Zum Einkaufen ins Nachbarland? Für Schweizerinnen und Schweizer wird das offenbar immer unattraktiver. Laut einer Langzeitstudie der Universität St. Gallen hat der Einkauf in stationären Geschäften im Ausland seit 2017 um zehn Prozent abgenommen. Auch geben die Schweizer im Ausland weniger Geld aus: 2017 waren es pro Einkauf noch durchschnittlich 246,50 Schweizer Franken, 2022 sank der Betrag auf 216,10 Franken.

Was der Rückgang des Einkaufstourismus speziell für Deutschland bedeutet, erklärt Thomas Rudolph, Direktor des Forschungszentrums für Handelsmanagement an der Universität St. Gallen, im Interview.

Herr Rudolph, warum lassen die Schweizer den Einkaufsbummel speziell in Deutschland links liegen?

Die Gründe für den Rückgang des Einkaufstourismus sind vielseitig. Zunächst hat die Corona-Pandemie den Einkaufstourismus nach Deutschland stark eingeschränkt. Aber auch die höhere Inflation im Deutschland hat nach wie vor eine abschreckende Wirkung. Sie bewegt rund 20 Prozent der Schweizer Einkaufstouristen, nicht nach Deutschland zu fahren. Auch der Wunsch nach regionalen, hochwertigen Produkten begünstigt den Einkauf der Schweizer im eigenen Land.

Professor Dr. Thomas Rudolph leitet als Direktor das Forschungszentrum für Handelsmanagement an der Universität St. Gallen.
Professor Dr. Thomas Rudolph leitet als Direktor das Forschungszentrum für Handelsmanagement an der Universität St. Gallen. | Bild: Universität St. Gallen

Wo macht sich der Rückgang am meisten bemerkbar?

In vier von fünf Branchen hat der Einkaufstourismus in stationären Geschäften mehr abgenommen, als der Online-Einkaufstourismus zugenommen hat. In den meisten Branchen hat sich das Gesamtvolumen der Auslandseinkäufe reduziert. Aber es gibt Unterschiede zwischen den Branchen.

Welche sind das konkret?

Besonders auffällig ist der Rückgang in der Bekleidungsbranche, wo das Gesamtvolumen seit 2017 um etwa 300 Millionen Franken gesunken ist. In stationären Geschäften ist der Rückgang für Bekleidungs- und Sportartikel besonders ausgeprägt. Auch im Lebensmittelhandel ist die Häufigkeit von Einkäufen in grenznahen Geschäften zurückgegangen.

Im Gegensatz dazu hat der Online-Einkauf für Möbel am stärksten zugenommen, weil mehr Schweizer Kunden online im Ausland einkaufen. Trotzdem ist das Gesamtvolumen der Auslandseinkäufe in der Möbelbranche gesunken, weil die Zunahme im Online-Einkauf den Rückgang in stationären Möbelgeschäften nicht ausgleichen kann. Einzig in der Sportartikelbranche hat der Einkaufstourismus sowohl in stationären Geschäften als auch online abgenommen.

Gibt es aus deutscher Sicht denn auch gute Nachrichten?

In unserer Studie wird deutlich, dass Deutschland sehr wichtig für Schweizer Einkaufstouristen ist. Unter die 15 beliebtesten Städten für Einkaufstourismus fallen zwölf deutsche. Konstanz ist mit 27,8 Prozent der meistgenannte Ort bei Schweizer Kunden. Die Preise sind weiterhin ein wichtiger Grund für Schweizer Kunden, im Ausland einzukaufen, aber es ist ihnen auch wichtig, andere Produkte und eine größere Auswahl zu finden. So landete beispielsweise der Drogeriemarkt dm auf Platz eins der beliebtesten stationären Händler.

Der Einkauf in Kombination mit einem Tagesauflug wird ebenso wichtiger. Deutschland ist mit Abstand die beliebteste Destination für Einkaufstouristen.

Sie hatten schon angesprochen, dass der Online-Einkauf im Ausland zugenommen hat. Wo kaufen die Schweizer denn besonders häufig ein?

Wir haben festgestellt, dass Amazon bei den Schweizern sehr beliebt ist. In vier von fünf Branchen nannten die befragten Schweizer Amazon als ihren Lieblingshändler, oft mit großem Abstand zum zweitbeliebtesten ausländischen Online-Händler. Umso überraschender ist das Ergebnis, weil es keine eigene Amazon-Website für die Schweiz gibt. Daher können Schweizer Einkaufstouristen nicht von allen Amazon-Prime-Vorteilen profitieren und müssen für die bestellten Produkte in der Regel Zollgebühren zahlen.

Was bedeutet der Einkaufstourismus für die Händler in der Schweiz?

Unsere Hochrechnungen zeigen, dass der Schweizer Handel wegen des Einkaufstourismus in diesem Jahr 8,43 Milliarden Franken verliert. Die Schweizer Politik diskutiert Möglichkeiten, wie man das Problem in den Griff bekommen kann. Eine Möglichkeit sehen manche Politiker darin, die Mehrwertsteuerfreigrenze auf 50 Franken zu beschränken. Das würde bedeuten, dass man beim Einkaufen im Ausland weniger Geld sparen würde.

Das könnte Sie auch interessieren

Und was würde das für die Nachbarländer bedeuten?

Nach unseren Berechnungen könnte das den stationären Einkaufstourismus im grenznahen Ausland um durchschnittlich 32,6 Prozent reduzieren sowie zu einer Reduktion des Einkaufstourismus im Umfang von 2,27 Milliarden Franken führen. Das würde auch deutsche Geschäfte erheblich treffen.

Was glauben Sie, wie wird sich der Einkaufstourismus in Zukunft entwickeln?

Alle unsere Langzeitstudien werden in regelmäßigen Abständen wiederholt, um aktuelle Aussagen über die Entwicklungen treffen zu können. In den vergangenen Jahren sehen wir den Trend, dass Schweizer Einkaufstouristen bei ihrem Einkauf mehr auf frische, regionale und qualitativ hochwertige Produkte achten. In der Schweiz scheinen die Händler diese Produktwünsche besser erfüllt zu haben als Händler im Ausland.

Früher war der Preis der Hauptgrund, warum Schweizer im Ausland einkaufen, aber jetzt sind das vielfältige und andersartige Produktangebot in Deutschland und die Idee, dass man einen Ausflug mit dem Einkauf verbinden kann, wichtiger geworden. Ob das so bleibt, hängt maßgeblich von der Konjunktur in der Schweiz ab.