„Geflickt ist keine Schande“, hieß es in früheren Jahren, als die Mütter – meistens die Mütter – ihren Kindern die gestopften Hosen, Strümpfe, Socken oder Hemden zum Anziehen gaben. Das kleine Loch in der Hose war von Mama zuvor säuberlich mithilfe des Stopfeis zugenäht worden. Bei größeren Löchern nähte sie kurzerhand einen Flicken drauf. Dass das Kind mit einem zerrissenen Kleidungsstück in die Schule ging, das kam nicht in Frage.

Nun gibt es Anlass zur Mutmaßung, dass das „Geflickt ist keine Schande“ wieder zur Losung wird. Zu flicken gibt es heute in der Tat extrem viel. Wer durch die Fußgängerzonen unserer Städte schlendert, hat nun schon seit einigen Jahren festgestellt, dass etliche Jeans zerrissen sind. Aber wir haben uns daran gewöhnt. Haben resigniert konstatiert, dass die Löcher mit den Jahren sogar immer größer wurden. Manche Jeans sind so zerfetzt, dass ihr Lochanteil den Stoffanteil schon fast übertrifft.

Je weniger Stoff, desto teurer

Daran ist natürlich die Modebranche schuld. Sie verkauft für anständiges Geld diese zerrissenen, löchrigen Jeans. Nennt ihre Löcherjeans natürlich nicht zerrissen. Wer wollte schon zerrissene Klamotten kaufen? Im Angebot sind Destroyed Jeans oder Ripped Jeans, beides rubriziert unter dem sogenannten Shabby Chic.

Was mich jetzt aber gefreut hat, das war ein Angebot, das ich bei Peek & Cloppenburg im Netz fand. Eine Jeans im Shabby Chic zwar. Aber alle Löcher fein säuberlich mit Stoffresten geschlossen. Für 299,99 Euro. Das mutet zwar teuer an, aber auf der Abbildung zählte ich immerhin zwölf von innen oder von außen drangenähte Flicken. Viel Arbeit also, die bezahlt werden muss.

Moderatorin Cathy Hummels weiß, was im Trend ist: kniefreie Jeans.
Moderatorin Cathy Hummels weiß, was im Trend ist: kniefreie Jeans. | Bild: Felix Hörhager/dpa

Hauptsache, die Herren oder die Damen, die sich diese Jeans kaufen, bummeln nicht mehr mit zerrissenen Hosen durch die Städte. Geflickt ist nicht nur keine Schande, sondern jetzt sogar höchst schick. Shabby Chic.

Der Stoff, die Flicken selbst, können für die Kleiderfabriken nicht teuer gewesen sein. Ich nehme an, die Firmen griffen auf die Flicken zurück, die sie zuvor aus anderen Jeans herausgeschnitten hatten, um diese dann als Destroyed Jeans zu verkaufen.

Aber was mag die Textilindustrie und die Modebranche bewogen haben, nun tatsächlich geflickte und nicht mehr löchrige Ware anzubieten? Auch dafür habe ich eine plausible Erklärung: Die Destroyed Jeans sind mittlerweile in die Jahre gekommen. So manch einer mag sich gedacht haben, nach sechs oder sieben Jahren kommt die Jeans in die Altkleidersammlung.

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Nur: Zerrissene Klamotten in die Altkleidersammlung zu geben, das ist höchst unmoralisch. Da ist es doch viel schlauer, die Ware im Shabby-Look zurück an den Absender zu geben. Und was macht der damit? Stopft die Löcher und verkauft die Jeans dann wieder. So wird‘s sein.

Auch unter ökologischen Aspekten ist diese Tendenz äußerst lobenswert. Statt das Zeug einfach wegzuwerfen, wandert die Ware zurück zum Erzeuger, der daraus wieder neue Ware herstellt. Ist doch perfekt! Das Marketing hat diesen Trend übrigens auch schon aufgegriffen: Verkauft werden daher nicht geflickte Jeans sondern Jeans mit Visible Mending oder Decorative Mending, also Jeans mit sichtbarem beziehungsweise dekorativem Flickwerk.