Steffen Rüth

Udo, rauchen Sie jetzt E-Zigarre?

Ich rauche sowohl als auch. Nur nicht mehr 15 Zigarren am Tag. Mit der Stimme bin ich gerade sehr zufrieden, die ist schön rau, dank Whisky und Kuba-Zigarren, aber sie darf auch nicht zu rau sein. Deshalb muss ich genau dosieren.

Auch den Alkohol?

Gerade den Alkohol. Die Ballerei nach der Mengenlehre, die ist lange vorbei. Ich brauche nicht mehr viel. Mein Eierlikör ist voll ausreichend. Ansonsten bin ich naturstoned. High werde ich bei meinen Konzerten und den ganzen Abenteuern, die ich mit meiner Musik erleben darf. Das ist auch wie eine Droge. Eine bessere Droge. Und diesen Rausch auf der Bühne, den kann ich heute richtig genießen. Mit Alkohol in Mengen wirst du rund und langsam und haust dich nur noch in die Ecke. Ich wollte kein Rock’n’Rollmops werden und so enden wie Elvis in Las Vegas.

Sie wollen Ihren Job auch noch eine Weile machen, oder?

Ich habe den Leuten versprochen, dass ich noch 30 Jahre am Start bin.

Das sagen Sie seit Jahrzehnten.

Ja. Denn in 30 Jahren ist die Medizin so weit, auch mit Lebensverlängerungspille, dass man dann wieder 30 Jahre dranhängen und die 130 als neues Ziel ausrufen kann. Ich kann die Leute ja auch nicht hängen lassen, sie brauchen ihr Udopium und ihren neuen Stoff.

Ein Phänomen: Udo Lindenberg neben seinem Denkmal in seiner Heimatstadt Gronau.
Ein Phänomen: Udo Lindenberg neben seinem Denkmal in seiner Heimatstadt Gronau. | Bild: Henning Kaiser / dpa

Udo Lindenberg zu sein ist sicher nichts für Feiglinge.

Bestimmt nicht. Wenn du über das Brandenburger Tor fliegst, über die Köpfe von einer Million Leute hinweg, und oben merkst du, scheiße, der Anschnallgurt funktioniert nicht, da musst du dich schon was trauen – und leicht verrückt sein. Dazu gehört auch ein gewisser Mut. Aber ich bin gerne verrückt. Einer muss das ja auch machen.

Sie haben das sozusagen erfunden, die Popmusik mit intelligenten deutschen Texten. Kann man sagen, Sie schwelgen zugleich in Nostalgie und sind mittendrin im Jetzt? Als taufrische Legende?

Ja, das läuft alles gleichzeitig. Ich rieche auch manchmal an meiner Haut, ob sie schon nach Denkmal riecht. Aber nein, sie duftet nach frischer Lindenblüte. Sicher, viele sehen in mir so eine alte Legende. Doch ich selbst fühle mich eher als ein New Beginner. Du weißt ja bei jedem neuen Projekt vorher nicht, wie es wird. Ich bin wie ein Entdecker, der durch die Nebelwand segelt, wie James Cook oder Vasco da Gama. Auch die Astronauten sind meine großen Vorbilder.

Ihr ganzes Leben, Ihre Karriere, ist ein einziges Fest. Aber gerade seit dem Comeback-Album „Stark wie zwei“ 2008 und der ersten „MTV Unplugged“-Platte drei Jahre später sind Sie permanent obenauf. Erleben Sie das auch so?

Ja, das sind jetzt echte Wunderjahre. Ich habe nicht damit gerechnet, dass es noch mal so abgeht. Aber es ist wirklich so: Alles, was ich mache, geht seit zehn Jahren megamäßig ab.

Udo Lindenberg steht beim Vorentscheid für den Eurovision Song Contest "Unser Lied für Israel" auf der Bühne.
Udo Lindenberg steht beim Vorentscheid für den Eurovision Song Contest "Unser Lied für Israel" auf der Bühne. | Bild: Britta Pedersen / dpa

Haben Sie alle Ziele erreicht? Sind Sie wunschlos glücklich?

Politisch möchte ich noch mehr bewirken. Ich wünsche mir ein großes, vereintes Europa, zwischen den Großmächten moderierend und mahnend zur Abrüstung. Das kann so nicht weitergehen, wie sich die hirnamputierten Schwachmaten Trump und Putin mit ihrer Aufrüstung brüsten. Und ihre widerlichen Waffenlieferungen an die Saudis, damit die im Jemen noch besser morden können. Gerade Deutschland, als Verlierer von zwei Weltkriegen, muss als Vermittler einen Schritt nach vorne machen und sagen: Ihr müsst miteinander reden, reden, reden. Aufrüstung ist ein tägliches Verbrechen, während in vielen Teilen der Welt die Frauen, die Kinder, die Menschen sterben. Das ist pervers und kriminell. Jeder, der nichts dagegen tut, ist Teil dieser stummen Armee, die solche Zustände durch Passivität mitträgt. Und deswegen auch „Wir ziehen in den Frieden“.

