Jahrelang machten deutsche Wintersportler einen großen Bogen um die Schweiz. Nicht einmal die Anmut des Matterhorns oder die Wildheit des Berner Oberlandes konnten sie so recht locken: Zu teuer, zu rückständig, zu wenig Komfort, lauteten die Hauptargumente der Schweiz-Muffel diesseits des Rheins. Das ändert sich gerade. Immer mehr Touristen entdecken die Schweizer Berge wieder.
Preisabstand zu Österreich sinkt
„Die Schweiz hat in letzter Zeit für Wintersport-Touristen aus dem Ausland an Attraktivität gewonnen“, sagt Christian Brand, Marketing-Chef bei Snowtrex, dem nach eigenen Angaben größten Winterreisen-Anbieter der Republik. Bei den Buchungen sehe man einen „klaren Aufwärtstrend“. Seit der Saison 2018/2019 habe sich der Anteil der Schweiz-Reisenden bei Snowtrex nahezu verdoppelt, sagt Brand. Das Land hole gegenüber Wintersport-Destinationen wie Österreich „zügig auf“.
Tatsächlich scheint es, als ob die traditionsreichste Wintersportnation der Alpen nach Jahren aus einer Art Dornröschenschlaf erwacht ist. In diesen versetzte sie Anfang 2015 der sogenannte Frankenschock. Damals gab die Schweizer Notenbank die Bindung der Nationalwährung an den Euro überraschend auf. Als Folge schoss der Franken um 20 Prozent nach oben. Und die Gäste aus Euroland traten den geordneten Rückzug an. Die Schweiz, bisher schon kein Schnäppchenparadies, wurde für sie schlicht unerschwinglich. Sogar die sonst heimattreuen Schweizer blieben den eigenen Bergen fern, um künftig in billigen Euroländern wie Österreich, Italien oder Frankreich die Pisten hinunterzuwedeln.

Mittlerweile hat sich die Lage verändert. In der Eidgenossenschaft boomt der Wintersport, und das liegt nicht nur an den relativ laxen Corona-Regeln, die ein unbeschwertes Skivergnügen versprechen. „In der Schweiz waren die meisten Tourismusbetriebe und Bergbahnen in den vergangenen Jahren mit Preiserhöhungen eher zurückhaltend“, sagt Christian Laesser, Tourismus-Experte an der Universität St. Gallen. Nach dem Frankenschock sei es einfach nicht an der Zeit gewesen, preislich draufzusatteln, so der Touristik-Professor. Die Preisdifferenz zu anderen Ländern wie Österreich sei daher tendenziell geringer geworden.
Mit Verpflegung inklusive wird die Schweiz erschwinglich
Die Lage im Ski-Winter 2022 bestätigt das. Während die Preise für Tickets in Österreich nach einer Auswertung des Fernsehsenders ORF in der laufenden Saison zwischen zwei und drei Prozent angezogen haben, sind sie in den Schweizer Alpen gesunken. Zwischen Zermatt und Wildhaus gingen sie laut einer Studie der Cler-Bank im Vergleich zum Vorjahr um rund drei Prozent zurück. Am meisten senkten demnach die Skigebiete Flims-Laax, Andermatt-Sedrun sowie Saas Fee die Tarife. Hier verbilligten sich die Billets zwischen 6,3 und 9,4 Prozent.
Allerdings sind die Unterschiede enorm. Wer in Top-Destinationen wie Zermatt, Verbier oder St. Moritz auf die Bretter steigen will, zahlt mitunter 70 Prozent mehr als etwa im Gletscher-Skigebiet Engelberg-Titlis für den Pistenspass. Eine Auswertung der Durchschnittspreise von Unterkünften ergab sogar noch höhere Unterschiede. In Summe könne eine Woche Familienurlaub am Fuß des Matterhorn durchaus 5200 Franken kosten, so die Experten der Cler-Bank. Aber es geht eben auch erheblich günstiger.

