Herr Bauer, Curth Georg Becker durfte im Dritten Reich seinen Beruf nicht mehr ausüben...
Das stimmt so nicht. Er konnte nicht ausstellen, besaß aber meines Wissens den Ausweis der Reichskulturkammer und hatte auch Malmaterial. Wenigstens bis 1937 war die nationalsozialistische Kulturpolitik wankelmütig. Es gab sogar einflussreiche Kreise um Joseph Goebbels, die versucht haben, den Expressionismus zur deutschen Kunst zu erheben. Man stelle sich vor, wie wir diese Bewegung heute betrachteten, wenn das erfolgreich gewesen wäre! Die NS-Kulturfunktionäre haben keineswegs immer gleich Verbote ausgesprochen, sondern häufig Schwebezustände hergestellt, in denen niemand so recht wusste, woran er war.
Schwebezustände?
Nehmen Sie nur die Konzentrationslager. Man musste schon sehr ignorant sein, wenn man gar nichts wusste. Gegen Ende des Regimes ahnte ein jeder, dass er mitschuldig war. Diese Unbestimmtheit ist bei totalitären Systemen Herrschaftsinstrument.
Rowno aber war kein Schwebezustand.
Nein, da war die Sache klar. Wie nah Becker am Morden dran war, das können wir ohne historische Forschung nicht wissen. Vielleicht hatte er als „Schöngeist“ Glück und arbeitete in der Verwaltung. Aber dass er von den Vorgängen gar nichts mitbekam, ist in der Tat kaum vorstellbar.
Warum spiegeln sich Beckers Erfahrungen dann nicht im Werk wider?
Ich sehe ihn als einen unpolitischen Maler, der Kunst als ideale Gegenwelt verstand. Sie war ihm als Mittel, die Wirklichkeit zu überwinden. Darin unterschied er sich stark von Otto Dix; deshalb mochten sich die beiden nicht wirklich.
Es fällt auf, dass Maler und Dichter, die im Ersten Weltkrieg an der Front waren, ihre Erlebnisse sehr wohl künstlerisch verarbeiteten. Warum gilt das nicht für den Zweiten Weltkrieg?
Diese Frage habe ich mir auch schon oft gestellt. Hatten sie vielleicht aus den 20er-Jahren schlicht die Lehre gezogen, dass es nichts nützt? Zudem: So denkt ein Künstler eigentlich nicht, er zeigt, was er zeigen muss. „Politische“ Kunst ist zudem eine Frage der Interpretation. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass Otto Dix die Absicht hatte, Antikriegskunst zu machen. Wir verstehen sie aber heute als solche.