Ein Jahr ist es her, dass CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer mit ihrem Auftritt vor dem Stockacher Narrengericht bundesweite Empörung auslöste. Der Vorwurf: Sie habe mit ihrem Scherz über Menschen des dritten Geschlechts eine Minderheit öffentlich diskriminiert. Witz, hieß es bald, müsse stets auf Kosten der Reichen und Mächtigen gehen. Wer hingegen nach unten trete statt nach oben, beweise nur seine Stillosigkeit.

Annegret Kramp-Karrenbauer bei ihrem Auftritt vor dem Stockacher Narrengericht 2019. Für ihren Witz auf Kosten von Menschen des dritten ...
Annegret Kramp-Karrenbauer bei ihrem Auftritt vor dem Stockacher Narrengericht 2019. Für ihren Witz auf Kosten von Menschen des dritten Geschlechts erntete sie Kritik. | Bild: Marinovic, Laura

Das Gebot des Nach-oben-Austeilens hat seitdem eine enorme Popularität erfahren, auch abseits der Fasnacht. Die Mahner stehen links wie rechts: Ob sich der Kabarettist Dieter Nuhr über Klimaaktivistin Greta Thunberg lustig macht oder der Kinderchor des WDR über wenig umweltbewusste Omas singt – stets sind sie mit erhobenem Zeigefinger zur Stelle.

Lachen über Kinder, Spotten über Senioren, so etwas sei doch das Allerletzte, heißt es dann. Nehmt gefälligst unsere Spitzenpolitiker! Satire müsse nämlich „vor allem den Mächtigen wehtun“, wie zuletzt WDR-Intendant Tom Buhrow betonte.

Dieter Nuhr bei einem Auftritt in der Singener Stadthalle 2018.
Dieter Nuhr bei einem Auftritt in der Singener Stadthalle 2018. | Bild: Tesche, Sabine

Allein: Stimmt das überhaupt? Gibt es diesen moralischen Schutzschirm, der Machtlose, Geringverdiener und Angehörige von Minderheiten vor jeglicher Beschämung bewahrt? Und wenn ja, auf wen geht dieses Gesetz zurück?

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Die Behauptung, kluge Satiriker hätten ihren Spott schon immer allein gegen die Mächtigen gerichtet, erweist sich beim Blick in die Geschichte als falsch. Das gilt zuallererst für die Fasnacht, die sich weitaus rebellischer gibt, als sie ist. Ihre Narrengerichte mit Spitzenpolitikern auf der Anklagebank: In Wahrheit, sagt der Fasnachts-Experte Werner Mezger, handele es sich dabei um einen „Schmusekurs mit denen, die Rang und Namen haben“.

Ihre Mythen wie die Geschichte vom mutigen Narren Hans Kuony aus Stockach sind in den meisten Fällen reine Erfindungen. Hat es in der Vergangenheit gegolten, bestehende Hierarchien ernsthaft und couragiert infrage zu stellen – etwa im Dritten Reich –, war vom hehren Anspruch der Elitenkritik nicht mehr viel zu sehen.

Angriff auf die Herrschenden

„Aber die professionellen Satiriker und Komiker!“, wenden die Verfechter des Elite-Gebots ein: „Anders als die Fasnachter haben sie schon immer mutig die herrschende Klasse angegriffen!“

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Nun ja, die ersten bekannten Satiriker in der Antike richteten ihre Kritik zwar durchaus an Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens – meist allerdings nicht so sehr wegen deren Macht, sondern aufgrund der Prominenz. Einfache Bürger kamen deshalb keineswegs ungeschoren davon. So finden sich beim römischen Autor Lucilius hämische Kommentare zur schlechten Küche einer syrischen Wirtin, Varro machte sich über den Aberglauben vieler Römer lustig, Juvenal und Horaz verhöhnten Frauen und Sklaven.

„Satire muss vor allem den Mächtigen wehtun“, sagte WDR-Intendant Tom Buhrow nach der Aufregung um das ...
„Satire muss vor allem den Mächtigen wehtun“, sagte WDR-Intendant Tom Buhrow nach der Aufregung um das „Umweltsau“-Lied des WDR-Kinderchors. | Bild: Oliver Berg

Auch in neuzeitlicher Literatur gibt es kaum Hinweise auf eine Kuschelzone für schlechter gestellte Bevölkerungsgrupen. Ob in Sebastian Brants „Narrenschiff“, Grimmelshausens „Simplicissimus Teutsch“ oder Cervantes‘ „Don Quijote“: Der Spott ging zu großen Teilen auf Kosten des einfachen Volks.

