Bild: Christina Weder

Von Anfang Februar bis Ende März sollen Wintersportlerinnen und Wintersportler einen 20 Meter langen Steilhang runterwedeln. Après-Ski, Nachtskifahren und ein Rahmenprogramm soll es geben.

Eine Idee wie ein Schneeball

Künstlerin Anita Zimmermann betont, als sie über die Pläne spricht: Es handle sich um ein Kunstprojekt. Und es handelt sich um die neunte Zwischennutzung, die der Verein seit 2015 organisiert. Eigentümerin der Schneebergstraße 50 ist die Firma Halter AG, die Immobilienprojekte entwickelt. Sie stellt dem Verein das Haus für zwei Monate zur Verfügung, bevor es einem Neubau weichen wird.

Anita Zimmermann sagt, für die Zwischennutzung habe man zunächst zeichnend Ideen gesucht. Noch am ersten Tag entstand eine Zeichnung, die zeigt, wie Schnee aus den Fenstern des Hauses quillt und sich über den davorliegenden Steilhang ergießt. Mit diesem Bild nahm das Projekt seinen Anfang. Die Idee mit dem Skilift sei später dazugekommen.

Anita Zimmermann
Anita Zimmermann | Bild: Michel Canonica

Unterdessen hat Zimmermann mit den drei Kunstschaffenden Christian Meier, Thomas Stüssi und Sonja Rüegg die IG Skilift AG gegründet. Die Idee habe sich wie ein Schneeball entwickelt, den man über eine frisch verschneite Wiese rollt. Sie ist immer größer und größer geworden.

Sich am Schneeberg an schneereiche Zeiten erinnern

Den vier Kunstschaffenden ist es ernst mit dem Projekt. Und das in einer Zeit, in der kleine Wintersportgebiete ums Überleben kämpfen und Skilifte wegen der Auswirkungen des Klimawandels schließen müssen. Noch einmal wollen sie den Wintersport zelebrieren und sich an alte, schneereiche Zeiten erinnern. Sie wollen möglich machen, was unmöglich scheint. Sie wollen etwas wagen und „ein ganz gewöhnliches Haus in etwas völlig Ungewöhnliches verwandeln“.

Um dieses Wintermärchen wahr werden zu lassen, betreiben sie einen enormen Aufwand. Sie haben Bauingenieure und Experten für Seilbahn- und Liftinstallationen zurate gezogen und ein Architekturbüro beauftragt. Auch einen Skilift hätten sie bereits aufgetrieben, sagt Zimmermann.

Sie könnten einen Bügellift aus dem Südtirol leihweise übernehmen, der dort nicht mehr gebraucht wird. Aufgrund der kurzen Strecke werden am Hang unterhalb der Schneebergstraße wohl nur fünf Bügel kreisen. Doch die Ambitionen sind hochgesteckt, auch was die Piste betrifft. „Wir wollen das Schwarze-Pisten-Gefühl hochkommen lassen“, sagt Zimmermann.

So soll der Schnee auf der Piste landen

Die IG Skilift hat noch viel vor. Am Haus sind bauliche Anpassungen nötig. Für die Bergstation muss eine Öffnung in die Fassade geschnitten werden. Für die Talstation braucht es ein Stahlfundament, auf dem der Liftmast mit Antriebsrad montiert wird. Es braucht Holzwälle, ein Auffangnetz und Sponsorenbanner. Zudem soll eine Webcam installiert werden, die Bilder von den Pistenverhältnissen in die Welt hinausschickt.

Auf dieser Wiese soll die Piste präpariert werden.
Auf dieser Wiese soll die Piste präpariert werden. | Bild: Christina Weder

Wenn Zimmermann vom Projekt erzählt, reagieren die Leute oft gleich und fragen sich, ob das finanziell zu stemmen ist. Für Zimmermann ist klar: Das Projekt kostet Geld. Zahlen will sie keine nennen. Die Finanzierung sei noch nicht gesichert. „Wenn wir wirtschaftlich denken würden, müssten wir das anders angehen. Aber wir müssen nicht so denken.“ Das Projekt müsse nicht rentieren. Sie glaube daran, dass es eine „geile Installation“ werde und dass der Funken überspringe: „Es ist größenwahnsinnig.“

Am Hang soll kein Kunstschnee zum Einsatz kommen, sondern Schnee, der von den St. Galler Straßen geräumt wird. Teams der St. Galler Schneeräumung werden ihn vors Haus kippen. Das Problem: Die Piste befindet sich auf der anderen Seite des Hauses. Die Kunstschaffenden haben deshalb ein wahnwitziges System ausgeheckt, wie der Schnee auf die Piste kommt.

Vor dem Haus wird der Schnee auf ein Förderband geschaufelt. Dieses befördert ihn durchs Fenster ins Haus und quer durchs Wohnzimmer hindurch. Von dort wird er mittels einer Schneefräse aus dem Fenster direkt auf die Piste geschleudert.

Wenn der Schnee auf sich warten lässt

Doch was passiert, sollte es in diesem Winter nicht schneien? Ist dann der ganze Aufwand umsonst? Zimmermann schüttelt den Kopf. „Das Projekt funktioniert auch ohne Schnee, einfach anders“, sagt sie. Dann treffe man sich halt öfter im beheizten Obergeschoss zum Après-Ski und diskutiere darüber, warum man einen Skilift bekommen habe, wenn in tiefen Lagen der Schnee ausbleibe.

Man werde sehen, ob es in diesem Winter schneit und ob der Skilift von Anfang Februar bis Ende März zum Laufen gebracht wird. Sie sei voller Hoffnung – so wie die Skifahrerinnen und Skifahrer, die ihre Skier im Keller bereit haben und nicht wissen, ob sie sie diesen Winter hervorholen können. Genau so gehe es ihr mit dem Skiliftprojekt.

Dieser Text erschien zuerst beim St. Galler Tagblatt.