Wer hat die schrecklichen Bilder nicht mehr im Kopf? Geköpft, erschossen oder in einem Käfig verbrannt hat die Terrormiliz Islamischer Staat Menschen, die sie als Ungläubige bezeichnet, und das ist noch gar nicht lange her.

Aber religiös motivierter Terror gehört auch zur Geschichte Europas. Allein während der Spanischen Inquisition, die nach der Vertreibung der Mauren Anfang des 15. Jahrhunderts begann und erst 1834 offiziell abgeschafft wurde, fanden Tausende sogenannte Ketzer auf dem Scheiterhaufen einen schrecklichen Tod.

Inquisition als Volksfest

Autodafé nannte man in Spanien die öffentliche Verkündigung von Urteilen der Inquisition, die in der Art eines Volksfests inszeniert wurden. Berühmt wurde etwa das Autodafé, das am 21. Mai 1559 unter Anwesenheit von 200.000 Menschen in Valladolid stattgefunden hatte, auch Mitglieder der königlichen Familie waren anwesend, darunter König Philipp II. und sein Sohn Don Carlos.

Der Thronfolger, der schwer am Protestantenhass seines Vaters litt, wollte Statthalter im protestantischen Flandern werden, was ihm sein Vater aber ebenso verwehrte wie die Ehe mit der französischen Prinzessin Elisabeth von Valois, die Philipp stattdessen selbst ehelichte.

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Eine Konstellation, die Schiller in seinem Drama „Don Carlos“ verarbeitet hat, auf das sich wiederum die Librettisten von Giuseppe Verdis gleichnamiger Oper bezogen, die nun in einer Neuinszenierung von Lotte de Beer an der Stuttgarter Staatsoper Premiere hatte. Und wer sich dafür interessiert, wie private und politische Verhältnisse zusammenhängen, dem dürfte dieser Opernabend reichlich Anschauungsmaterial bieten.

Die Grundthese der Regisseurin ist, dass totalitäre Herrschaftsstrukturen auch in unserer westlichen Zivilisation nicht für alle Zeiten überwunden sind, sondern sich unter bestimmten gesellschaftlichen Konstellationen wieder etablieren können.

Schwarzer Keil mitten auf der Bühne

Deshalb hat Lotte de Beer die Handlung nicht historisch verortet, sondern lässt sie als Dystopie in einem stark stilisierten Kunstraum spielen. Das zentrale Bühnenelement ist ein riesiger schwarzer Keil, der wie ein Monolith immer wieder hereingeschwenkt wird und die Protagonisten vom Geschehen isoliert und dafür deren Verhältnis zueinander brennglasgleich in den Fokus rückt.

Und je länger dieser fast fünfstündige Abend dauert – man spielt die fünfaktige Fassung –, desto mehr wird man hineingezogen in das Geflecht der Beziehungen, in dem die Menschen weniger als autonom Handelnde als vielmehr als Getriebene gezeigt werden. Keiner kann machen, was er eigentlich möchte. Nicht das Liebespaar Elisabeth und Don Carlos, das sich der Staatsräson beugen muss, nicht die Prinzessin Eboli, die Elisabeth hintergeht und schließlich von ihr verbannt wird.

Der Großinquisitor (Falk Struckmann) und Philipp II. (Goran Juric).
Der Großinquisitor (Falk Struckmann) und Philipp II. (Goran Juric). | Bild: Matthias Baus / Oper Stuttgart

Carlos‘ Freund, der Marquis von Posa, wird am Ende von den Schergen der Inquisition getötet. Nicht einmal der Regent Philipp ist frei, muss er sich doch sogar als König den Weisungen des Großinquisitors fügen. Der wird in Stuttgart als Tyrann gezeigt, der seinen Sadismus hinter Leutseligkeit versteckt.

Das alles wird an der Staatsoper Stuttgart mittels genauer Personenführung, subtiler Lichtregie und einem auf Schwarz-Weiß-Kontraste reduzierten Bühnenbild präzise herausgearbeitet, selbst wenn der Eindruck eines artifiziellen Ästhetizismus entsteht.

Auch Kinder werden gewalttätig

Eine Szene bleibt allerdings unmotiviert: Auf Michael Hanekes Film „Das weiße Band“ anspielend, spielen in Weiß gekleidete Kinder zu einer Melange aus der originalen Ballettmusik und der sich auf die russische Protestgruppe „Pussy Riot“ beziehenden „Pussy-Polka“ des Komponisten Gerhard E. Winkler eine Art Puppen-Autodafé: in einer von Gewalt beherrschten Gesellschaft, so die Botschaft, werden irgendwann auch die Kinder gewalttätig. Dramaturgisch bleibt das ohne Bezug.

Musikalisch freilich ist es ein beglückender Abend. Zwar muss Generalmusikdirektor Cornelius Meister an der Koordinierung von Bühne und Graben noch feilen, aber farbenreicher im Klang, wuchtiger in den Massenszenen und gleichzeitig filigraner in der Gestaltung kann man sich die Ausarbeitung dieser extrem anspruchsvollen Partitur kaum vorstellen.

Jeder Charakter ist passend besetzt

Dazu wird durchweg exzellent gesungen. Jeder der Charaktere ist vokal passend besetzt, herausragend gleichwohl die moldawische Sopranistin Olga Busuioc in ihrer Rolle als zwischen Liebe und Pflichterfüllung zerrissene Elisabeth, die am Ende vom Publikum völlig zu Recht Ovationen entgegennimmt. Insgesamt ein fulminanter Premierenauftakt in Stuttgart.

Weitere Vorstellungen von „Don Carlos„ gibt es am 8. und 10. November 2019 und dann wieder ab März 2020. Informationen dazu finden Sie hier.