Touristik-Experte Laesser erklärt die krassen Preisunterschiede vor allem mit der Größe der Ski-Arenen, der Qualität der Lifte und der Reputation. In manchen, sehr prestigeträchtigen Regionen, bleibe Wintersport in der Schweiz eine kostspielige Angelegenheit. Insbesondere die Preise für das Drumherum, also etwa für Speisen und Getränke, wirke für Normalverdiener abschreckend.
1600 Euro für Skiurlaub mit Familie in Davos
Snowtrex, aber auch Konkurrenten wie der Schweizer Reiseveranstalter Sunweb, haben darauf reagiert und die Vermarktung auf ganz neue Beine gestellt. Insbesondere für den Schweizer Markt bieten sie Komplett-Angebote an – und die sind vergleichsweise günstig. Wer beispielsweise als vierköpfige Familie Mitte März in einem Dreieinhalb-Sterne-Hotel in Davos fünf Nächte urlauben will, zahlt dafür bei Snowtrex aktuell 1572 Euro – inklusive Halbpension und 4-Tages-Skipässe für die ganze Familie. „Solche Preise sind mit Österreich vergleichbar“, sagt Snowtrex-Manager Brand. Insbesondere, wenn die Verpflegung mit inbegriffen sei.
„Österreich sitzt auf einen hohen Ross“
Laut Brand komme die Preiszurückhaltung des Schweizer Tourismus langsam beim Kunden an. Aber die Reiseveranstalter üben auch Druck aus und versuchen, für ihre Kunden zusätzlich Rabatte herauszuschlagen. In der Schweiz stehen die Chancen dafür nicht schlecht. Oft besitzen die Betreiber von Bergbahnen und Skigebieten gleichzeitig Hotels vor Ort. Verhandlungen seien daher eher unkompliziert, sagt Brand. Am Ende stünden oft „attraktive Pakete aus Skipass, Verpflegung und Unterkunft“.
In Österreich tue man sich hingegen beim Thema Preisnachlass schwer. Es gebe schlichtweg zu viele, die mitreden wollten. Hotels und Bergbahnen sind fast immer eigenständig. Und die Liftbetriebe gehören oft mehreren Kommunen. Zudem sitze die österreichische Tourismusbranche mitunter „auf einem sehr hohen Ross“, sagt Brand. Über Rabatte und günstige Paketangebote wollten viele gar nicht reden.

Tatsächlich hat sich der Charakter des Reiselands Österreichs verändert. Während Edel-Hotels mit Wellness-Saunen und Top-Gastronomie in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, sind Unterkünfte ohne viel Schnickschnack rar geworden. Belastbare Zahlen gibt es nicht, aber auch Tourismus-Experte Brand sagt: Österreich biete beim Wintertourismus zwar sehr gute Qualität, entwickle sich aber preislich auch zur „Luxus-Destination.“
In Österreich will man das nicht auf sich sitzen lassen. Kundenbefragungen zum Preis-Leistungs-Verhältnis des Skiurlaubs ergäben konstant gute Werte, sagt etwa Christian Schützinger, Geschäftsführer von Vorarlberg Tourismus. Mit Millionen-Investitionen habe man die Angebote in den vergangenen Jahren ausgebaut und das koste eben Geld. „Wir versuchen faire Preise zu bieten“, sagt er. Allerdings gesteht auch er ein, dass es mit den „Schnäppchentarifen in Österreich vorbei“ sei.
Schweiz punktet mit Digi-Tickets
Diese werden nicht zuletzt von der Inflation zunichtegemacht, die derzeit im Euroland deutlich heftiger zuschlägt als in der Eidgenossenschaft und etwa Tageskarten zusätzlich verteuert. Als Folge sei die Schweiz preislich an die Alpenrepublik herangerückt, gibt man im Vorarlberg zerknirscht zu.
Läuft der Schweizer Tourismus also zu neuer Stärke auf? Wer dies bejaht, führt nicht selten die Innovationsfreude der Eidgenossen an. Selbst in Österreich hält man den Nachbarn zugute, dass bei den Investitionen in neue Pisten und Lifte ein „Sprung nach vorne“ erkennbar sei. Die Schweizer Uralt-Gondeln würden zunehmend durch moderne Liftanlagen ersetzt.
30 bis 40 Franken für Tageskarte möglich
Und auch bei der Digitalisierung ist die Eidgenossenschaft nach Ansicht von Fachleuten voraus. Anders als in Deutschland, Österreich, Italien oder Frankreich werden Skipässe nur noch selten am Kassenhäuschen gelöst. Außerdem halten in der Schweiz dynamische Preismodelle bei den Ski-Tickets Einzug. Dabei wird das Billet, ähnlich wie bei Flügen, umso günstiger, je weiter im Voraus man bucht oder je geringer die Auslastung der Bahnen ist.
Ein Tagespass in Flims-Laax kann so für 30 bis 40 Franken über den digitalen Tresen gehen. Insbesondere für Tagesausflügler hätten sich die Schweizer einen Vorteil geschaffen, erkennt der Vorarlberger Tourismus-Vermarkter Schützinger an. In Österreich würden solche Preissysteme zwar heiß diskutiert, aber man sei noch nicht so weit. „Wir müssen da nachziehen“, sagt er.