Es ist keine einfache Zeit für einen 31-Jährigen aus dem oberen Fricktal. Der junge Mann ist arbeitslos, er leidet unter psychischen Problemen. In der Tagesklinik der Psychiatrischen Dienste Aargau AG (PDAG) in Windisch soll er mental wieder zu Kräften kommen und dadurch den Schritt zurück ins Berufsleben schaffen.

Zusammen mit Daniel (alle Namen geändert) in der Tagesklinik sind Männer und Frauen, die alle einen Rucksack zu tragen haben. Sie leiden unter Depressionen, unter Angststörungen oder erlitten Traumata. Es ist geplant, dass Daniel acht Wochen bleiben kann. Bis Mitte November hätte er hier täglich von 10 bis 15 Uhr verschiedene Therapien besucht. So weit kam es nicht. Daniel musste Mitte Oktober die Tagesklinik verlassen.

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„Ich fühle mich hilflos, weil auf meine Kritik, die ich dem Pflegeteam sowie dem CEO der PDAG habe zukommen lassen, nie eingegangen worden ist“, sagt Daniel. Diese Darstellung entspricht laut Medienstelle nicht den bei der PDAG dokumentierten Abläufen. Der Patient sei „noch am Tag des Eintreffens seiner Beschwerde per Mail kontaktiert“ worden. Man habe ihm eine Abklärung des Sachverhaltes und eine Rückmeldung zugesichert, ein weiteres Mal am 24. Oktober, hält die Medienstelle fest.

Homosexualität soll Querulanten gestört haben

Unterstützt von zwei Patientinnen und einem Patienten aus der Klinik trifft sich Daniel mit dieser Zeitung. Um zu erfassen, was die vier erlebt haben, braucht es einen Blick zurück. Kennengelernt in der Tagesklinik, hat sich zwischen den vieren eine Freundschaft entwickelt. Gemeinsames Essen, Lachen und Rauchen lockerten zwischen den Therapien den Alltag in Königsfelden auf. Nur ein Mitpatient habe an dem guten Verhältnis so gar keine Freude gehabt.

„Er fühlte sich wohl ausgeschlossen, obwohl unsere Gruppe für alle offen war“, sagt Daniel. Auch Reklamationen durch das Pflegepersonal häuften sich. „Es hieß, wir lachen zu laut“, sagt Daniel. „Sie hätten am liebsten gehabt, dass wir nicht miteinander reden“, sagt Elena.

Die Reklamationen des einen Mitpatienten nehmen zu. Dann spricht sie Situationen aus der Sporttherapie an. Einmal habe er die junge Frau mehrmals mit voller Wucht mit dem Ball „abgeknallt“. „Die Therapeutin stand da und lachte mit ihm mit“, sagt Elena.

Bei Daniel gehen die Erfahrungen mit dem Patienten mit der querulantischen Neigung noch weiter. „Er hat mich geschlagen, beleidigt und einmal sogar aus einer Gruppenstunde gewiesen. Die Therapeutin sagte einfach nichts“, so Daniel. Warum es der missmutige Mitpatient gerade auf Daniel abgesehen hat, erklärt sich Elena so: „Ich vermute, er hatte ein Problem damit, dass Daniel schwul ist.“

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Zu laut mit dem Löffel geklopft

Das Fass zum Überlaufen gebracht hat dann eine Szene kurz nach dem Mittagessen. Daniel räumt seinen Platz auf. Den Löffel, an dem noch ein paar Essensreste hängen, klopft er am dafür vorgesehenen Kübel ab. „Der Mann hat sich beschwert, dass das Klopfen des Löffels zu laut sei“, so Daniel. Daniel sei daraufhin zu einem Pfleger zitiert worden. „Er hat mich heimgeschickt und gesagt, ich solle die gelbe Karte akzeptieren.“ Nun war er also verwarnt. Daniel ging nach Hause.