Plötzlich Propagandainstrument

Wirklich unbequem wurde es für die Reichen und Mächtigen erst in der Romantik. Mit der Demokratiebewegung entwickelte sich die Satire zum politischen Propagandainstrument: Vor allem Heinrich Heine verspottete in schöner Regelmäßigkeit Könige, Hofräte und geistliche Hochwürden. Das hinderte ihn zwar nicht daran, auch nach unten weiterhin fleißig auszuteilen (selbst vor homophoben Angriffen auf unliebsame Dichterkollegen schreckte er nicht zurück). Dennoch: Das Keilen gegen eine politische Elite kam jetzt in Mode.

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Das lag auch an der Shakespeare-Renaissance in

Deutschland. Dank der ersten brauchbaren Übersetzung von Dramen wie „Was ihr wollt“ und „König Lear“ lernte man Narren kennen, die sich als Garanten der Vernunft entpuppen. Schon bald wurde diese fiktive Figur des „weisen Narren“ so populär, dass man sie für historisch verbürgt hielt. Ein Irrtum: Für freche Sprüche wie „Du hattest wenig Hirn in deiner kahlen Krone“ (der Hofnarr an König Lear) hätte jeder real existierende Spaßmacher an europäischen Königshöfen schon bald den Galgen gesehen.

Auftrag an alle Witzbolde

Die Legende von der Elitenbeschimpfung als offizieller Auftrag an alle Witzbolde der Nation verdankt sich also der Demokratiebewegung und der Entdeckung von Shakespeares Narren im 19. Jahrhundert. Präsidenten, Kanzler und Bürgermeister müssen seitdem artig mitlachen, wenn ihnen – ob in der Fasnachtsbütt oder auf Kabarettbühnen – die Leviten gelesen werden.

Exklusiv ist ihr Opferstatus trotzdem nie gewesen. Von Karl Valentin über Charlie Chaplin bis zu Loriot galt Kurt Tucholskys Diktum „Satire darf alles“: Mächtige verspotten, durchaus aber auch einfache Gläubige (“Das Leben des Brian“), Rentner (“Pappa ante Portas“) oder Angehörige bestimmter Geschlechtsgruppen (“Männer sind Schweine“).

Und das soll heute vorbei sein? Dürfen wir Ostfriesen- oder Schwabenwitze etwa nur noch riskieren, wenn der jeweilige Adressat auch als hochrangiger Politiker an Frau Merkels Kabinettstisch sitzt?

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Ein auf den ersten Blick gutes Argument dafür ist der „Stürmer“. Die im Propagandablatt der NSDAP abgedruckten antisemitischen Karikaturen dienen als mahnendes Beispiel für ein Humorverständnis, das in Volksverhetzung umschlägt. Wer heute bei satirischen Beiträgen auf Kosten von Minderheiten Alarm schlägt, sorgt sich vor einer Wiederholung der Geschichte – eine berechtigte Sorge.

Umkehrung der Rollen

Doch die Mahnung verkennt die eigentliche Gefahr. Denn in Wahrheit wurde die scheinbar demokratische Forderung des Nach-oben-Tretens kaum je beflissener befolgt als in den Redaktionsstuben des „Stürmer“. Schließlich galt die Kritik keineswegs einer tatsächlich verfolgten Minderheit, sondern einem vermeintlichen „Weltjudentum“, dargestellt durch Bonzen mit Zigarre im Mund und Geldsäcken auf dem Rücken. Das Beispiel „Stürmer“ beweist: Eine simple Umkehrung der Opfer- und Täterrollen genügt, damit aus dem hehren Prinzip der Elitenkritik gefährliche Propaganda wird.

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Keine Frage, Satire, Kabarett und Komödie können unter die Gürtellinie zielen, geschmacklos und kritikwürdig sein. Wer aber das Volk schon aus Prinzip in Watte packt und jeglichen Hohn und Spott allein gegen „die da oben“ richtet, gerät in populistisches Fahrwasser. Er droht damit, genau jene totalitäre Stimmung zu erzeugen, die er doch eigentlich zu verhindern versucht.

In Maßen verspottet zu werden, ist nämlich kein Makel, sondern ein Privileg: Es provoziert kritische Selbstbefragung, spornt zur Ausbildung von Schlagfertigkeit an und stärkt so langfristig das Selbstvertrauen. Dieses wertvolle Gut sollten wir nicht allein den Reichen und Mächtigen gönnen. Auch Gretas, Omas und andere gewöhnliche Bürger haben ein Anrecht darauf.