In einer seiner zahlreichen Notizen erwähnt Friedensreich Hundertwasser „eine kleine Stadt auf der Insel“. Einiges deutet darauf hin, dass er Lindau am Bodensee meinte. Sicher ist das aber nicht.

Für die Inselstadt spricht, dass sich der Künstler 1947 in Vorarlberg, im Bregenzer Wald und in Bregenz aufhielt, wie entsprechend signierte Zeichnungen zeigen.

In der Schweiz finden sich Spuren des Künstlers

Auch im Kanton St. Gallen, unweit von Lindau-Bregenz, gibt es von ihm Spuren. In Staad steht ein Architekturprojekt nach Ideen und Konzept des Künstlers. Die Markthalle Altenrhein, 2001 fertiggestellt, vereinigt sämtliche Merkmale seines ewigen Traums einer menschengerechten Wohnlandschaft: Vergoldete Zwiebeltürme, leuchtende Farben, geschwungene Linien, ungleiche Fenster, unebene Böden, bunte Keramiksäulen, begrünte Dachflächen.

Ein Märchenschloss, das Hundertwasser allerdings nie in Augenschein nahm. Nach einem längeren Aufenthalt in seiner Wahlheimat Neuseeland verstarb er im Februar 2000 an Bord der Queen Elizabeth 2.

Das Archivbild vom 15.04.1997 zeigt Friedensreich Hundertwasser in Köln.
Das Archivbild vom 15.04.1997 zeigt Friedensreich Hundertwasser in Köln. | Bild: Hartmut Reeh, dpa

Vier Ausstellungen geplant

Die frühen Zeichnungen des populären österreichischen Künstlers sind neben anderen Werken im neu entstandenen Kunstforum Hundertwasser auf der Lindauer Insel zu sehen – und sorgen somit für ein regionales Momentum.

Mit der Eröffnung des Kunstforums im ehemaligen Postamt sei eine Institution entstanden, sagt Alexander Warmbrunn stolz, Kulturamtsleiter der Stadt, die eine Neuentdeckung des Künstlers, Umweltschützers und Visionärs ermögliche.

In den kommenden fünf Jahren sollen in enger Kooperation mit der Hundertwasser Gemeinnützigen Privatstiftung Wien vier aufeinander folgende Ausstellungen ein „eindrucksvolles Bild vom Schaffen eines Künstlers zeichnen, dessen leidenschaftliche Erfindungskraft, Liebe zur Natur und Suche nach Wahrheiten über das Leben und das menschliche Verhalten zu faszinieren vermag“.

Friedensreich Hundertwasser: „Zwiebelturmsuppe“ (1971).
Friedensreich Hundertwasser: „Zwiebelturmsuppe“ (1971). | Bild: 2025 NAMIDA AG Glarus CH

Weltweit drittes Forum

Lindau ist das weltweit dritte Hundertwasser-Kunstforum. Die beiden anderen, in Wien und Neuseeland ansässigen Foren, haben im Unterschied zur Institution am Bodensee nur Dauerausstellungen im Programm.

Zum Auftakt ist in Lindau die Ausstellung „Das Recht auf Träume“ (bis 11. Januar 2026) zu sehen, sie wurde kuratiert von Sophie Sümmermann. Die Kunsthistorikerin hatte vergangenes Jahr mit der Werkschau „Christo und Jeanne-Claude – Ein Leben für die Kunst“ ihr Debüt in Lindau gegeben. 50.000 Besucher sahen damals die Kunst der Verpackungskünstler.

Jährlich 100.000 Besucher

Mit jährlich 100.000 Besuchern rechnen die Lindauer Verantwortlichen bei Hundertwasser, dessen Werk in einer Auswahl bereits 2019 unter dem Titel „Traumfänger einer schöneren Welt“ im ehemaligen Postamt gezeigt wurde, weil das eigentliche Kunstmuseum Cavazzen geschlossen war – es wird nach einer Generalsanierung am 19. Mai wiedereröffnet.

60 Bilder zusammengetragen

Die aktuelle, in abgedunkelten Kabinetten gegliederte Ausstellung will auf ganzen 200 Quadratmetern einen Gesamtüberblick über Hundertwasser von seiner Jugendzeit bis zu seinen letzten Werken schaffen. Sümmermann hat dazu knapp 60 Bilder zusammengetragen, darunter Graphik, Zeichnungen, Hundertwassers Architekturvisionen sowie Holzschnitte.