Am nächsten Morgen dann die böse Überraschung. „Ich kam in die Tagesklinik. Die Therapeuten sagten mir, ich müsse unverzüglich das Gebäude verlassen, ich sei nicht mehr Patient“, sagt Daniel. Da habe er schon jenen Mitpatienten vorbeilaufen gesehen, der ihm wohl den Rauswurf eingebrockt habe. „Ich habe ihn darauf angesprochen“, sagt Daniel.

Die folgende Szene hat sich im Gedächtnis der Kollegengruppe verankert. „Ich sah, wie plötzlich alle im Essraum verschwanden“, sagt Daniel. Irgendwann habe er ganz allein im Gang gesessen. Elena wurde vom Personal angewiesen, im Essraum zu bleiben. „Wir durften sicher eine halbe Stunde lang nicht rausgehen“, sagt sie.

„Es hieß, Daniel sei eine Bedrohung für uns“

Dann tauchte der Sicherheitsdienst bei Daniel auf. Er habe die Welt nicht mehr verstanden. „Es hieß, Daniel sei eine Bedrohung für uns“, sagt Julia. Für traumatisierte Mitpatientinnen und -patienten sei das Ausharren im Essraum besonders schlimm gewesen.

Sie findet das Aufbieten des Sicherheitsdiensts völlig übertrieben. Auch Jakob und Elena versichern, dass Daniel weder aggressiv noch laut geworden sei. Für Daniel bedeutet sein Rauswurf vor allem eines: Zukunftsängste. Außerdem habe er das Vertrauen in die ihm zugeteilten Vertrauenspersonen verloren.

Da er weder einen richtigen Austrittsbericht, ein Austrittsgespräch noch ein langfristiges Rezept für seine Medikamente erhalten habe, fühle er sich auf verlorenem Posten. Arbeitslosengeld werde er für den Oktober nicht erhalten, weil die entsprechende Bestätigung fehle. Dies belaste ihn stark, sagt Daniel. Und das, wo er knapp sieben Wochen auf den Therapieplatz habe warten müssen.

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Heute ist Elena die Einzige der Gruppe, die die Tagesklinik noch besucht. Julia hat die Therapie noch in jener Woche abgebrochen, als Kollege Daniel gehen musste. „Ich bin selber ausgetreten. Die Situation mit dem Sicherheitsdienst hat mir stark zugesetzt. Es ist einfach ungerecht, wie mit Patienten umgegangen wird“, sagt sie. Seit dem Rauswurf ihres Kollegen sei unter den Patientinnen und Patienten eine Spannung zu spüren. „Gruppenzusammenhalt gibt es auch keinen mehr“, sagt Elena.

Keine Details zum Rauswurf durch die PDAG

Auf Anfrage dieser Zeitung geht die PDAG nicht auf Details zum Rauswurf von Daniel ein. Auch nicht darauf, wie normalerweise mit querulantischen Patienten umgegangen wird. Dies aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht. Die PDAG schreibt aber, dass bei Eigen- oder Fremdaggression das Verhalten besprochen werde und Grenzen gesetzt würden. Setze sich dieses Verhalten fort, könne eine Verwarnung oder ein Therapieabbruch resultieren.

Zum Sicherheitsdienst schreibt die PDAG, dass dieser bei Gefährdung der Sicherheit von Mitarbeitenden, Patientinnen und Patienten eingesetzt werde. Diese Aussage widerspricht den Erfahrungen der vier jungen Leute, die hinter den Türen des Gebäudes „W.23“ der Tagesklinik keine Gefährdung erlebt haben wollen.

Begründet oder nicht – für Daniel bleibt derzeit nur ein Hoffnungsschimmer: Sein beruflicher Wiedereinstieg ist auf Januar vorgesehen. Er habe einen Job mit einem lieben Team gefunden. Zwar sei es eine andere Arbeit als jene, in der er einst seine Lehre abgeschlossen habe. Jedoch dürfte der Job seine existenziellen Ängste etwas lindern.

Die Autorin ist Redakteurin der „Aargauer Zeitung“. Dort ist der Beitrag auch zuerst erschienen.