Olaf Neumann

Campino, 1978 sahen Sie in Düsseldorf das erste Liverpool-Spiel Ihres Lebens beim Halbfinale des Europapokals der Landesmeister gegen Borussia Mönchengladbach. War das für Sie von ähnlicher Bedeutung wie Ihr erstes Punk-Konzert?

Ich hatte noch nie so viele Menschen auf einem Haufen gesehen wie an diesem Abend im Rheinstadion. Plötzlich spielte mein Liverpool vor meinen Augen. Im Auswärtsfanblock schmetterten die Jungs aus Liverpool ihre Lieder. Sie zu beobachten faszinierte mich unglaublich. Kein Zufall, dass ich bei der Musik gelandet bin und nicht beim Sport. Sie spielt in meinem Leben trotz allem die prägendere Rolle. Mein erstes Rockkonzert 1976 in London in dem kleinen Club Rockgarden ging mir durch Mark und Bein. Die Count Bishops haben immens laut und wild gespielt.

Manchmal lassen Sie sich einen kleinen Monitor an den Bühnenrand stellen, um auch während eines Tote-Hosen-Konzertes am (Fuß)Ball zu bleiben. Ist der Besuch eines Liverpool-Spiels vergleichbar mit einem berauschenden Band-Auftritt?

Ein Vergleich fällt mir schwer – bei der einen Sache bin ich Protagonist und bei der anderen ja nur Beobachter. Ich weiß auch nicht, warum ich es nicht abwarten kann, den Ausgang eines Spiels erst nach meinem Auftritt zu erfahren. Übers Internet kann man heutzutage jedes Match live verfolgen, aber während einer Show, achte ich nur auf das Ergebnis. Ich will mein Publikum ja nicht enttäuschen.

In Situationen ohne Internetverbindung legen unsere Roadies immer unauffällig einen Zettel mit dem aktuellen Torstand am Bühnenrand hin. So lange es die Performance nicht beeinflusst, darf ich mir das erlauben. Die Leute haben einen Anspruch darauf, dass ich vernünftig liefere. Im Publikum sind auch viele, die mit Fußball nichts anfangen können.

„Es kann so viel geschehen, nur eins weiß ich hundertprozentig, nie im Leben werd ich zu Bayern gehen“, ging 1999 die ironische Fußballhymne „Bayern“. Für Uli Hoeneß eine Beleidigung: „Die Toten Hosen? Das ist der Dreck, an dem unsere Gesellschaft mal ersticken wird!“ Warum hört beim Thema Fußball oft der Spaß auf?

Das hängt immer von der jeweiligen Mannschaft ab. Es gibt auch die Einstellung: Lass die da mal in der Champions-League machen, wir haben hier in der dritten Liga viel mehr Spaß. Mit der Straßenbahn zum Auswärtsspiel in der vierten Liga zu fahren, ist etwas sehr Lustiges. Bei unserer Fortuna aus Düsseldorf ist Humor ein Überlebenselexier.

Es gibt viele Fußball-Nerds, die bei allem Ernst über sich lachen können. Aber oft ist für Selbstironie kein Platz. Auch dem FC Bayern würde es gut tun, mal über sich selber zu lachen. Uli Hoeneß hat aber eine Zeit lang Würstchen an McDonald's verkauft und seine Werbespots dazu hatten durchaus großen Humor.

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Was unterscheidet Ihren Freund Jürgen The Normal One vom Startrainer Jürgen Klopp?

Jürgen weiß, wann ein Auftritt beginnt und wann er zu Ende ist. In dem Moment, wo er das Stadion betritt, ist er im Managermodus und auf die Arbeit fokussiert. Er ist dann fast schon scharf gestellt, während er im Privatleben ein guter Zuhörer ist und nicht immer das letzte Wort haben muss. Es findet dann keine Performance mehr statt.

Wenn ein Mikrofon im Raum ist, muss man in seiner Position funktionieren. Aber es gibt natürlich auch den Jürgen Klopp außerhalb dieser Welt. Er ist dann einfach nur ein Freund. Wir sitzen manchmal in einer Runde zusammen und spielen „Stadt Land Fluss“. Er ist mit demselben Eifer dabei und blödelt herum wie alle anderen auch.

Ihre heimliche Hochzeit in New York erwähnen Sie in Ihrer Autobiografie „Hope Street“ eher beiläufig. Ihre Frau scheut die Öffentlichkeit und möchte lieber anonym bleiben. Wie sehr hat die Ehe Ihr Leben verändert, das immer ein wenig rastlos schien?

Die Hochzeit hatte nichts damit zu tun, einen Ruhepol zu finden. Mir geht es seitdem nicht anders, ich kenne meine Frau natürlich schon länger. Da wir 2019 geheiratet haben und ich in „Hope Street“ auch das Tagebuch eines Jahres führe, habe ich die Hochzeit auf eine diskrete Art eingebaut. Meine Frau begleitet mich oft zu den Spielen in Liverpool und hat mittlerweile dort auch ihren Spaß. Als ich ihr erzählte, dass ich ein Buch über Liverpool schreiben wolle, war ihre erste Reaktion: „Du spinnst wohl, mir deinen Freizeitquatsch als Beruf aufzubinden? Soweit kommt‘s noch!“

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Ist der Liverpool FC daran Schuld, dass Sie jetzt auch einen britischen Pass besitzen?

Meine Staatsangehörigkeit war mir nicht wegen dem Liverpool FC wichtig. Das Bekenntnis zu England hat eher etwas mit meiner Mutter und meinen Wurzeln zu tun. Heutzutage kann man im Bezahlfernsehen jedes Spiel einer europäischen Mannschaft verfolgen. Die Kids wählen sich ihre Lieblingsvereine frei. Ich hingegen habe in meiner Kindheit nie Fernsehbilder aus Liverpool gesehen. Die Stadt ist Fans aus der ganzen Welt gewohnt. Auch ohne englischen Pass wurde ich immer genauso ernst genommen wie einheimische Fans.

Ihr Sohn Lenn ist kein Fußball-Fan. Hat er das Buch gelesen?

Ich habe ihm die Stellen, an denen er vorkommt, vorgelesen und gefragt, ob sie für ihn in Ordnung sind. Ich glaube, er hat noch nie eine Tote-Hosen-Biografie gelesen. So komme ich auch nicht in Erklärungsnöte. Ich finde es gesund, dass man erstmal nur als Elternteil wahrgenommen wird und es völlig egal ist, welchen Beruf man ausübt. Ob man Taxi fährt oder Rockmusik macht, interessiert die Kids erst mal nicht. Mein Sohn hört leidenschaftlich gern Hip-Hop.

Campino: „Hope Street – Wie ich einmal englischer Meister wurde“, Piper Verlag: München 2020; 368 Seiten, 22 Euro.

Die Toten Hosen: „Learning English Lesson 3: Mersey Beat! The Sound of Liverpool“ (limitierte CD/LP, JKP/Warner) – Veröffentlichungsdatum: 13.11.2020