Bald 15 Jahre ist es her, dass die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) bekannt gab, das geologische Tiefenlager möglicherweise im Bözberg im Kanton Aargau realisieren zu wollen. Der Kreis zog sich wegen Sicherheitsfragen und der regionalen Entwicklung noch weiter: Davon betroffen waren Teile der Schweizer Regionen Brugg, Zurzibiet, Baden, Fricktal und Süddeutschland.

Als Folge wurde 2011 die Regionalkonferenz Jura Ost gegründet, die sich seither für die Interessen der betroffenen Gemeinden einsetzt. Im vergangenen September schlug die Nagra als Standort für das im Tiefenlager Stadel im Gebiet Nördlich Lägern (Kanton Zürich) an der Grenze zum Zurzibiet vor, die Verpackungsanlage soll bei der Zwilag in Würenlingen entstehen.

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Zwar handelt es sich dabei erst um eine Empfehlung – noch muss das Rahmenbewilligungsgesuch ausgearbeitet werden, das voraussichtlich 2024 eingereicht wird. Trotzdem bedeutet der Entscheid, dass das Standortgebiet Jura Ost zurückgestellt und der Verein somit überflüssig wird: Am Donnerstag haben 78 von insgesamt 98 Mitgliedern an der gut besuchten 37. Regionalkonferenz in Würenlingen fast einstimmig die Auflösung beschlossen.

Die Mitglieder beschließen die Auflösung des Vereins.
Die Mitglieder beschließen die Auflösung des Vereins. | Bild: Gerry Thönen

Die Diskussion um die Lagerung von radioaktiven Abfällen dauert bereits seit Jahrzehnten an – schon in den 1950er-Jahren schrieb die „Neue Zürcher Zeitung“ von den damit verbundenen Schwierigkeiten. Im November 2008 kündigte die Nagra nach der Veröffentlichung des Sachplanes geologisches Tiefenlager durch den Bund an, was schon länger vermutet wurde: Als möglicher Standort wurde der Bözberg ausgewählt – nebst dem Zürcher Weinland auf Kantonsgebiet von Zürich und Thurgau sowie Nördlich Lägern auf der Grenze zwischen den Kantonen Zürich und dem Zurzibiet.

Den Entscheid traf die Nagra aufgrund der geologischen Eignung mit dem sogenannten Wirtgestein Opalinuston im Boden, das im Untergrund den radioaktiven Abfall langfristig am besten einschließen soll. Für die schwächer strahlenden Abfälle kamen damals drei weitere Gebiete in Frage, darunter der östliche Jura-Südfuß in den Kantonen Solothurn und Aargau.

Drei Jahre später wurden die sechs Regionalkonferenzen gegründet, jene für den Jura Ost war die erste. Sie vertrat die Interessen der betroffenen Gemeinden und Kantone.

Nagra berücksichtigte Entscheid zum Standort

Zwar konnte die Regionalkonferenz nicht mitbestimmen, sondern lediglich Anträge stellen. „Im Laufe der Zeit zeigte sich aber, dass wir durchaus Einfluss nehmen konnten“, sagt Ueli Müller, bis Ende 2021 Gemeindeammann in Riniken. Er gehörte zum Startteam, das ab 2009 die Vorarbeiten zum Aufbau der Regionalkonferenz leistete. Bis 2017 war der heute 65-Jährige zusammen mit Peter Plüss aus Bözberg Co-Präsident, danach führte er das Präsidium alleine.

So konnte etwa die Regionalkonferenz Jura Ost und der Kanton nebst den vier von der Nagra genannten Oberflächenanlagen zwei weitere Standorte einbringen. Sie erarbeitete auch das Bewertungssystem, mit dem schließlich der Standort im Bereich des Paul-Scherrer-Instituts in Villigen ausgewählt wurde, und nicht etwa Nagra-Vorschläge wie Hornussen oder Bözen.

Die Regionalkonferenz Jura Ost schlug als Standort den Bereich beim Paul-Scherrer-Institut in Villigen vor.
Die Regionalkonferenz Jura Ost schlug als Standort den Bereich beim Paul-Scherrer-Institut in Villigen vor. | Bild: Maja Reznicek

Die Nagra habe daraufhin diesen Standort weiterverfolgt – auch mit dem später erfolgten Hinweis, eine mögliche Verpackungsanlage allenfalls bei der Zwilag in Würenlingen zu realisieren. So bleibt für das PSI auf dem Areal West auf der linken Seite der Aare die Landreserve für einen möglichen Ausbau erhalten. „Wir wurden immer ernst genommen, und unsere Fragen, insbesondere sicherheitstechnische, wurden immer beantwortet“, sagt Ueli Müller.

Auch Atom-Gegner gehörten zu den Mitgliedern

Die Regionalkonferenz zählte die verschiedensten Interessengruppen als Mitglieder: Nebst Behördenvertreter waren auch Verbände und Parteien aus dem Aargau und Süddeutschland dabei, Gegner wie der Verein „Kein Atommüll im Bözberg“ (Kaib) und Befürworter, Jugendliche, sogenannte Nicht-Organisierte und Vertreter der Bereiche Landwirtschaft/Weinbau sowie Industrie/Gewerbe/Handel und Natur/Bäder/Tourismus.

