Auch Monate nach Ende der Lockdowns und Grenzschließungen in Folge der Corona-Pandemie kehren Schweizer Einkaufstouristen nur zögerlich nach Deutschland zurück. „Im Moment gelingt es nicht, zur Vor-Corona-Lage aufzuschließen“, sagte der Hauptgeschäftsführer der IHK Hochrhein-Bodensee, Claudius Marx, am Montag in Konstanz. Laut einer aktuellen IHK-Studie zur Lage des Einzelhandels in der deutsch-Schweizer Grenzregion fehlen im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2019 etwa „20 bis 30 Prozent der Schweizer Kundschaft“.

2,5 Milliarden Kauftkraftzuwachs einst

Vor Corona kauften die Eidgenossen Schätzungen zufolge auf deutscher Seite jährlich für rund 2,5 Milliarden Euro ein – allein in der IHK-Region Hochrhein-Bodensee, die sich von Konstanz im Osten bis Weil am Rhein im Westen erstreckt. Vergleichswerte für die Jahre 2020 und 2021 gibt es nicht, allerdings geht man bei der IHK von einem aktuell deutlich niedrigeren Niveau aus.

IHK-Hauptgeschäftsführer in Konstanz: Claudius Marx
IHK-Hauptgeschäftsführer in Konstanz: Claudius Marx

Ein Anhaltspunkt liefert auch die Entwicklung der sogenannten Ausfuhrkassenzettel, mit denen sich Schweizer nach ihrem Einkauf in Deutschland die Mehrwertsteuer am Zoll zurückholen können. Die Anzahl dieser „grünen Zettel“ ist von 15,6 Millionen im Jahr 2019 auf 4,7 Millionen im Jahr 2021 um mehr als zwei Drittel eingebrochen. Allerdings gilt seit Januar 2020 eine Bagatellgrenze von 50 Euro je Einkauf.

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Bleiben die Einkäufe in Deutschland unterhalb dieses Wertes, kann die Mehrwertsteuer nicht rückerstattet werden. Ein Zettel braucht dann auch nicht mehr ausgefüllt werden. Als Folge kann daher nicht mehr wie früher von der Anzahl der „grünen Zettel“ auf die Zahl der Einkaufstouristen rückgeschlossen werden.

Es kommen weniger Schweizer als früher

Klar ist indes: Es kommen weniger Schweizer als früher zum Einkaufen nach Deutschland, und die Gründe dafür sind nicht vollends klar. IHK-Hauptgeschäftsführer Marx sprach von einer „einigermaßen paradoxen Lage“. Fakt ist, dass eigentlich eine ganze Reihe von Argumenten für den Einkauf in Deutschland sprechen. Uwe Böhm, Geschäftsführer für den Bereich Internationales der IHK Hochrhein-Bodensee, sagte, „die Vorzeichen wären optimal, dass die Schweizer wiederkommen.“

Dazu zählt beispielsweise dass der Schweizer Franken gegenüber dem Euro aufwertet. Als Konsequenz wird der Einkauf von Schweizern im Euroland günstiger und damit attraktiver. Zudem verzeichnet die Nordschweiz ein stark überdurchschnittliches Bevölkerungswachstum, was ebenfalls für potenziell mehr Einkaufstouristen auf deutscher Seite spricht. Und: „Die Schweiz bleibt eine Hochpreisinsel“, wie Marx es ausdrückt, wo die allermeisten Waren deutlich teurer sind als im Euroraum.

Immer mehr Grüne Zettel, hier am Grenzübergang Waldshut, mussten die Zollbeamten zwischen Konstanz und Bad Säckingen vor der ...
Immer mehr Grüne Zettel, hier am Grenzübergang Waldshut, mussten die Zollbeamten zwischen Konstanz und Bad Säckingen vor der Corona-Pandemie abstempeln. Jetzt sind es deutlich weniger | Bild: Gerard, Roland

Allerdings steigen die Preise derzeit in der Schweiz deutlich langsamer als in Deutschland. Der Unterschied in den Inflationsraten dies- und jenseits des Rheins nimmt Deutschland derzeit einen Teil seiner Attraktivität für Schweizer Konsumenten. Wie groß dieser Effekt ist, ist aber schwer abzuschätzen. Marx und Böhm gehen davon aus, dass auch die Teuerung auf Schweizer Seite mittelfristig zulegen wird.

Internet ändert Kaufverhalten

Wichtiger scheinen allgemeine Veränderungen im Kaufverhalten, die maßgeblich auf die zwei Jahre dauernde Corona-Krise zurückzuführen sind. Bedingt durch die Lockdowns und höhere Infektionsrisiken im öffentlichen Raum haben sich viele Konsumenten dem Internet zugewandt und kaufen nun vermehrt dort ein. „Die digitale Akzeptanz hat stark zugenommen“, sagte IHK-Expertin Lena Häsler. „Die Leute kaufen mehr im Internet ein und geben dort auch mehr Geld aus.“

Zudem habe beim Konsum eine Rückbesinnung auf den Nahraum stattgefunden, was sich auf Schweizer Seite etwa an deutlichen Umsatzzuwächsen im stationären Einzelhandel in Städten ablesen ließe.

Handel und Politik sind gefordert

Die IHK-Vertreter bezeichneten es als Herausforderung für den stationären Einzelhandel, Online-Aktivitäten stärker in ihr Geschäftsmodell einzubeziehen. Wichtig sei, beides zu machen, sagte Marx. Diesbezüglich sei auch die Politik gefragt, Konzepte zu entwickeln trotz des Ziels autofreier Innenstädte, diese attraktiv für Einkäufer zu halten.