Was für ein Kontrast! Sebastian Krähenbühl spaziert die menschenleere Hauptgasse empor, die Kaiserstuhler Antwort auf die Zürcher Bahnhofstraße. Mit dem feinen Unterschied, dass die Einkaufsmöglichkeiten hier beschränkt sind.
„Ich wundere mich manchmal selbst, dass ich hier gelandet bin“, sagt der Schauspieler. Ausgerechnet er, der urbane Typ, der scheinbar immer in Bewegung ist, der Kosmopolit, der den Puls einer Großstadt liebt, wohnt seit gut einem Jahr im kleinsten Städtchen der Schweiz (gegenüber von Hohentengen).
Kaiserstuhl Rückzugsort für viele Promis
Dass sich bekannte Künstler in der verträumten Zurzacher Ortschaft am Rhein mit ihren 400 Einwohnern niederlassen, ist nichts Außergewöhnliches: Fernsehgröße Dietmar Schönherr, seine Frau, die Schauspielerin und Sängerin Vivi Bach in den 1980er-Jahren, TV-Mann Dieter Moor oder Fotograf Eric Bachmann, der Stars wie ABBA, John Lennon, Tina Turner oder Muhammad Ali ablichtete, wählten Kaiserstuhl einst als ihren Lebensmittelpunkt und Rückzugsort.
Von Rückzug oder Altersresidenz kann im Fall von Krähenbühl indes keine Rede sein. Der 49-Jährige befindet sich in der Blüte seines kreativen Schaffens. Sei es als Film- und Theaterschauspieler oder als Regisseur. Der Umzug war seiner vorherigen Wohnsituation geschuldet.
Die Altbauwohnung, in der er in Zürich lebte, wurde saniert. „Bei den Preisen war es schwierig, etwas Vergleichbares zu finden“, sagt Krähenbühl. Er begann sich umzuhören und erhielt über Umwege einen Tipp in Kaiserstuhl. Der Name des Vermieters: Dominik Bachmann, der Neffe von Eric Bachmann, der bis zu seinem Tod 2019 dort lebte.
Migros-Werbespot für ihn ein Glücksfall
Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass ein weiteres bekanntes Gesicht in der Gemeinde wohnt. An „das isch er doch“, oder angesprochen wird, hatte sich Sebastian Krähenbühl schon vor seinem Wechsel in den Aargau gewöhnt. Sei es in einem Café, im Zug oder auf der Straße. Obwohl er seit über zwanzig Jahren auf der Bühne steht, wird er ausgerechnet oder gerade wegen eines bekannten Werbespots in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen.
Krähenbühl ist der Hauptdarsteller in einer Migros-Kampagne. Darin spielt er den alleinerziehenden, liebevollen Vater seiner Tochter Lea. Bisweilen etwas unbeholfen, teils komisch, nicht selten besserwisserisch. Über 40 Spots hat er mittlerweile für den orangen Riesen gedreht.
„Dieses Engagement ist ein Glücksfall, es trug mich nicht zuletzt finanziell durch die Corona-Pandemie“, sagt Krähenbühl.
Migros-Papa spielt ernste Theater-Rollen
Ob er mit dieser Rolle nicht in eine „leichte“ Ecke gedrängt werde und seine Ernsthaftigkeit als Künstler leide – diese Frage wurde ihm schon dutzendfach gestellt. Ausgerechnet er, der mit ernstem Theater sozialisiert worden ist. Der auf der Bühne in „Woyzeck“ und „Sommernachtstraum“ spielte, der in „Mein blaues Herz“ Regie führte, der eine Affinität zu Shakespeare hat und Rollen im „Tatort“ besetzt.
Er habe sich diese Frage ebenfalls gestellt. Seine Antwort: „Es biz seltsam scho, aber nöd so schlimm“. Vielleicht auch deshalb, weil es nur die eine Seite von Krähenbühls schauspielerischem Spektrum abbildet. In seiner Vita finden sich auch Rollen in der Late-Night-Show „Deville“, in Sitcoms oder in „Monty Python Songs und andere Verbrechen“. „Shiften in verschiedene Richtungen“, nennt er es.
Gastspiel ein Steinwurf von der Wohnung entfernt
Verschiebungen kennt Sebastian Krähenbühl seit seiner Kindheit. Sein Vater war Entwicklungshelfer in Nepal. Als er sechs Jahre alt war, kehrte die Familie in die Schweiz zurück nach Birr im Aargau. „Wir waren Fremde und wurden auch als das wahrgenommen“, erinnert er sich. Anstatt der staatlichen Schule besuchte er die Steiner-Schule in Baar (ZG). Er absolvierte anschließend die heutige Zürcher Hochschule der Künste, an der er sich zum Schauspieler ausbilden ließ.
Es folgte seine bisher einzige Festanstellung als Ensemblemitglied am Nationaltheater Mannheim. Seither verdient er seinen Lebensunterhalt als freier Schauspieler, Regisseur und Tänzer. In starre Strukturen anpassen und sich Hierarchien unterzuordnen, ist nicht sein Ding. Das hat sich bis heute nicht geändert.
„Meine Unabhängigkeit lässt mir alle Freiheiten, dafür sind die Finanzen volatil“, sagt Sebastian Krähenbühl. Doch die Auftragslage für das laufende Jahr ist erfreulich. Demnächst ist er im Theater Thik in Baden mit „Der Krieg mit den Molchen“, im Theater Rigiblick in Zürich mit „I hired a contract Killer“ zu sehen sowie erstmals im März und April keine hundert Meter von seiner Wohnung entfernt auf der Kaiserbühne (“Gut gegen Nordwind“) und freilich – als alleinerziehender Vater weiterhin im Migros-Werbespot.
Der Autor ist Redakteur der „Aargauer Zeitung“. Dort ist dieser Beitrag zuerst erschienen.