Der Österreicher beherrschte und erneuerte viele graphische Techniken, er setzte verschiedene Verfahren in einem Blatt ein, arbeitete mit Metallfolien und fluoreszierenden Farben. Einige Blätter, wie den Siebdruck „Venedig“ (1969/70), ließ er in großen Auflagen nachdrucken. Er wollte seine Kunst nicht nur verbreitet wissen, sondern auch für jedermann käuflich erhalten.

Friedensreich Hundertwasser in einer Aufnahme aus dem Jahr 1985.
Friedensreich Hundertwasser in einer Aufnahme aus dem Jahr 1985. | Bild: Gerhard Krömer • © 2025 NAMIDA AG, Glarus/CH

Spirale als wichtiges Motiv seiner Werke

Sümmermann hat aber auch Hauptwerke von der Wiener Stiftung ausleihen können, darunter den großformatigen Farbrausch „Unendlichkeit ganz nahe“ (1994). Das Zentrum des Gemäldes bildet – wie so oft in Hundertwassers Bildern – eine Spirale. „Die Spirale ist das Symbol des Lebens und des Todes“, merkt er im Ausstellungskatalog an, sie „liegt genau dort, wo die leblose Materie sich in Leben umwandelt“.

Es war Hundertwassers Überzeugung, dass das Leben irgendwie einmal begann und sich in Form der Spirale aus der toten Masse entwickelt hat: „Meine Spirale wächst und stirbt vegetativ, das heißt, die Spiralbahnen verlaufen ähnlich wie die Mäander der Flüsse nach dem Gesetz des Wachstums der Pflanzen“. Dabei tue er dem Ablauf keinen Zwang an, sondern lasse sich führen. Daher lehnte er die gerade Linie ab, sie sei ein Trugbild und komme in der Natur nicht vor.

Spiralen statt gerade Linien: „Close-up of Infinity“ (1994).
Spiralen statt gerade Linien: „Close-up of Infinity“ (1994). | Bild: NAMIDA AG_ Glarus CH

Inspiration bei Gustav Klimt

Hundertwassers facettenreicher Bildfundus, der in der Ausstellung von Infotafeln und Videosequenzen begleitet wird, die beispielsweise den Maler bei der Arbeit zeigen, resultierte häufig aus seinen eigenen Träumen, die ihm eine Art Zufluchtsort waren.

Inspiration für seine sanften Schöpfungen fand er in jungen Jahren in den Vorbildern der frühen Avantgarden wie der „Wiener Secession“ um Gustav Klimt oder Egon Schiele, aber auch bei dem Malerpoeten Paul Klee. Als Teil der internationalen Avantgarde in den 1950er-Jahren in Paris und fern von jeglichem Akademismus, entwickelte er seine einzigartige Bildsprache.

Ein Jugendwerk des Künstlers aus dem Jahr 1949: „Fischer mit Strohhut in Dämmerung“.
Ein Jugendwerk des Künstlers aus dem Jahr 1949: „Fischer mit Strohhut in Dämmerung“. | Bild: 2025 NAMIDA AG Glarus CH

Hundertwasser hat Einfluss bis heute

Die nächste Sonderausstellung des Kunstforums wird sich 2026 dem grafischen Werk des Künstlers annehmen. Rund um seinen 100. Geburtstag soll 2027 und 2028 der „Visionär“ Hundertwasser vorgestellt werden. Die finale Ausstellung „Der Weg zur Grünen Stadt“ im Jahr 2029 wird sich Hundertwassers Vorstellung einer anderen Architektur, einer organischen Bauweise im Einklang mit der Natur widmen.

Seine bewaldeten Dächer und begrünten Fassaden beeinflussen bis heute das nachhaltige Denken in der Architektur. Mehr davon, möchte man meinen. Wer die Markthalle Altenrhein besucht hat, der wird sich an einen Bruder im Geiste Hundertwassers erinnert haben, der auch die Welt schöner machen wollte – die Rede ist vom spanischen Freigeist Antoni Gaudì, der mit seiner organischen und fantasievollen Architektur die Menschen bezaubert.