Sie sprechen in diesem Lied die Hippies an, „Love & Peace“. Glauben Sie noch an diese alten Utopien der 60er-Jahre?

Ja! Ich bin überzeugt, dass wir solche Visionen brauchen. Keine Grenzen, keine Mauern, sondern Menschenketten, das ist mein Traum. Wir müssen so viel machen, wir müssen die Ozeane retten, wir müssen den Klimawandel hinbekommen, wir brauchen Geld für unsere Sozialsysteme – das sind Visionen, klar. Ich weiß aber auch, dass viel gelingen kann. Woodstock hat mit dazu beigetragen, dass der Vietnamkrieg endete, die Bürgerrechtsbewegung mit Martin Luther King, in Deutschland die Bewegungen für mehr Umweltschutz, zuletzt die Aktivisten im Hambacher Forst, es ist geil, wenn Leute losziehen und für etwas eintreten.

Die Deutschen würden Sie wahrscheinlich auch als Kanzler wählen.

Kann sein. (grinst) Allerdings bin ich für den Job noch zu jung.

Wären Sie lieber Bundeskanzler oder Bundespräsident?

Lieber Präsident. Der Job ist recht easy. Kanzler ist zu hart, da muss man auch immer so früh aufstehen, das ist nicht so mein Ding. Ich wäre gern ein ausgeschlafener, tiefenentspannter Präsident. Aber ich muss erst noch ein bisschen reifen. (lacht)

Sie haben ja noch Zeit.

Eben. Wenn es ein Volksbegehren gibt, dann mache ich das auch. Ich habe den großen Vorteil: Ich koste nichts. ich wohne im „Atlantic“, einem Schloss. Ich habe eine Staatskarosse, einen Hybrid-Porsche, als Präsidentenauto, eine E-Karosse, den Präsidentenhut habe ich auch schon auf. Ich brauche auch keine Gage, es wäre für alle das Beste. Als Präsident bin ich ein Geschenk für das deutsche Volk. (lacht)

Sie sind ja einer der beliebtesten Deutschen überhaupt.

Jau. Ich bin ja auch geschmeidig, bekömmlich und easy.

Können Sie sich eigentlich einen Udo Lindenberg als Rentner vorstellen?

Nö, überhaupt nicht. Das ist eine ganz andere, mir fremde Welt. Richtige Rocker gehen nicht in Rente.

Sie haben viele junge Kollegen bei Ihrem Unplugged-Konzert dabei. Wachsen genug verrückte Künstler nach?

Nee, leider nicht. Die meisten sind langweilig, richtig langweilig. Textlich passiert nichts Besonderes, nichts mit Rebellion, nichts mit neuen Visionen. Da ist sehr viel seichtes Zeug dabei, die milde Sorte, langweiliges Pop-Zeugs. Und Straßenrap ist ja mehr so für picklige kleine Jungs auf dem Schulhof gemacht. „Ey, ich fick’ die Mutter“, das ist ja traurig, dass es so was gibt, an Beknacktheit ist das nicht zu überbieten, so ein Rap, el primitivo, nein, wie daneben kann man sein?

Welche Rapper finden Sie gut?

Marteria, Max Herre, Fanta Vier, das höre ich alles. Auch SXTN, muss ja informiert sein, ich interessiere mich logo für krasse Texte. Aber in der Tat gibt es nicht genug krasse Sachen. Auch Rock’n’Roller wachsen nicht nach. Und wenn keiner da ist, tja, dann stellt sich die Frage: Muss ich auf meine alten Tage noch mal ran? Ja. Muss ich.

Zur Person

Bei Udo Lindenberg (72) ist es wie mit gutem Wein – mit dem Alter wird er immer besser: 2008 hat er es mit dem Album „Stark wie Zwei“ erstmals an die Spitze der Charts geschafft. Der Träger des Bundesverdienstkreuzes ist seit Ende der 90er-Jahre mit der Fotografin Tine Acke (42) liiert. 2018 erschien das Album „MTV Unplugged 2 – Live vom Atlantik“. Seine Tour führt ihn am 2. und 3. Juli 2019 nach Mannheim, am 5. und 6. Juli nach Stuttgart.

 

Sonderzug nach Pankow:

Horizont:

Ein Herz kann man nicht reparieren:

Wenn du durchhängst:

Cello: