Was kann Kunst jetzt tun? Gute Frage. Ganz akut kann sie der Angst eine Form geben. Eine Form lässt sich begreifen, und was sich begreifen lässt, kann man auch verarbeiten. Kunst als Therapieangebot, ja das funktioniert bisweilen.

„Russians“ zum Beispiel, dieser fast 40 Jahre alte und doch so aktuelle Song des britischen Musikers Sting. Er bringt die ganze quälende Überlegung, ob die Menschheit tatsächlich verrückt genug ist, sich mit Atomwaffen selbst auszulöschen, auf die treffend tröstliche Formel: Nicht, solange es Kinder gibt – und solange wir diese Kinder lieben.

Siehst du also, Kunst gibt uns seelischen Halt, führt stets ans sichere Ufer? Schön wär‘s.

„Atombombe auf Deutschland“

Einem differenzierten Geist wie Sting standen in jüngerer Vergangenheit unzählige Beispiele für primitive Feinbilder, schiefe Vergleiche, pazifistischen Kitsch gegenüber. Da zogen Theaterregisseure wie Volker Lösch direkte Linien von Bundeswehreinsätzen zu Wehrmachtsverbrechen, Künstlerkollektive wie „Peng“ bequatschten angehende Soldaten, doch besser „einen sinnvollen Beruf“ zu ergreifen. Und die Links-Rocker von der „Antilopen Gang“ sangen – lustig, lustig – eine „Atombombe auf Deutschland“ als „Lösung des Problems“ herbei. Selten ist Ironie so schnell so schal geworden.

Im SÜDKURIER-Interview berichtete der Journalist und Klassik-Experte Axel Brüggemann vom Einfluss des Kremls auf renommierte Institutionen wie die Salzburger Festspiele oder das Brucknerhaus Linz. Es sollte hinreichend sein, um jedes Geschwätz von Kunst und Kultur als moralischem Kompass zum Verstummen zu bringen.

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Wo Musiker auftreten, die Schwarzgeld in Milliardenhöhe bunkern, wo Oligarchen über programmatische Ausrichtungen mitbestimmen, wo Intendanten Anweisungen aus höchsten Regierungskreisen erhalten, da geht es um weit mehr als feinsinnige Debatten über Phrasierung und Intonation. Nämlich um Kunst als käufliches Instrument für knallharte Politik.

Dass ein schöngeistiges Publikum diese Abgründe nicht wahrhaben will, kann angesichts derer schier unglaublichen Dimension kaum verwundern. Noch darf eine angeblich „unpolitische“ Starsopranistin Anna Netrebko deshalb auf Zustimmung hoffen, wenn sie sich über Gesinnungsdruck beklagt.

Traumtänzer im Thurgau

Die hoffentlich letzten Ausläufer dieser Traumtänzerei sind im Thurgau zu erleben. Dort sieht sich die Kartause Ittingen massiver Kritik aus Feuilletons und Musikerkreisen ausgesetzt. Man hatte eine russische Solistin ausgeladen, die der Kreml auf seiner Homepage beim Sektanstoßen mit Wladimir Putin zeigt. Solche Bilder müssen nichts bedeuten, und eine von der Musikerin publizierte Distanzierung vom Krieg ist um eine wichtige Nuance schärfer formuliert als bei Netrebko.

Aber Diskriminierung? Geht doch nur um Musik, hat ja mit Politik nix zu tun? In Wahrheit verdient ein Konzertveranstalter, der auf diesem politisch verseuchten Markt Vorsicht walten lässt, Respekt, mindestens Verständnis.

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So viel zu Kunst, Moral und bitteren Erkenntnissen. Ach ja: Schriftsteller, Musiker, bildende Künstler aus ehemaligen Sowjetstaaten warnen seit Jahren vor sorglosem Umgang mit russischen Geldgebern und sicherheitspolitischer Naivität. Es gab bislang nur ein Problem. Das passte nicht in unser Weltbild.