Am Anfang seien die Mitglieder relativ skeptisch gewesen, sagt Ueli Müller. „Das zeigt sich besonders an den vielen Änderungsanträgen vor allem während der ersten Versammlungen.“ Diese hätten teilweise auch darauf abgezielt, die Partizipation zu verweigern. Auch wollte eine Kaib-Vertreterin an der ersten Versammlung die Regionalkonferenz von „Jura Ost“ in „Bözberg“ umbenennen.

Ueli Müller, damals noch Co-Präsident der Regionalkonferenz Ost vor den Medien 2015: Die Nagra hatte angekündigt, sich auf die Gebiete ...
Ueli Müller, damals noch Co-Präsident der Regionalkonferenz Ost vor den Medien 2015: Die Nagra hatte angekündigt, sich auf die Gebiete Jura Ost und Zürich Nordost zu konzentrieren. | Bild: Sandra Ardizzone

Die Mitglieder folgten aber der Empfehlung des Vorstandes, den ursprünglichen Namen zu belassen. „In der Startgruppe hatten wir uns für die Bezeichnung Jura Ost entschieden“, sagt Ueli Müller. „Zum einen, weil die Fusion der Gemeinde Bözberg lief, und zum anderen, weil wir nicht wollten, dass Bözberg mit Atommüll gleichgestellt wird.“

Bei den Mitgliedern der Kaib sei auch die größte Fluktuation feststellbar gewesen, so der Präsident. „Die Zusammenarbeit war gut. Aber sie merkten, dass sie ihr Ziel – die Verhinderung des Tiefenlagers – in der Regionalkonferenz nicht wahrnehmen können. Denn wir waren ein Gremium der Partizipation.“

Region Aaretal lockerer im Umgang mit atomaren Anlagen

Augenscheinlich waren zudem die unterschiedlichen Haltungen der Regionen: Deutschland sei generell kritisch eingestellt gegenüber Atomenergie, sagt Ueli Müller. Und das Fricktal sei noch von Kaiseraugst geprägt, wo in den 1970er-Jahren Proteste den Bau des Atomkraftwerks verhinderten. „Das Untere Aaretal von Brugg bis nach Koblenz hingegen kennt den Umgang mit atomaren Anlagen. Das war auffällig.“

Das zeigte sich etwa bei der 6. Vollversammlung 2013. „Im Zusammenhang mit der Bewertung der Oberflächen-Standorte wurden 23 Änderungsanträge gestellt“, berichtet Ueli Müller: zehn aus Deutschland, zehn aus dem Fricktal, zwei vom Bözberg und nur einer aus dem Aaretal. Ueli Müller ergänzt aber: „Je mehr wir wussten, desto sachlicher konnten wir die Standortevaluation betrachten.“

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Dass die Nagra sich schließlich für Nördlich Lägern entschied, war für Ueli Müller keine Überraschung. „Verschiedene Indizien deuteten darauf hin.“ So habe die Nagra etwa rund um Stadel zusätzliche Bohrungen durchgeführt. Und verschiedene Fachleute hätten dies im Gespräch ebenfalls durchblicken lassen.

Den Verein nun auf einen Stand-by-Modus zu setzen, das lohne sich nicht, sagt Ueli Müller. „Es gibt keinen Grund, einen Verein, der keine Aufgaben hat, über Jahre am Leben zu erhalten.“ Sollte aber der sehr unwahrscheinliche Fall eintreten, dass die Region Jura Ost zu einem späteren Zeitpunkt wieder ins Verfahren aufgenommen werde, müsste die Regionalkonferenz ohnehin neu gebildet werden. „Viele der jetzigen Gemeindevertreter wären dann nicht mehr im Amt, und bei den restlichen Mitgliedern müsste eine Verjüngung stattfinden.“

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Die Region bleibt aber weiterhin im Blickfeld: Die geplante Verpackungsanlage liegt in Würenlingen. Die betroffenen Gemeinden und Planungsverbände können in einer Arbeitsgruppe weiter mitwirken, darunter Würenlingen, Villigen, Böttstein, Döttingen, die angrenzenden Gemeinden Tegerfelden, Endingen und Untersiggenthal, die entsprechenden Planungsverbände, der Kanton Aargau sowie der Landkreis Waldshut. Durch die Planungsverbände können allfällige Interessen weiterer Gemeinden aufgenommen werden.

Die effektiven Mitgestaltungsmöglichkeiten dieser Arbeitsgruppe sind gering, die Platzierungsmöglichkeiten der Verpackungsanlage sind beschränkt. Sie wird sich aber zu Erschließungsfragen und der Anordnung von temporären Installationsflächen äußern können.

Die Autorin ist Redakteurin der „Aargauer Zeitung“, wo der Artikel zuerst erschienen ist.