Es ist eine gehobene Wohngegend im Berliner Bezirk Pankow. Alter Baumbestand, Gründerzeithäuser, gepflegte Vorgärten. Fast wie in einem Diplomatenviertel. Aber nur fast. Hier befinden sich keine Botschaften, aber immerhin die „Ständige Vertretung“ des Stadttheaters Konstanz in der Hauptstadt. Es ist nicht üblich, dass sich Stadttheater eine solche Dependance in der Hauptstadt leisten. Und Chefdramaturg Daniel Grünauer ist sich ziemlich sicher, dass Konstanz die einzige Bühne in Deutschland sei, die eine solche Niederlassung in Berlin unterhält.
Natürlich hat man kein Gebäude angemietet, sondern gibt sich zufrieden als Untermieter in der Jugendkunstschule Pankow, abgekürzt „Juks“. So steht es am Eingang an der Neuen Schönholzer Straße 10, dort wo ein großes Plakat auf die Konstanzer Spielstätte hinweist. Der Weg zu Höherem ist auch hier anstrengend. Die Studiobühne der Schule befindet sich im 4. Stockwerk. 110 Stufen ohne Aufzug. Schon im Programmflyer des Theaters wird darauf hingewiesen, dass der Spielort nicht barrierefrei sei.
Künstlerische Brücke quer durch die Republik
Hier will also nun das Konstanzer Stadttheater künftig an zwei bis drei Abenden pro Monat zeigen, dass fernab der Metropolen auch in einem eher kleinen Theater große Kunst entstehen kann. Intendant Christoph Nix sieht sich mit seiner Idee am Ziel, „zwischen Berlin und dem Bodensee eine künstlerische Brücke quer durch die Bundesrepublik“ zu schlagen. Nix sagt es ganz offen: „Ziel ist eine Wahrnehmungssteigerung des Theater Konstanz“. Aber auch an die Mitwirkenden eines solchen Abends, an Regisseure und Schauspieler will man in der „Ständigen Vertretung“ denken. Die Künstler aus Konstanz sollen Gelegenheit haben, sich vor einem Hauptstadtpublikum auszuprobieren, sich mit Berliner Kolleginnen und Kollegen zu vernetzen. Wie auch Berliner Theaterschaffenden die Möglichkeit gegeben werden soll, Kontakte zu einem Stadttheater zu knüpfen, die eventuell in einem Engagement enden könnten.
Oder ist es Größenwahn?
Darüber hinaus könnten sich aber auch noch weitere fruchtbare Verbindungen ergeben. Die rührige Jugendkunstschule Pankow, unter deren Dach das Konstanzer Theater zu Gast ist, bietet neben Kursen in Bildhauerei, Malerei, Design, Drucktechnik, Fotografie eben auch Theaterkurse an, die mit eigenen Aufführungen abschließen. Schon bei der Eröffnungsvorstellung der „Ständigen Vertretung“ waren Teilnehmer der Theaterkurse als Helfer und Betreuer des Publikums mit dabei. Die Grenzen zwischen Schüler- und Jugendtheater und dem Profibereich verschwimmen.
Daheim in Konstanz werden hinter den Kulissen und hinter vorgehaltener Hand allerdings auch kritische Stimmen laut. Manche amüsieren sich, andere sprechen angesichts der „Ständigen Vertretung“ von Größenwahn oder es wird einfach nur eine weitere Arbeitsbelastung durch den Transport von Requisiten und zusätzlichen Abwesenheiten von Kollegen befürchtet.
Kein finanzieller Kraftakt
Ob das Experiment gelingt, wird sich zeigen, ein finanzieller Kraftakt sei die „Ständige Vertretung“ jedenfalls nicht, versichert man von Seiten des Theaters. Die Saalmiete liege bei 158 Euro je Vorstellungstag, die Flüge für die Mitwirkenden werden mit je 110 Euro beziffert. Dem stünden Einnahmen durch den Kartenverkauf gegenüber. Einen eigenen Etat gibt es für die „Ständige Vertretung“ nicht, die Ausgabe werden dem laufenden Betrieb zugeordnet, oder als Kosten für Werbung oder Gastspiele abgerechnet.
Da alle Produktionen, die in der Ständigen Vertretung gezeigt werden, zuvor schon in Konstanz zu sehen waren, dürfte es für Schauspieler und Regie interessant sein, herauszufinden, ob es Unterschiede in den Publikumsreaktionen am Bodensee oder an der Spree gibt. Einheimische Zuschauer, die vor dem Berliner Reichstag oft mit den Aktionen der sogenannten Reichsbürger konfrontiert sind, werden Annalena und Konstantin Küsperts Stück „Der Reichsbürger“ mit Ralf Beckord in der Titelrolle vielleicht mit anderen Augen sehen, als wenn man das Phänomen nur aus den Nachrichten kennt.
Nach der Sommerpause geht es weiter
Der erste Spielplan der „Ständigen Vertretung“ reicht zunächst bis zum Jahresende. Nach den Eröffnungsstücken „Der Reichsbürger“ und „Eine Art Liebeserklärung“ ist für den 14. Juni noch der Monolog „Du bist meine Mutter“ zu sehen. Nach der Sommerpause geht es weiter mit den Stücken „Judas“ von Lot Vekemans, dem Georg-Kreisler-Liederabend „Geh‘n mer Tauben vergiften Im Park“, der Uraufführung „Gerron“ von Charles Lewinsky und der Lesung aus dem Roman „Das große Heft“ von Ágota Kristóf. Überdies wird der Intendant eine Gesprächsreihe mit Prominenten anbieten unter dem Titel „Nix trifft“.
War man in Konstanz bisher der Ansicht, man müsse nicht unbedingt in die Hauptstadt reisen, um anspruchsvolles Theater zu sehen, gilt jetzt umgekehrt, dass man nicht unbedingt an den Bodensee kommen muss, um Konstanzer Theater zu sehen. Berlin tut‘s auch.