Erst in London fand Judith ihre Ersatzheimat. Bis es soweit war, hatte die Tochter des von den Nazis verfolgten Journalisten Alfred Kerr zusammen mit ihrer Familie eine Flüchtlings-Odyssee hinter sich. Kurz vor der Machtergreifung Adolf Hitlers verließen sie Berlin und brachten sich zunächst in der Schweiz in Sicherheit. Von dort ging es weiter nach Paris und schließlich nach London.
Ihre Erfahrungen verarbeitete Judith Kerr, die im Mai im Alter von 95 Jahren starb, in einem Jugendroman. Mit „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ (1971) erinnert sie junge Generationen an die Taten der Nazis – nun bringt Caroline Link den autobiografischen Stoff um die Familie Kemper, wie sie im Roman heißt, auf die Leinwand.

Der Film beginnt 1933, als die neunjährige Anna Kemper mit Bruder Max und Mutter Dorothea Berlin verlassen muss. Schweren Herzens nehmen sie Abschied von Hausmädchen Heimpi und können nur wenige persönliche Gegenstände mitnehmen – daher muss Anna ihr rosa Kuschelkaninchen zurücklassen.
Die Familie folgt Vater Artur nach Zürich, der zuvor einen lebensrettenden Tipp bekommen hatte: Im Fall der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten sollte der kritische jüdische Journalist als einer der Ersten verhaftet werden. Der Film begleitet die Familie, die zunehmend unter Geldnot leidet, über die Schweiz nach Paris. Gedreht wurde unter anderem auf dem Dampfschiff „Hohentwiel„ auf dem Bodensee.
Ergreifend statt sentimental
Links Stärke liegt in der sensiblen Beobachtung und der feinfühligen Inszenierung emotionaler Szenen. Das ist hier nicht anders – auch wenn der Film im letzten Drittel an Kraft verliert. Während Link die Auswirkungen der schwierigen Situation auf die Familie beleuchtet, sind die Momente, in denen es um Abschied und Verlust geht, weniger sentimental als aufrichtig ergreifend.
Dabei hat Link mit Oliver Masucci, Carla Juri und Justus von Dohnányi nicht nur gute erwachsene Darsteller besetzt. Vor allem Riva Krymalowski (als Anna) erweist sich als Glücksfall.

Wie das Buch übernimmt auch der Film die Sichtweise des Mädchens. So wirken die Härten der Flucht etwas abgefedert. Verharmlosend ist der Film trotzdem nicht, denn im Hintergrund sind das politische Klima, der Antisemitismus und die Taten der Nazis immer präsent.
Dass die Adaption an die damaligen Schrecken erinnert, ist gerade vor dem Hintergrund des erstarkenden Rechtspopulismus wichtig. Mit Blick auf unsere Zeit führt sie zudem vor Augen, was es bedeutet, seine Heimat zu verlieren und auf der Flucht zu sein.
Abspann
Produktion: Deutschland/Schweiz 2019
Regie: Caroline Link
Darsteller: Riva Krymalowski, Oliver Masucci, Carla Juri, Marinus Hohmann, Justus von Dohnányi, Ursula Werner u.a.
Länge: 119 Minuten
Verleih: Warner Bros.
FSK: ohne Altersbeschränkung
Fazit: Eine trotz kleinerer Schwächen absolut gelungene Roman-Adaption.