Das Theater ist nicht tot, es hat nur die Spielstätte gewechselt. Seine Helden heißen Donald Trump und Boris Johnson. Ihr Verwirrspiel auf der politischen Bühne wird von hauptamtlichen Kritikern verurteilt. Große Teile des Zuschauervolks hingegen sind fasziniert von den beiden Selbstdarstellern. Brot und Spiele. Ob die beiden ihren Völkern zu mehr Brot und Wohlstand verhelfen können, ist ungewiss. Sicher ist: Sie sind erstklassige Spieler.
Trump und Johnson sind Weltmeister in Sachen Aufmerksamkeitsökonomie. Nicht einfach, das zuzugeben: dass man auf den nächsten verwirrenden Tweet von Mr. Trump geradezu wartet und auf den nächsten irren Coup von Mr. Johnson. Wie sie den anderen Politikern eine lange Nase drehen. Johnson und Trump sind die Struwwelpeter unserer Zeit. Der Brite mit dem hellblonden Beatles-Pilzkopf, lustig verstrubbelt. Der Amerikaner mit der rotblonden Elvis-Tolle, komisch geföhnt. Und unter der Frisur zwei Abriss-Birnen, die Ordnungen mutwillig zerstören. Gute Unterhaltung?
Hauptsache, es passiert etwas
Trump und Johnson wirken wie die letzten Charakterdarsteller der westlichen Welt. Stur auf sich selbst bezogen, unberechenbar, unhöflich und ungeschlacht im Auftreten. So, wie man manchmal selber gerne sein möchte. Das fasziniert. Das erregt. Hier verstoßen zwei Politiker gegen alle Regeln. Dass dies die Regeln der Demokratie und Diplomatie sind, egal. Das Volk, auch ich, will unterhalten sein. Hauptsache, es passiert etwas, endlich Action, radikal.
Am eindrucksvollsten sind Fotos, auf denen beide zu sehen sind. Beide im dunkelblauen Anzug, aber die Hose kringelt sich, das Jackett steht offen. Als wollten die beiden Radikalinskis am liebsten aus der engen Haut der Kleiderordnung fahren. Zwei Originale in einer Welt, in der viel zu viele artige Kopien herumlaufen. Zwei Struwwelpeter-Sturköpfe nach dem Motto: „Nein! Ich esse meine Suppe nicht.“ Ich bin ungehorsam. Ich mach mein eigenes Ding. Das kann man politisch gut oder schlecht finden; auf jeden Fall wirkt es. Jedenfalls wirkt es in der westlichen Welt, die zu Entpolitisierung, Entertainment und Spaßkultur neigt.
Enormer Instinkt fürs Publikum
Jedes Volk hat die Regierungsspitze, die kulturell zu ihm passt. Die kapitalistischen USA haben Donald Trump: den Moneymaker und Macher von Reality-TV, den Immobilien-Hai und Selbstvermarkter in Fernseh-Shows. Das traditionsbewusste Vereinigte Königreich hat Boris Johnson: einst Schüler im privaten Elite-Internat Eton College, Studium in Oxford, Herausgeber von Zeitungen, bekannt geworden durch Auftritte im Fernsehen, dann Bürgermeister von London und Außenminister; zuerst gegen, dann für den Brexit.
Trump und Johnson sind keine Berufspolitiker herkömmlicher Art. Sie mussten sich nicht jahrzehntelang auf der Ochsentour in der Partei-Hierarchien hocharbeiten. Deshalb wirken sie unverbraucht, unkonventionell, das genügt. Ihre Egomanie, ihre Zügellosigkeit, ihre Wutausbrüche wirken in einer normierten Gesellschaft wie eine Erlösung. Dabei sind sie ausgefuchste Spielernaturen, wendig, wankelmütig, windig, Hauptsache es dient der eigenen Karriere. Zwei Selfmademen mit enormem Instinkt fürs Publikum. Wie sie die Massen packen können, haben sie als Medienmacher gelernt und verinnerlicht.
Wie in der Schule
Mehr als Politiker sind sie Show-Stars. Ihre politischen Erfolge sind nachrangig. Ihre Umfragewerte schnellen trotz Niederlagen empor. Wie zum Trotz. Wie zum Trotz hält das Publikum an den beiden fest. Nicht wider besseren Wissens, sondern weil politisches und historisches Wissen ausgedient hat. Es ist wie in einer Schulklasse: Vorne hält der Lehrer tapfer Unterricht, hinten amüsieren sich die Schüler heimlich über zwei Klassenclowns. Einer heißt Boris, der andere Donald. Beide sind sie hochbegabt – nur nicht fürs politische Geschäft der Konsensbildung. Wozu auch, sie haben ihre Bewunderer hinter sich. Was die politische Klasse denkt, ist so gut wie egal. Aufmerksamkeit beim Volk ist in der Mediengesellschaft das wichtigste Kapital.
Das Chaos-Theater der zwei Rabauken hat allerdings auch einen tieferen Sinn: Ihre radikale Rückbesinnung auf ihr eigenes Land, so besinnungslos sie erscheint, testet den Spielraum, den einzelne Nationalstaaten in einer globalisierten Welt noch haben können. Spannend, das. Deshalb ist der Applaus vom Volk durchaus verdient.