Das Feld liegt etwas abseits der Straße, unweit eines kleinen Dorfs mitten im Schweizer Kanton Aargau. Die Pflanzen werden von einem mannshohen Zaun gesichert, darüber ist Stacheldraht gespannt. An den Ecken des Felds sind Kameras angebracht, auch Bewegungsmelder sind installiert. Das Tor ist mit zwei dicken Ketten und Vorhängeschlössern gesichert. Dieses Feld betritt niemand unbemerkt.
Wer hier wann ein- und ausgeht, zeichnen kleine Chipkarten auf, die die Mitarbeiter immer bei sich tragen müssen. Wird durch Bewegungen ein Alarm ausgelöst, muss binnen Minuten Entwarnung gegeben werden, andernfalls steht alsbald eine Polizeistreife am Feldrand. Die Sicherheitsvorkehrungen kommen nicht von ungefähr: Hier wachsen Cannabispflanzen. Und zwar ganz legal und höchst offiziell.
Tiere lösen schon mal den Alarm aus
Noch hat sich hier kein Mensch illegal eingeschlichen. „Bis jetzt haben nur Tiere aus dem benachbarten Wald wie etwa Eulen den Alarm ausgelöst“, sagt Marc Brüngger. Der 28-Jährige ist bei der Pure Holding mit Sitz in Laufenburg zuständig für den Bereich Innovation und Regulation. Der smarte Typ mit Bart, Mokassins und hochgekrempelter Jeans sieht so gar nicht aus wie einer, der beruflich Hasch und Blüten produziert – oder gar selbst konsumiert.
Im Ort wissen die Menschen natürlich längst, dass hier etwas anderes wächst als Mais oder Soja. Der Geruch, den das Feld verströmt, ist unverkennbar. Als sie hier begannen, vor sechs Jahren, damals mit der Produktion von CBD, war das noch nicht so normal. Das Unternehmen reagierte mit Führungen, Veranstaltungen und einem Hanferlebnishof. Inzwischen ist der Anbau hier kein Thema mehr, erzählt Brüngger. Trotzdem soll der genaue Standort nicht publik werden.

Mitte Juli wurden die Pflanzen gesetzt. An diesem Morgen, Mitte Oktober, wurde das erste Drittel des Feldes abgeerntet, etwa 850 Pflanzen. In der Mitte steht ein riesiger weißer Folientunnel, unter dem verschiedenste Sorten Cannabis wachsen, die auf allerlei Eigenschaften getestet werden – von der Standfestigkeit bis zum Verhältnis von Blüten und Blättern, dem Schädlingsbefall und vielem mehr.
350 solcher Eigenschaften haben die Forscher des Unternehmens schon entdeckt. „Wir wollen so viele Daten wie möglich erfassen“, erklärt Brüngger. „So können wir gezielt züchten, die Wunschpflanze erschaffen“, fügt er hinzu. Dem Unternehmen Pure ist es als erstem überhaupt gelungen, das sogenannte Pangenom der Pflanze zu entschlüsseln – es bezeichnet alle Gene, die in der jeweiligen Pflanzenart vorkommen.

Pilotprojekt soll Legalisierung testen
Aus den geernteten Pflanzen soll unter anderem Haschisch hergestellt werden. Es ist für ein Pilotprojekt in der Stadt Basel bestimmt. Etwa 370 Probanden sollen dabei in neun ausgewählten Apotheken in der Stadt über zweieinhalb Jahre sechs verschiedene Cannabisprodukte beziehen – ganz legal. Ziel von Pure ist es, das „Straßenhasch“ nachzuahmen, das die Probanden vorher illegal bei ihren Dealern gekauft haben.
Dabei geht es auch um die Akzeptanz: „Wir wollen verhindern, dass die Probanden abspringen und wieder auf der Straße kaufen“, erklärt Brüngger. Denn dort wird Cannabis oft gepanscht, um das Gewicht zu erhöhen – zum Teil mit giftigen Substanzen, die vor dem Verkauf auf die Blätter und Blüten gesprüht werden, oder auch einfach mit Wasser. Durch die Feuchtigkeit kann es in diesem Fall zu Schimmelbildung kommen, weiß der Cannabis-Experte.
Gefährlich wird es, wenn Streckmittel wie Blei, Haarspray, flüssigem Kunststoff oder Brix (eine Mischung aus Zucker, Hormonen und flüssigem Kunststoff) dafür benutzt werden oder synthetisch hergestelltes Cannabis verkauft wird. „Das kann sehr gesundheitsschädlich sein – und sogar tödlich“, warnt Brüngger.

Die künftigen Kunden sollen aber auch neue Geschmacksrichtungen kennenlernen: Die Aromen reichen von fruchtig bis herb, über Pfeffer und Beeren, von Mango und Ananas bis hin zu Benzin oder Gas. Ja, richtig gelesen, manche Konsumenten mögen auch diesen Geruch – vor allem aber weniger harten Stoff. „Auf der Straße bekommst du nur Schnaps, kein Bier“, umschreibt es Brüngger. Das will Pure ändern.
Mit den gezielten Züchtungen des Unternehmens ist es möglich, den Anteil der Cannabinoide THC und CBD genau zu regulieren. Dann ist also auch ein Bier möglich – ein sanfter Rausch. „Das Verhältnis zwischen THC und CBD ist sehr wichtig für die Wirkung“, betont Brüngger. Denn während THC vornehmlich psychotropisch wirkt, also Einfluss auf die Psyche nimmt, soll CBD vor allem körperlich entspannend sein.
Mehrere Tonnen Blüten und Haschisch müssen für das Pilotprojekt produziert werden. Als erstes Unternehmen in der Schweiz und einziger Lieferant kann der Unternehmenszweig Pure Production in Zeiningen dann offiziell Cannabis ausliefern. Doch der Start, der eigentlich für Mitte September geplant war, verzögert sich.

Denn in den ersten in einem Gewächshaus von Pure gezogenen Pflanzen, genauer ihren Blüten, die für die Cannabisproduktion gedacht waren, wurden Rückstände eines Pflanzenschutzmittels nachgewiesen.
Das Unternehmen erklärte in einer Mitteilung, die Rückstände seien bereits im Boden des Gewächshauses gewesen, das Pure erst vor einem Jahr übernommen hatte. Das Pflanzenschutzmittel sei bereits zuvor dort ausgebracht worden. Weil Hanfpflanzen die Eigenschaft besitzen, Giftstoffe aus dem Boden zu ziehen, wurden die Rückstände in den später gesetzten Cannabispflanzen gefunden.
Pilotprojekt darf noch nicht starten
Das Problem: Das Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) hatte für die Pilotprojekte, die in den nächsten Jahren auch in Städten wie Bern, Zürich, Lausanne und Genf kommen sollen, den Bio-Standard für den Hanfanbau festgelegt. „Dem BAG ist eine möglichst rasche Umsetzung des Pilotversuchs ein wichtiges Anliegen. Allerdings stehen die Sicherheit der am Versuch teilnehmenden Personen, die wissenschaftliche Aussagekraft der Versuche und die reibungslose Durchführung mit den lokalen Behörden an erster Stelle“, sagt Sprecherin Simone Buchmann.
Für das Pilotprojekt im Kanton Aargau heißt das: Der Start von „Weed Care“ wird bis auf Weiteres verschoben. „Leider können wir nach wie vor keinen neuen Termin für den Verkaufsstart bekannt geben“, so die Sprecherin der Stadt Basel, Catherine Gritti. Derzeit liefen noch „Abklärungen mit dem BAG und auch dem Produzenten“, ergänzt sie.

Brüngger hofft, dass bald Klarheit geschaffen wird. Bis Cannabis in der Schweiz legalisiert wird, werden seiner Einschätzung nach aber noch Jahre vergehen. Die Firma Pure dürfte dann nicht mehr der einzige Lieferant sein: Schon jetzt gibt es Konkurrenz, die das bereits zulässige CBD herstellt. Die anderen Firmen müssten nur auf eine andere Pflanzengenetik umstellen, um das Portfolio zu erweitern und THC-haltige Pflanzen anzubauen. Auch Pure sieht Zukunft in dem Geschäft: „Wir könnten nicht nur die Schweiz versorgen“, gibt sich Brüngger zuversichtlich.
Freilandanbau wäre möglich

Gewächshäuser sind für den Anbau ohnehin nicht zwingend nötig – ökologisch betrachtet ist er draußen nachhaltiger, wirft aber nur eine Ernte pro Jahr ab. Die Züchtung im Gewächshaus dagegen kostet zwar mehr Energie, sorgt aber für stabile Bedingungen und könnte bis zu sechs Ernten pro Jahr bringen.
Auch für Landwirte könnte der Anbau attraktiv sein: Denn Hanf eignet sich sehr gut für die Fruchtfolge. Wer immerzu Mais anbaut, laugt den Boden aus. Hanf reinigt den Boden und lockert ihn. Beim Anbau von CBD-haltigem Hanf ist auch anders als beim Forschungsfeld von Pure kein Sicherheitszaun nötig.