Was sie bei der Krisenbewältigung der Landesregierung nicht verstehe, sagte die Konstanzer Theaterintendantin Karin Becker unlängst im SÜDKURIER-Interview, das sei die mangelnde Kommunikation. In der Kultur arbeiten so viele Menschen, da würde sie sich schon wünschen, etwa bei einer neuen Landesverordnung „auch mal früher einen Wink mit dem Zaunpfahl zu bekommen“.
Viel gefruchtet hat diese Kritik wohl nicht, wie sich jetzt anhand einer eigentlich frohen Botschaft zeigte. Während in Singen und Konstanz am Samstagabend endlich wieder Schauspieler vor Publikum auf die Bühne treten, verkündet die Landesregierung auf ihrer Homepage: Bald ist dies künftig in einem Modellversuch für den Landkreis Konstanz sogar wieder ohne die lästigen Abstände möglich!

Fragt sich nur für wen. Für das Stadttheater? Für freie Bühnen? Oder für alle? Selbst die Leitungsteams der tatsächlich betroffenen Häuser wissen von nichts, es bleibt ihnen nur ein spärlicher Hinweis im Internet: Von „Proben und Spielbetrieb (Theater)“ ist da die Rede. Und so rätselt Insa Pijanka, Intendantin der Südwestdeutschen Philharmonie, ein ganzes Wochenende lang, ob mit „Proben- und Spielbetrieb (Theater)“ ihr Orchester überhaupt gemeint sein kann. „Ich dachte, ja toll, sind wir jetzt also gar nicht drin?“
Kommen noch weitere Häuser dazu?
Inzwischen steht fest: Der Modellversuch betrifft das Theater Konstanz, die Singener Färbe und die Südwestdeutsche Philharmonie. „Gegebenenfalls“, teilt ein Pressesprecher des Sozialministeriums auf SÜDKURIER-Anfrage mit, kämen auch noch „weitere hauptamtlich geführte Kultureinrichtungen und Veranstaltungsunternehmen“ in Betracht – genaueres ist hierzu allerdings noch nicht zu erfahren.
Vorgesehen ist, dass die Abstandsregeln für den Proben- und Spielbetrieb aufgehoben werden. Somit, teilt das Landratsamt Konstanz mit, sei die künstlerische Arbeit wieder in vollem Umfang möglich: „Das ist beispielsweise für die Philharmonie von großer Bedeutung, da dadurch mit voller Orchesterbesetzung die Spielzeit für den kommenden Herbst vorbereitet werden kann.“
Von einer „grundsätzlich tollen Entscheidung“ spricht Pijanka auf SÜDKURIER-Anfrage: „Das ist ein ganz großer, motivierender Moment.“ Denn in der Praxis bedeute es vor allem eine größere Freiheit in der programmatischen Gestaltung. Weil die Abstände zwischen den Musikern bald wieder geringer ausfallen dürften, sind auch wieder größere Besetzungen möglich. Für die Publikumszahlen hingegen ändere sich erst einmal nichts. „Es ist zwar denkbar, dass wir bei entsprechend niedriger Inzidenz im Herbst wieder mehr Besucher einlassen dürfen“, sagt die Intendantin: „Das hätte dann aber nichts mit dem Modellversuch zu tun.“
Ähnlich schätzt Färbe-Intendantin Cornelia Hentschel die Lage ein. Mehr Publikum dürfe sie nun leider nicht einlassen, auf der Bühne aber sollen die Abstandsregeln fallen: „Das ist künstlerisch für die Inszenierungen ein Fortschritt.“
Die Konstanzer Theaterchefin Karin Becker war gestern nicht zu erreichen, Pressesprecherin Dani Behnke erklärt aber, für das Publikum seien die Auswirkungen zunächst nicht zu bemerken. „Die aktuellen Stücke sind ja bereits geprobt, und was die Regelung für den Herbst bedeutet, müssen wir noch abwarten.“
„Schritt zur Normalität“
Fest steht, dass die drei Institutionen bald unter strenger Beobachtung von Gesundheitsamt und Sozialministerium stehen. Wissenschaftler von der Universität Konstanz sollen Daten erheben, aus den gewonnenen Erfahrungen will man am Ende Erkenntnisse für den gesamten Kulturbereich ableiten. „Als Modellregion wollen wir nun zeigen, dass Kulturveranstaltungen mit Hygienekonzepten möglich und sicher sind“, teilte Landrat Zeno Danner mit: „Wir machen so einen großen Schritt hin zur Normalität.“
Theoretisch, sagt Pijanka, sei das alles schon ab Dienstag, 1. Juni, möglich. Praktisch aber wird es noch dauern, bis der Modellversuch wirklich startet. „Wir müssen das jetzt erst mal auf den Weg bringen, das dauert in jedem Fall bis kommende Woche“, sagt Friedemann Scheck vom Konstanzer Landratsamt.
Dass die drei Intendantinnen erst nach zwei Tagen erfahren, was in ihren Häusern demnächst so los sein wird, findet man dort ganz normal: Die Entscheidung, lässt Scheck auf Anfrage wissen, sei nun mal erst am Samstag aus den Ministerien gekommen. Da sei doch klar, dass es erst am Montag eine Information geben könne. Zudem seien die Häuser ja in den Antragsprozess involviert gewesen.
Bei der Philharmonie sieht man das ähnlich entspannt – allerdings nicht aus Überzeugung, sondern aus Resignation. „Diesen Kommunikationsstil kennen wir seit Monaten in dieser Pandemie“, seufzt Pijanka: „Ich habe mir inzwischen abgewöhnt, mich darüber aufzuregen.“ Cornelia Hentschel von der Färbe erklärt, eigentlich habe sie bisher keineswegs so schlechte Erfahrungen mit der Krisenkommunikation seitens der Behörden gesammelt. „Aber das hier ist natürlich ein Ding.“