Wo sind die rauschenden Feste hin? Die Exzesse des Genusses und Höhepunkte der Geselligkeit? Die Zeichen stehen schlecht in diesen Tagen: Wer irgendwo eine öffentliche Feier plant, muss seine Gästeliste nach politisch heikle Namen durchkämmen, an vegane Speisen denken, und ein Feuerwerk kommt aus Klimaschutzgründen schon gleich gar nicht infrage. Kein Zweifel, so ein Fest ist eine sehr korrekte Angelegenheit geworden.
Schwall von Bratwürsten
Wie anders ging es in früheren Zeiten zu! Titus Petronius, Senator im alten Rom, liefert in seinem Roman „Satyricon“ ein plastisches Beispiel für spätrömische Dekadenz. Bei der Party eines Emporkömmlings gehen uns noch heute die Augen über: Während Sklaven den Gästen die Fingernägel polieren werden mit Honig und Mohn bedeckte Haselmäuse, syrische Pflaumen mit Granatapfelkernen gereicht. Und als der Koch einem nur scheinbar unausgenommenen Schwein den Bauch aufschneidet, quillt ein Schwall von Bratwürsten heraus.
Doch das ist noch gar nichts im Vergleich zu staatlich organisierten Festen. Kaiser Nero lässt vierhundert Senatoren und sechshundert Ritter zum Schwertkampf antreten, ein Seegefecht mit eigens gebauten Seeungeheuern ausrichten und Darsteller des Ikarus von der Loge im Zirkus heruntersegeln. Letzteres inklusive tödlichem Ausgang: Beim Aufprall sei etwas von dem Blut bis auf des Kaisers Kleider gespritzt, schreibt der Geschichtsschreiber Sueton.
Prassen als Politik
Der Literaturwissenschaftler Rainer Wieland hat Zeitzeugenberichte von großen Festen der Menschheitsgeschichte zusammengetragen. Sein „Buch der Feste“ (Propyläen-Verlag) zeigt: Das Verprassen ohne Rücksicht auf Verluste hatte ein politisches Ziel. Denn je dekadenter es bei Roms Cäsaren zu ging, desto größer war der Respekt ihrer Gegner.
„Wenn man ein Cäsar ist, kann man kein sparsamer Hausvater sein“, lautete deshalb die Devise des Kaisers Caligula. Er hatte allein deshalb sämtliche Lastschiffe des Reiches an die Mole von Puteoli gebracht, damit über sie zwei Tage hintereinander von einem Ufer zum anderen laufen konnte. Ein Astrologe hatte ihm nämlich einst geweissagt, er werde ebensowenig Kaiser werden, „wie er über den Meerbusen von Bajä reiten wird“.

Die Protzerei aus politischem Kalkül hatte auch in der Neuzeit noch lange nicht ausgedient. Ans Ende des Dreißigjährigen Krieges glaubte die einfache Bevölkerung erst, als der Generalissimus der schwedischen Truppen in Nürnberg ein Festmahl gab, das keine Fragen offen ließ. Von „allerhand gekochten Speisen“ mit „gebratnen Vögeln, Wildbret etc.“ dazu „allerhand Fischen“ und „Pasteten“ weiß der Zeitzeuge Georg Philipp Harsdörffer zu berichten. Auch an die Armen habe man mit zwei Ochsen und viel Brot gedacht. Allein aus einem „für das Fenster aufgesetzten Löwenrachen“ sei sechs Stunden lang Wein geflossen: „darum von dem gemeinen Mann ein grosses Gedränge.“ Daran ist nicht zu zweifeln.
Als 1667 in Wien Leopold I. die spanische Infantin Margarita Theresa heiratete, arteten die Feierlichkeiten geradezu aus, ein ganzes Jahr lang wurde die „Vollziehung des Kaiserlichen Beilagers“ mit Empfängen, Banketten, Bällen, Feuerwerken, Opernaufführungen, Schlittenfahrten und Jagdgesellschaften gewürdigt. Was heute wie Vergnügen aussieht, war in Wahrheit harte politische Arbeit: Der Exzess diente dazu, die Vorrangstellung gegenüber den französischen Nachbarn zu demonstrieren.
