Die letzte Wildnis unseres Planeten, der Ort, an dem du noch echte Abenteuer erleben kannst, weil überall Gefahren lauern und sich nichts voraussehen lässt: Das ist weder die Serengeti noch die Antarktis, auch nicht das Amazonasbecken. Es ist unsere Öffentlichkeit.
Auf Augenhöhe mit dem Publikum
Christian Drosten, allseits geschätzter Wissenschaftler aus Berlin, lernt zurzeit, was ein Aufenthalt an diesem unwirtlichen Ort bedeutet. Im NDR erklärt der Virologe von der Berliner Charité täglich die Hintergründe zur Coronakrise. Er macht das großartig: ohne Expertenkauderwelsch, stets auf Augenhöhe mit einem Laienpublikum.

Sein Verdienst reicht über die Vermittlung von medizinischer Fachkenntnis weit hinaus. Wer ihm zuhört, bekommt ein Gefühl für die Komplexität vieler Fragestellungen unserer Zeit im Allgemeinen. Es ist wie ein Gegenmittel zum populistischen Modell der einfachen Antworten: Wer Drosten aufmerksam zuhört, geht so schnell keinem Verschwörungstheoretiker mehr auf den Leim.
Und jetzt liegt da eine Mail in seinem Postfach. Ihr Absender, sagt er, werfe ihm vor, verantwortlich zu sein für den Selbstmord des hessischen Finanzministers. Wie bitte?
Wer Öffentlichkeit gewöhnt ist, kennt das so gut wie der erfahrene Safari-Abenteurer den plötzlichen Löwenangriff aus dem Gebüsch. Wir Journalisten können mit vergleichbaren Zuschriften überspannter Zeitgenossen ganze Kisten füllen.
Bei einem Forscher freilich, der seit Jahr und Tag unter sterilen Laborbedingungen arbeitet, mag ein solches Schreibens erstens eine handfeste Krise und zweiten die Suche nach einer rational fassbaren Ursache auslösen. Drosten glaubt, den Schuldigen gefunden zu haben: Die Medien. Sie seien es schließlich, die den Eindruck verbreiteten, Wissenschaftler maßten sich Urteile über politische Entscheidungen an! Dabei sei doch das Gegenteil richtig. Kein Wissenschaftler wolle Dinge sagen wie: „Diese politische Entscheidung, die war richtig. Oder diese politische Entscheidung, die war falsch.“
Frei von Eitelkeit?
In Drostens Weichzeichnung zeigt sich der akademische Betrieb als Hort des einträchtigen Forschens, frei von jeder Eitelkeit, Missgunst und Selbstüberschätzung. Doch es sind nicht Medien, die dieses Bild zerstören, sondern Fachkollegen, denen sehr wohl Sätze wie „Diese politische Entscheidung, die war falsch“ über die Lippen kommen.
So macht Alexander Kekulé, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie am Uniklinikum Halle, kein Hehl aus seiner Auffassung, die Regierung habe sich zu spät zum Schließen von Schulen und Kindergärten durchgerungen. Ihre Berater – zu ihnen zählt auch Drosten – hätten seine eigenen frühzeitigen Ermahnungen zu umfangreicheren Testmaßnahmen als „Panikmache“ diskreditiert.
Solche Widersprüche sind lästig und können schmerzen. Es ist aber ureigenste Aufgabe des Journalismus, sie aufzuzeigen. Davon ist auch der Wissenschaftsbetrieb nicht ausgenommen. Und niemand kann ausschließen, dass Wirrköpfe daraus falsche Schlüsse ziehen.
Drostens Stärke ist sein Argumentieren gegen ein Weltbild der einfachen Antworten und Schuldzuweisungen. Er sollte das auch abseits wissenschaftlicher Fragestellungen beherzigen.