Todesangst bei einem angeblichen Angriff der „Mafia-Mama“ – so rechtfertigte sich Anastasia S. (*Name von der Redaktion geändert) am ersten Prozesstag vor dem Bezirksgericht Kreuzlingen, warum sie ihre Mieterin Maria A.* mit sieben Schüssen kaltblütig getötet und anschließend ihren Leichnam 'wie ein Tier' zerstückelt hatte. Auch Verteidiger Reinhold Nussmüller versuchte das Tötungsopfer als Mitglied einer internationalen Geldwäschebande darzustellen.

Staatsanwalt Patrick Müller relativiert dieses Bild am zweiten Verhandlungstag: Demnach habe die Getötete von einer Frau lediglich 750 Franken überwiesen bekommen und an einen Mann im afrikanischen Benin weitertransferiert. Später stellte sich heraus, dass der Mann ein Betrüger ist. „Mit Mafia hat das nicht zu tun“, sagt Müller.

Er glaubt nicht, dass sich die großgewachsene und athletisch anmutende Angeklagte wirklich vor ihrer kleingewachsenen und stark übergewichtigen Mieterin gefürchtet habe. Auch eine Notwehrsituation sieht er nicht, welche auch nicht mit der Spurenlage übereinstimme.

Briefe an tote Mieterin

Unmittelbar nach der grausamen Tat am 29. Oktober 2020 versuchte Anastasia S. alle Spuren zu beseitigen und jeden Verdacht geschickt von sich zu lenken: Schon kurz nach den Schüssen sowie an weiteren Tagen im Oktober schrieb sie ihrem mutmaßlichen Opfer Maria A. nachweislich mehrere WhatsApp-Nachrichten.

Im November schickte sie ihr eingeschriebene Briefe mit Mahnungen über die ausstehenden Mieten. Am 8. Dezember 2020 echauffierte sie sich auf, dass ihre säumige Mieterin nicht zur Schlichtungsverhandlung bei der Gemeinde Bottighofen erschien. „Das alles im Wissen, dass sie von ihr selbst getötet wurde“, sagt Staatsanwalt Müller.

Das Tötungsopfer von Bottighofen wurde 62 Jahre alt.
Das Tötungsopfer von Bottighofen wurde 62 Jahre alt. | Bild: Facebook

An Horror-Filmszenen erinnert die Beseitigung des Leichnams von Maria A.: So soll Anastasia S. kurz nach der Tat mehrere Küchenmesser aus ihrer Wohnung sowie Gartenwerkzeug und eine Säge aus der Gartenlaube geholt haben.

Dann beginnt sie den 130 Kilo schweren Leichnam zu zerlegen, wie sie es bei Hofschlachtungen von Schweinen in Sibirien gelernt hatte, wo die gebürtige Ukrainerin in jungen Jahren lebte. „Ich habe keinen Ekel vor Gedärmen und immer gerne Fleisch verarbeitet“, hatte die Tatverdächtige der Polizei gesagt.

Leichenteile im nächsten Müllcontainer

Dazwischen trinkt sie Kaffee, nimmt Beruhigungsmittel und fährt noch am Tattag zwei Mal tanken, wie die verdutzten Ermittler anhand der Kontodaten herausfinden. Sie habe das Bedürfnis gehabt, mit Menschen zu sprechen, gibt sie später zu Protokoll. Ihrem Ehemann, der in Liechtenstein lebt, soll sie nichts erzählt haben.

Der Andrang vor dem Rathaus Kreuzlingen am ersten Tag des Tötungsprozesses im Fall Bottighofen war groß.
Der Andrang vor dem Rathaus Kreuzlingen am ersten Tag des Tötungsprozesses im Fall Bottighofen war groß. | Bild: René Laglstorfer

Den ganzen Tag über ist sie mit dem Zerteilen der Leiche von Maria A. beschäftigt. „Es hört sich zynisch an, aber für mich war mein Leben da. Ich musste einfach arbeiten, habe mich so ruhig wie selten gefühlt (...) und keine Müdigkeit verspürt“, sagte Anastasia S. der Polizei.

Die in Abfallsäcke verpackten Leichenteile stellt sie zunächst in die Sauna im Keller und trägt sie dann überwiegend zu Fuß zum nächstgelegenen Müllcontainer. Sie habe sich selber gewundert, dass niemand gemerkt habe, dass Blut aus den Säcken laufe, erzählt sie später. Mehrmals wechselt sie am Tattag laut eigenen Angaben ihre blutverschmutzen Schuhe.

„Schöner Platz für Kopf“

Da große Teile des Kellers verschmiert und rutschig sind, legt sie einen Gartenschlauch durch das Saunafenster in das Untergeschoss, um das Blut wegzuwaschen.

Um weitere Spuren zu verwischen und die Polizei auf eine falsche Fährte zu führen, fährt Anastasia S. laut Staatsanwaltschaft Kreuzlingen den Pkw, den Maria A. von einem Freund ausgeliehen hatte, auf einen Parkplatz oberhalb von Scherzingen, um danach per Anhalter bis zu ihrem Haus nach Bottighofen zurückzufahren. Dort wirft sie den Schlüsselbund in den Bach hinter ihrem Haus.

Anastasia S. war passionierte Sportschützin und sogar Schützenkönigin. Mit einer Pistole soll sie ihre Mieterin Maria A. getötet haben.
Anastasia S. war passionierte Sportschützin und sogar Schützenkönigin. Mit einer Pistole soll sie ihre Mieterin Maria A. getötet haben. | Bild: Facebook

Doch beim abgetrennten Kopf von Maria A. hat Anastasia S. Skrupel, ihn in den Müll zu werfen. „Ich hatte die Idee, einen schönen Platz für den Kopf zu finden“, erklärt sie der Polizei. Also fährt sie nach Osten, um schließlich in einem Waldstück bei Egnach am Bodensee ein wegen einer Wurzel zu kleines Loch auszuheben. Laut Staatsanwaltschaft nimmt sie den Kopf aus dem Plastiksack, legt und presst ihn hinein.

Kripo macht Blut sichtbar

Fünf Wochen tappen die Ermittler im Dunkeln. Doch am 5. Dezember 2020 macht ein Mann bei Mäharbeiten einen grausigen Fund. Vier Tage später steht nach einem DNA-Abgleich mit einem der sechs Geschwister von Maria A. fest, wer das Opfer ohne Körper ist.

Am 11. Dezember 2020 sichert die Kripo im von oben bis unten geschrubbten Haus von Anastasia S. großflächig Spuren. Mit der chemischen Verbindung Luminol können selbst weggewaschene Blutspuren, die mit bloßem Auge nicht mehr zu erkennen sind, sichtbar gemacht werden, da das Eisen in Blutrückständen zu leuchten beginnt.

In diesem Haus in Bottighofen, nur wenige 100 Meter vom Bodensee entfernt, haben das Opfer und die mutmaßliche Täterin unter einem Dach ...
In diesem Haus in Bottighofen, nur wenige 100 Meter vom Bodensee entfernt, haben das Opfer und die mutmaßliche Täterin unter einem Dach gewohnt. | Bild: Donato Caspari

Als die Kriminaltechniker Böden und Wände im Keller der Hausbesitzerin mit Luminol einsprühen, wird das Blutbad deutlich: Fast die gesamte Waschküche, die Sauna und das Innere der Waschmaschine, in der offenbar blutige Kleidung gewaschen wurde, leuchten. Das verdeutlichen mehrere Fotos, die vor Gericht großflächig an die Wand projiziert werden.

33 Jahre Konsequenzen drohen

Wohl zur Überraschung der Ermittler entdecken sie auch leuchtende Fußspuren, die in den ersten Stock des Hauses führen – und vor der Wohnungstür von Anastasia S. abrupt enden. Kurz darauf wird die 55-Jährige als Tatverdächtige festgenommen.

In ihrem Schlusswort vor Gericht erklärt die Angeklagte am zweiten Prozesstag: „Ich bete jeden Tag, dass Maria A. mir verzeiht und bereue die Tat zutiefst.“ Sie habe die Tat nicht geplant und die angeblichen Drohungen ihrer Mieterin ernst genommen, dass ihr etwas zustoßen könnte.

„Bei der Tat haben wir kurz gekämpft und ich habe geschossen. Nachdem sie wehrlos war, habe ich weiter geschossen. Das kann ich mir nicht erklären, es tut mir leid. Ich wollte einfach mein Leben retten. Ich bereue es sehr. Bitte verzeiht mir. Entschuldigung“, so Anastasia S.

Der Verhandlungsort: Das Rathaus in Kreuzlingen
Der Verhandlungsort: Das Rathaus in Kreuzlingen | Bild: Hanser, Oliver

Am Freitag fällen fünf Richter im Rathaus von Kreuzlingen ihr Urteil. Die Staatsanwaltschaft fordert wegen vorsätzlicher Tötung und Störung des Totenfriedens 18 Jahre Gefängnis und 15 Jahre Landesverweisung. Die Verteidigung sieht lediglich eine Überschreitung von Notwehr und beantragte eine bedingte Haftstrafe von nicht über zwölf Monaten mit zwei Jahren Probezeit. Der SÜDKURIER wird erneut aus Kreuzlingen berichten. Es gilt die Unschuldsvermutung.