In finanzieller Bedrängnis
Als Machtinstrument fand die Feierei ihren Höhepunkt hundert Jahre später. Nach der Vermählung des Königs Ludwig XVI. mit Marie-Antoinette, notiert sich der Herzog von Croy 1770 in sein Tagebuch: Eigentlich habe sich Frankreich wegen seiner „äußersten finanziellen Bedrängnis“ gar kein Fest leisten können. Bei genauerer Betrachtung aber sei bald klar geworden, dass ein Verzicht auf „eine Million weniger Ausgaben“ angesichts „fünfzig Millionen Schulden“ nichts ausgerichtet hätte. Im Gegenteil: Sparsamkeit hätte „das Ausland glauben lassen, wir wären am Ende“!
Und so wurde wieder mal geprasst, dass sich die Balken bogen. 24 000 Raketen zählte allein das Feuerwerk: „Je tiefer Frankreich zu sinken schien, desto überschwenglicher wollte man sich geben.“
Mit vollen Händen
Weil seit dem alten Rom die Größe eines Festes als Maßstab für die Machtfülle des Herrschers galt, war die politische Elite dazu verdammt, das Geld mit vollen Händen für Vergnügungen zum Fenster hinauszuwerfen. Doch als im 19. Jahrhundert die einfachen Bürger mehr und mehr ihre Stimme erhoben, geriet das Feiern auf Staatskosten zusehends unter Druck.
Oppositionelle Gruppen entdeckten das Fest als Möglichkeit, in Zeiten von Versammlungsverboten politische Bankette zu tarnen. So kam es 1832 auf dem Hambacher Schloss zu einem „Verfassungsfest“, das sich früh als politische Demonstration erwies. Das „Hambacher Fest“ lässt sich als ein Wendepunkt in der öffentlichen Festkultur verstehen: Das Feiern war fortan immer seltener der Elite und immer öfter dem Volk vorbehalten. Und oft ging es auch gar nicht um Genuss und Verschwendung, sondern um handfeste politische Anliegen.
Schon bald gab es statt Feuerwerk und Opernaufführung nur noch Drehorgel und Vogelsang unter freiem Himmel. Die Arbeiter erklärten den 1. Mai zu ihrem Feiertag. „Sie wagten zu feiern, an einem Tage, der nicht von Staat oder Kirche als Feiertag festgelegt worden war!“, staunt die Sozialistin Ottilie Baader.
Heute sind politische Eliten gut beraten, sich in Askese zu üben. Allzu prunkvolle Feierlichkeiten ziehen schnell den Argwohn des Wahlvolks auf sich. Bundeskanzlerin Angela Merkel als genusssüchtige Herrscherin, die im Stil der Cäsaren Steuergelder verprasst – unvorstellbar!
Indikator der Macht
Das Feiern ist während des 20. Jahrhunderts von der Politik in die Unterhaltungsbranche abgewandert. Seine strategische Bedeutung als Indikator der Macht ist geblieben. Berichte von Richard Burton und Andy Warhol über die Orgien der Schickimicki-Gesellschaft im Hause Rothschild oder im legendären „Studio 54“ lassen daran keinen Zweifel: Wer im Film-, Kunst- oder Musikgeschäft eine relevante Rolle spielen wollte, bemühte sich um eine Einladung.
Heute haben auch diese Partys ihre Bedeutung verloren, wichtiger ist ein Instagram-Account. Die Verschwendung mag das eindämmen. Ob diese Kultur aber für künftige Generationen ähnlich unterhaltsame Geschichten bereithält wie die Feste früherer Tage, ist zu bezweifeln.
„Das Buch der Feste: Von der Antike bis heute“, hrsg. von Rainer Wieland; Propyläen Verlag: Berlin 2019; 400 Seiten, 48 Euro.